Vor dem Klimagesetz ist nach dem Klimagesetz. In diesem Hintergrund gibt es alle relevanten Abstimmungen im Detail. Aus einem unübersichtlichen Berg von Änderungsvorschlägen hat sich ein neues Klimagesetz entwickelt, dass sich sehen lassen kann und Geschichte schreibt in der europäischen Klimapolitik. Der beschlossener Text ist hier abrufbar.
Was wurde genau beschlossen?
- Ein Klimaziel für 2030 mit -60 Prozent (ohne Senken)
- Ein Treibhausgas-Budget
- Ein unabhängiger wissenschaftlicher Klimarat
- Ein Verbot von fossilen Subventionen
- Ein Recht auf Klimaschutz
- Eine sektorale Roadmap
- Klimaneutralität für alle EU Mitgliedsstaaten
1) Das neue Klimaziel
Vom bisherigen EU-Ziel für 2030 mit 40 Prozent gehen wir einen großen Schritt nach vorne. Das Europäische Parlament unterstützt 20 Prozentpunkte mehr, ohne Senken oder Versteckspiele. Die 60 Prozent sind zwar noch nicht 1,5-Grad-Ziel-konform aber zusammen mit den folgenden Werkzeugen wie dem Treibhausgas-Budget und den Überprüfungsmechanismen im Artikel 9a des Gesetzes selbst stimmt die Marschrichtung. Der Überprüfungsmechanismus sagt klar: Den globalen Temperaturanstieg auf 1,5-Grad zu begrenzen, ist das Ziel für kommende Revisionen des Klimagesetzes. Auf Drängen der EVP soll das neues Ziel nicht einfach 15 Prozentpunkte für jedes Land mehr sein, sondern faire Aufteilung zwischen ETS und anderen Sektoren berücksichtigen.
Artikel im Gesetz: Artikel 2a und Artikel 9a
2) Ein Treibhausgasbudget
Jedes Jahr werden weitere Gigatonnen an CO2 und anderen Treibhausgasen in die Atmosphäre emittiert. Relevant für die Klimakrise ist die Summe aller Treibhausgas-Emissionen. Das Europaparlament sieht vor, dass die Kommission, unter Annahme eines fairen Anteil der EU an den verbleibenden globalen Emissionen, bis Dezember 2021 ein Treibhausgas-Budget für die EU 27 vorlegt. Dieses soll beschreiben, wie viele Tonnen an CO2 und anderen Treibhausgasen in der EU bis zum Jahr 2050 insgesamt noch ausgestoßen werden darf, ohne die Temperaturerwärmung über der Festlegung des Pariser Abkommen zu überschreiten. Grundlage dafür sind die aktuellsten Erkenntnisse inklusive dem IPCC-Bericht. Bei der Festlegung des Reduktionsziels für 2040 im Mai 2023 soll die Kommission das Treibhausgasbudget berücksichtigen.
Schon 2018 hatte die Kommission in einer Folgenabschätzung das THG Budget auf 48 Gigatonnen CO2, quantifiziert. Laut den aktuellsten Erkenntnissen und Entwicklungen muss es noch reduziert werden. Um den Temperaturanstieg auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau zu halten, weisen Daten aus der IPCC SR1.5-Szenarien-Datenbank ein globales THG-Budget (Kyoto-Korb) für 2018-2050 von 610-690 Gt CO2eq vor. Berücksichtigt man die derzeitige Bevölkerung der EU-27 und die in den Jahren 2018-2020 ausgestoßenen Emissionen, ergäbe sich für die EU ein THG-Budget von 24-30 Gt CO2-eq.
Artikel im Gesetz: Artikel 3, Erwägungsgrund 6a.
3) Ein unabhängiger wissenschaftlicher Klimarat
Politische Entscheidungen zur Abwendung der Klimakrise muss auf Grundlage von wissenschaftlichen Fakten basieren. Zu diesem Zweck gibt es in einigen Mitgliedstaaten schon wissenschaftliche Klimaräte. Der jetzt vorgeschlagenen Europäische Klimarat (ECCC) hat vier Kernaufgaben:
- die Bewertung der Konsistenz der bestehenden und vorgeschlagene Zielpfade der Union, des Treibhausgasbudgets und der Reduktions-Ziele gegenüber den Klima-Zielen der Union und den internationale Klimaabkommen;
- Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Verbleibs innerhalb des Treibhausgasbudgets der Union und die Erreichung der Klimaneutralität bei bestehenden und geplanten Maßnahmen;
- Beurteilung der Kohärenz der Union’s Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen mit den Zielen von Artikel 2;
- Identifizierung von Aktionen und Möglichkeiten zur Reduzierung der Emissionen und Steigerung des Kohlenstoff-Sequestrierungspotenzials; und
- Ermittlung der Klima-Folgeschäden bei Untätigkeit oder unzureichende Maßnahmen.Der Europäische Klimarat soll mit bis zu 15 unabhängigen Wissenschaftler:innen besetzt werden und auch den Austausch mit nationalen wissenschaftlichen Räten gewährleisten.
Artikel im Gesetz: Artikel 2b (new)
4) Klimaverträgliche Finanzmittelflüsse und das Verbot von Subventionen für fossile Energieträger
Das EU Parlament verankert die Umsetzung des Artikel 2(1) c des Pariser Abkommens nach dem private und öffentliche Finanzmittelflüsse mit dem Wandel zur Klimaneutralität in Einklang zu bringen sind. Die EU Kommission soll jedes Jahr offenlegen, ob ihre Ausgaben mit den Klimazielen übereinstimmen und welcher Anteil der Ausgaben den Kriterien der Taxonomie über nachhaltige Finanzierung entspricht. Weiteres wird die EU und ihre Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet alle indirekten oder direkten Subventionen für fossile Brennstoffe abzuschaffen - beispielsweise die Nicht-Besteuerung von Kerosin. Wie das investigative Recherchenetzwerk Investigate Europe aufzeigt, sind das in der EU jedes Jahr 137 Milliarden Euro.
Artikel im Gesetz: Artikel 4a (new)
5) Ein Recht auf Klimaschutz
Hier wird die Aarhus-Konvention umgesetzt. Es geht darum, die Mitgestaltung der Bürger:innen und auch NGO's bei den nationalen Energie- und Klimaplänen (NECPs) zu garantieren und ihnen das Recht zu geben, wenn sie a) nicht gehört wurden oder sie b) Zweifel an der fachlichen Richtigkeit der NECPs haben, diese vor Gericht überprüfen zu lassen.
Artikel im Gesetz: Artikel 2 und 11a als Einschub in der Governance Verordnung (2018/1999)
6) Eine sektorale Roadmap
Hier soll auf Sektorenebene analysiert werden, wie die Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden soll. Beispielsweise im Verkehrs- oder Industriesektor. Nicht nur die Liberalen im Parlament forderten diesen Schritt, sondern auch Vertreter der chemische Industrie (siehe Änderungsvorschlag 145 3a). Das zeigt einmal mehr: die Industrie ist der Politik voraus und setzt auf klare Orientierungspunkte. Mit dieser Roadmap können wir die Investitionszyklen planen und genau aufzeigen, wie wir von einer fossilen Industrie zur Dekarbonisierung gelangen und die Industrie bestmöglich dabei unterstützen. Die Roadmap ist nichts anderes als ein Investitions- und Umstiegsplan für die Industrie.
Artikel im Gesetz: Artikel 3a
Wie reagieren einige EU-Mitgliedsstaaten?
- Der Europaausschuss des Dänischen Parlaments hat am 7. Oktober seine Position im Zuge der EP-Abstimmungen angepasst und unterstützt ein 65 Prozent Reduktionsziel, einen Zielpfad mit 5-Jahres-Zwischenschritten, einen Revisions Mechanismus sowie einen wissenschaftlichen Beirat. (DK Folketinget Europaudvalget, 7/10/2020)
- Finnland kündigt an, seine Ambitionen auf 60 Prozent hochzuschrauben. Die Ankündigung kam vom finnische Umweltminister.
Next Steps
14. Oktober: COM-Treffen
Europäische Kommission erörtert zentrale energiepolitische Fragen, legt Bericht zur Lage der Energieversorgung der Union vor inkl. Bewertung der nationalen Energie- und Klimapläne.
15.&16. Oktober: EUCO
Der Schwerpunkt liegt in erster Linie beim Brexit, aber auch die Vorschläge der Kommission und des Europäischen Parlaments zum Klimaziel 2030 werden in Angriff genommen. Der EUCO hat es in der Hand.
23. Oktober: Umweltrat
In Luxemburg werden die EU-Umweltminister über das Klimagesetz und das 2030-Ziel sprechen. Der Rat kann Schlussfolgerungen mit einer politischen Position verabschieden - er ist das Gremium, das die formale Entscheidung trifft. Durch die zu erwartende fehlende Ausrichtung des EUCO zum Klimaziel wird kein Ziel erwartet. Dies ist eines von vier jährlichen Treffen.
10./11. Dezember: EUCO
Sollten sich die Staats- und Regierungschefs nicht vorher auf eine Anhebung des Klimaziels für 2030 einigen, was wahrscheinlich ist, ist dieses Treffen wahrscheinlich die letzte Chance, dies bis Ende 2020 noch zu tun.
12. Dezember:
5. Jahrestag zum Pariser Klimaabkommenveranstaltet von UK/UN
17. Dezember: Umweltrat
Sollte eine Entscheidung über das Klimagesetz und das Ziel für 2030 nicht schon im Oktober getroffen werden, so ist dieses Treffen eine weitere Chance dazu.