Luftreinheit: Startschuss für Gesetzgebungspozess im EU-Parlament

Berichterstatter legt Entwurf vor

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher und Verhandlungsführer für die Grünen im EU-Parlament, kommentiert den Berichtsentwurf für die Revision der Luftreinhalte-Richtlinie im Parlament:

Den Worten müssen jetzt endlich Taten folgen. Luftverschmutzung ist ein massives Gesundheitsproblem für alle Menschen in Europa und führte 2020 zu über 310.000 vorzeitigen Todesfällen. Gerade leben 97 Prozent der städtischen Bevölkerung in der EU in Gebieten mit schlechter Luftqualität. Die Alarmglocken läuten und die EU-Kommission stellt auf Durchzug. Das entspricht nicht unserer Vorstellung von gesundem Leben in Europa. Die WHO hat uns einen Fahrplan für ein gesundes Leben vorgelegt. Dieser muss umgesetzt werden!

Der Berichtsentwurf von meinem Kollegen Javier Lopez geht einen großen Schritt in die richtige Richtung. Er passt die Grenzwerte den Empfehlungen der WHO an. Seine Vorschläge basieren also auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen - so geht policy-making! Leider sollen diese Grenzwerte weiterhin erst ab 2030 gelten. Das muss schneller gehen! Wir müssen mit der Luftverpestung aufhören, und zwar ohne Zögern.

Hintergrund vom 27. Februar 2023

Was ist die Ambient Air Quality Directive (AAQD)?

Der Entwurf des sozialdemokratischen Berichterstatters, Javier Lopez, für den Parlamentsbericht zu den Luftqualitätsstandards wurde am 27. Februar 2023 unterbreitet. Nun haben die anderen politischen Gruppierungen im Parlament bis zum 29 März, um Änderungsanträge zu dem Bericht zu stellen.

Der Vorschlag zur Überarbeitung der AAQD wurde am 26. Oktober 2022 als Teil des Pakets "Zero Pollution Package" von der EU-Kommission.

Die Überarbeitung wurde in der Green Deal-Mitteilung vom Dezember 2019 mit dem Ziel angekündigt, "die Luftqualitätsstandards stärker an die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation anzugleichen".

Im März 2021 nahm das EU-Parlament einen Initiativbericht (Berichterstatter: Javier Lopez, S&D) an, in der die Kommission aufgefordert wurde, "die EU-Luftqualitätsstandards zu aktualisieren, sobald die neuen WHO-Leitlinien verfügbar sind" und die EU-Standards an die WHO-Empfehlungen anzugleichen.

Die neuen WHO-Luftqualitätsleitlinien wurden im September 2021 veröffentlicht. Die vorherige Version stammt aus dem Jahr 2005. Die neuen Leitlinien stützen sich auf eine Vielzahl wissenschaftlicher Erkenntnisse über die gesundheitlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung. Für einige Schadstoffe sind die empfohlenen Höchstwerte deutlich niedriger als die von 2005 (z. B. Stickstoffdioxid (NO2): von 40 auf maximal 10 Mikrogramm/m3/Jahr; Feinstaub (PM2,5): von 10 auf maximal 5 Mikrogramm/m3/Jahr).

Was steht im Berichtsentwurf von Berichterstatter Javier Lopez?

Javier Lopez schlägt in seinem Berichtsentwurf vor, die Zielwerte für 2030 den Empfehlungen der WHO anzupassen. Außerdem möchte er einen verbindlichen Grenzwert einführen - auch für Ozon.

Der Berichtsentwurf enthält ein Rückschrittverbot, sodass zukünftig festgelegte Standards niemals unter den vorherigen Standards zurückbleiben dürfen.

Die Luftqualitätspläne werden in Vorbereitungspläne umgetauft und sollen bereits ab 2026 erstellt werden, sie sollen Maßnahmen zur Einhaltung der 2030 Grenzwerte enthalten. Mitgliedstaaten müssen Strafen ausarbeiten, die angewandt werden, falls die Pläne nicht zeitgemäß erstellt oder die darin enthaltenen Maßnahmen nicht befolgt werden.

Der Berichtsentwurf begrenzt Möglichkeiten für Mitgliedstaaten erst fünf Jahre später, also in 2035, die Grenzwerte zu erreichen, wo natürliche Emissionen zur Luftverschmutzung beitragen.

Der Berichtsentwurf stärkt die Rechte der Bürger*innen und zivilgesellschaftlicher Organisationen für Informationszugang und Zugang zur Justiz.

Was steht im Kommissionsvorschlag?

In der Richtlinie werden neue, ehrgeizigere Luftverschmutzungsgrenzwerte für das Jahr 2030 festgelegt. Aber es bleibt unklar, wie die Mitgliedstaaten die schrittweise Anpassung an diese Grenzwerte bis 2030 planen und nachweisen müssen.

In der Richtlinie werden einige Grenzwerte für das Jahr 2030 festgelegt, die nicht mit den WHO-Empfehlungen für 2021 übereinstimmen. Für Ozon wird nur ein Zielwert, allerdings kein Grenzwert festgelegt, entgegen der WHO Empfehlungen. Im Initiativ-Bericht fordert das EU-Parlament, die Grenzwerte der Richtlinie an die WHO-Werte für 2021 anzugleichen und dann einen regelmäßigen Überprüfungsmechanismus einzubauen, um die EU-Werte an weitere/neue Ausgaben der WHO-Leitlinien anzugleichen.

air pollution limits eu-commission

Lufreinhaltungspläne, in denen Maßnahmen beschrieben werden, wie die Luftqualitätsstandards eingehalten werden sollen, müssen erst ab frühestens 2028 fertiggestellt werden. Nur maximal 2 Jahre vor dem Zieljahr 2030.

Keine Strafen sind vorgesehen, falls die Grenzwerte bis 2030 nicht erreicht werden. Es müssen nur neue Luftqualitätspläne erstellt werden.

Für einige Substanzen, deren Schädlichkeit für die Gesundheit bereits bewiesen ist, so wie Ruß oder ultrafeine Partikel, werden weder Grenz- noch Zielwerte festgelegt. Sie müssen nach dem Kommissionsvorschlag allerdings an den sogenannten "monitoring supersites“ gemessen werden.

Bürger*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen bekommen mehr Mitspracherechte und auch ausdrücklich Zugang zur Justiz.  

Einige Fakten zur Luftverschmutzung

Die Überschreitung der EU-Luftqualitätsgrenzwerte für Stickstoffdioxid in ganz Europa ist in erster Linie auf den Straßenverkehr zurückzuführen, während die meisten Überschreitungen bei Feinstaub auf das Heizen von Haushalten zurückzuführen sind, so die EUA in ihrer im Februar veröffentlichten Bewertung der Luftqualitätspläne.

Luftverschmutzung ist das größte umweltbedingte Gesundheitsrisiko in Europa und verursacht nach Angaben der EUA mehr als 300 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr.

Luftverschmutzung wird mit Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfällen und Krebs in Verbindung gebracht.
Im Jahr 2019 überschritten 16 EU-Länder den EU-Tagesgrenzwert für Feinstaub (PM10), vier den Jahresgrenzwert für Feinstaub (PM2,5), 19 den für Ozon und 18 den für Stickstoffdioxid (NO2).

Luftverschmutzung verursacht erhebliche menschliche und wirtschaftliche Kosten, wie z. B. eine geringere Lebenserwartung, höhere medizinische Kosten, eine geringere Arbeitsproduktivität, eine Verschlechterung der Ökosysteme, einen Verlust an biologischer Vielfalt und einen Klimawandel. Die Kosten der Luftverschmutzung für die Gesellschaft, die Gesundheit und die Wirtschaftstätigkeit in Europa belaufen sich insgesamt auf 330 bis 940 Milliarden Euro pro Jahr, aber die Kosten aller Maßnahmen, die zu einer Verbesserung der Luftqualität führen, betragen 70 bis 80 Milliarden Euro pro Jahr (Quelle: Bericht des Forschungsdienstes des EP "EU-Politik zur Luftqualität: Umsetzung ausgewählter EU-Rechtsvorschriften", 2021).

Nach Schätzungen der Kommission könnte die vollständige Umsetzung der bestehenden EU-Rechtsvorschriften zur Luftreinhaltung bis 2030 zu einem Nettonutzen von bis zu 42 Mrd. EUR pro Jahr führen, insbesondere aufgrund niedrigerer Mortalitäts- und Morbiditätsraten (Quelle: Forschung zur Unterstützung des zweiten Clean Air Outlook).

Der Bericht des Air Quality Life Index (AQLI) für das Jahr 2021 zeigt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in Europa um vier Monate steigen würde, wenn die Grenzwerte für die Luftverschmutzung den (alten?) Standards der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprächen, und dass die Gewinne in den am stärksten verschmutzten Gebieten des Kontinents noch höher wären.

Zeitplan

  • Am 26. Oktober stellte die EU-Kommission den Gesetzesentwurf vor.
  • Jetzt ist es am EU-Rat und dem EU-Parlament, ihre jeweiligen Positionen auszuarbeiten. Für die Grünen im EU-Parlament verhandelt Michael Bloss.
  • Am 27. Februar 2023 reichte der sozialdemokratische Berichterstatter Javier Lopez seinen Entwurf für die Position des Parlaments ein. Jetzt haben die unterschiedlichen politischen Gruppierungen bis zum 29. März Änderungsanträge zu diesem Entwurf schriftlich einzureichen. Ziel ist es, bis Juli 2023 eine fertige Parlaments-Position zu haben.
  • Im EU-Rat ist der Zeitrahmen noch nicht festgelegt, aber es ist nicht mit einer Einigung zwischen Mitgliedstaaten zu einer gemeinsamen Position vor Oktober 2023 zu rechnen.
  • Trilogverhandlungen zwischen EU-Parlament, EU-Rat und EU-Kommission können also frühestens im Herbst 2023 beginnen. Ein Ergebnis ist nicht vor Frühjahr oder Sommer 2024 zu erwarten.

Gesetzesentwurf des Rapporteurs Javier Lopez

Parlaments-Brief an die EU-Kommission von Michael Bloss