Michael Bloss, industrie- und klimapolitischer Sprecher der Grünen und Mitverhandler der EU-Klimaziel 2040 im Industrieausschuss kommentiert die Entwicklungen:
Das ist ein Frontalangriff auf den Klimaschutz durch die deutsche Bundesregierung. Merz weiß ganz genau: Wer Europas Klimaziele der Willkür von Viktor Orban unterwirft, beerdigt sie. Das ist kein Aufschub, das ist das geplante Scheitern des europäischen Klimaschutzes. Und ein Angriff auf die deutschen Klimaziele, die der CDU sowieso ein Dorn im Auge sind.
Damit bricht die Bundesregierung nicht nur den eigenen Koalitionsvertrag, sie zerstört jede Planbarkeit für die deutsche und europäische Industrie, die dringend auf klare Ziele für ihre Milliardeninvestitionen in Zukunftstechnologien angewiesen ist.
Dieses Manöver geht am demokratischen Verfahren im Europäischen Parlament vorbei und macht die EU international handlungsunfähig. Gerade jetzt, wo die USA das Pariser Klimaabkommen verlassen, blickt die Welt auf uns. Statt Führung zu zeigen, wird Europa mit leeren Händen zur nächsten Weltklimakonferenz fahren.
Die europäischen Klimaziele stehen und fallen mit dem Votum der deutschen Bundesregierung. Ich fordere Kanzler Merz auf, seiner Verantwortung als europäische Vorreiterrolle gerecht zu werden. Alles andere wäre ein Verrat an der Klimaresilienz, Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit Europas.
Zum Hintergrund
Deutschland verhindert ein europäisches Klimaziel
Auf EU-Ebene wird derzeit über ein Klimaziel für 2040 verhandelt. Bislang gibt es auf EU-Ebene nur Ziele für 2030 und 2050. Auch auf nationaler Ebene haben bisher die wenigsten Mitgliedsstaaten verbindliche Ziele für 2040 gesetzt (nur Deutschland, Finnland, Griechenland, Portugal und Schweden).
Dieses Klimaziel für 2040 bildet den Fixpunkt für die europäische Klimapolitik der nächsten Jahre: Auf Basis dieser Festlegung werden die verabschiedeten Klimaschutzgesetze (der EU-Emissionshandel, CO2-Standards für Pkw etc.) daraufhin überprüft werden müssen, ob sie mit dem 2040er-Ziel kompatibel sind oder die Mitgliedstaaten und die EU noch nachsteuern müssen. Damit wird das Klimaziel für 2040 mittelbar auch entscheidend für Investitionsentscheidungen von Unternehmen, die europäische Wettbewerbsfähigkeit, und die europäische Unabhängigkeit von fossilen Energien.
Der Prozess bei den Mitgliedsstaatenim Rat droht zu scheitern
Die EU-Kommission hat Anfang Juli einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der ein Emissionsreduktionsziel von -90% gegenüber 1990 für das Jahr 2040 vorsieht. Derzeit wird parallel im Rat auf Ebene der Umweltminister:innen und im Parlament darüber verhandelt.
Die dänische Ratspräsidentschaft hat eine Sondersitzung für den 18. September angesetzt, um dort über das 2040er-Ziel zu entscheiden. Teile der Bundesregierung unterstützen jedoch den Vorstoß Frankreichs, diese Abstimmung nicht in diesem Gremium zu treffen, sondern sie auf die Ebene der Staats- und Regierungschefs zu heben. Das würde nicht nur eine Verzögerung des Prozesses bedeuten (die Staats- und Regierungschefs tagen erst am 23. Oktober wieder), sondern voraussichtlich auch ein Scheitern des Klimaziels insgesamt. Denn die Umweltminister:innen entscheiden in den meisten Fällen mit qualifizierter Mehrheit (55% der Mitgliedstaaten, die gemeinsam mindestens 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren); auf höchster Ebene hingegen werden Entscheidungen in der Regel im Konsens getroffen. Einen Konsens in dieser Frage zu finden erscheint jedoch nahezu ausgeschlossen, Ungarn, Polen und einige weitere Staaten haben bereits angekündigt, dass sie einem 90%-Ziel nicht zustimmen werden. Es droht also ein Scheitern des Prozesses - oder jedenfalls eine massive Aufweichung des Kommissionsvorschlags.
Die Union blockiert das Klimaziel - entgegen des Koalitionsvertrags
Deutschland spielt in dieser Frage eine entscheidende Rolle. Wenn sich Deutschland für eine Verschiebung ausspricht - oder sich in dieser Frage enthält - erscheint eine Entscheidungsfindung am 18. September kaum noch möglich.
Bundesumweltminister Carsten Schneider bekräftigte in den letzten Tagen mehrfach, an dem bisherigen Zeitplan und der Unterstützung für das 90%-Ziel festzuhalten. Das CDU-geführte Kanzleramt und das Bundeswirtschaftsministerium unterstützen hingegen den Blockadehaltung Frankreichs.
Damit stellen sie sich auch gegen den deutschen Koalitionsvertrag, der sich klar zu einem europäischen Klimaziel von 90% bekennt, unter der Voraussetzung, dass erstens in Deutschland nicht mehr reduziert werden muss als mit dem deutschen Klima-Zwischenziel für 2040 vorgesehen ist und zweitens drei Prozentpunkte des 2040-Ziels durch die Anrechnung internationaler Gutschriften abgedeckt werden sollen. Beide Aspekte sind mit dem Kommissionsvorschlag vereinbar: Die Anrechnung von 3% internationaler Gutschriften sind enthalten und das deutsche Klimaziel für 2040 liegt höher als der EU-Vorschlag, bei -91% (88% Emissionsreduktion + 3% durch Kohlenstoffsenken).
Der Bundesregierung verbleibt nicht mehr viel Zeit, denn eigentlich muss sie bis Freitag, 12. September ihre Position an den Ausschuss der Ständigen Vertreter übermitteln, der den EU-Umweltrat für den 18. September vorbereitet.
Damit hängt auch der Prozess im Parlament fest
Parallel zum Rat wird derzeit auch im Europäischen Parlament verhandelt. Allerdings hatte die EVP schon im Juli gegen ein Eilverfahren gestimmt, weil sie nicht vor dem Rat eine Entscheidung treffen wollte. Derzeit ist die Entscheidung für eine Abstimmung im Umweltausschuss für den 24. September angesetzt und im Plenum für Anfang Oktober. Damit steht dieser Zeitplan durch die Blockade im Rat ebenfalls auf der Kippe.
Die EU riskiert ihre internationale Glaubwürdigkeit Auch über Europa hinaus ist dieses Klimaziel von großer Bedeutung. Denn nach dem Pariser Klimaabkommen wäre die EU verpflichtet gewesen, bereits im Februar 2025 ihr Klimaziel für 2035 (National Determined Contribution, NDC) auf UN-Ebene anzumelden. Selbst die erweiterte Deadline läuft am 24. September aus. An diesem Tag findet ein High-Level-Event in New York statt - und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen droht mit leeren Händen dort zu stehen.
Das 2035er-Ziel soll aber als Zwischenziel zwischen 2030 und 2040 aus dem 2040er-Ziel abgeleitet werden - und so stecken beide Prozesse gerade fest. Gerade nach dem Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen ist ein starkes Klimaziel der EU, des viertgrößten Emittenten weltweit wichtig, um wieder eine positive internationale Dynamik auszulösen.