Das Europäische Klimagesetz kommt wissenschaftlich betrachtet wohl 30 Jahre zu spät. Aber nun ist es da. Und es bringt eine Menge Klima-Instrumente mit, die das Haus löschen können, das vor Jahrzehnten Feuer fing.
Dieser Gastbeitrag erschien am 7. Oktober bei energieZukunft.
“Beim Klima ist eigentlich alles, was schiefgehen konnte, schiefgegangen.” Diese Worte stammen vom Klimaforscher Schellnhuber, dem ehemaligen Direktor des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Die ZEIT hatte ihn und andere Forscher zum Gespräch eingeladen. Das Ergebnis waren ehrliche aber zutiefst verstörende Antworten eines Klimaforschers.
Wer die Klimawissenschaft verstehen will, der muss einige Jahrzehnte zurückgehen. Anfang der 1990er Jahre ging ein Hauch von Wandel durch die Klimapolitik Europas. Die damalige EG-Kommission legte dem Ministerrat einen Richtlinienvorschlag vor, die zur Einführung einer CO2- und Energiesteuer geführt hätte. In einem Artikel von 1992 erklärt Hans-Wilhelm Schiffer ausführlich, was dies für Deutschland bedeuten würde.
Die Einführung eines CO2-Preises 1993 auf Braunkohle von 30,30 DM pro Tonne, der dann im Jahr 2000 auf 101 DM gestiegen wäre. Heute wären wir dann vermutlich dort, wo uns die Wissenschaft sagt: 180 Euro pro Tonne.
Wie die Geschichte ausging, wissen wir. Der Europäische Emissionshandel hat über Jahre versagt und kommt nur schleppend voran. Die Einführung eines nationalen CO2-Preises in Deutschland kommt zu spät und wird vorerst wenig Wirkung entfalten.
Das klimatologische Ergebnis sehen wir heute. Vor Jahrzehnten fing unser Haus Feuer. Kaum merklich breitete es sich wie ein Schwelbrand aus. Doch die globalen Emissionen stiegen weiter an. Wenn nicht gerade eine Wirtschafts-, Finanz- oder Gesundheitskrise in Form eines kurzen Regenschauers daherkam, ging es nach oben. Die Folgen sind dramatisch. 2020 erleben wir Extrembrände, Extremwetterlagen, Dürren und Waldsterben und wir sind noch nicht dort, was uns bei drei oder vier Grad bevorsteht.Jetzt aber hat das Europäische Parlament ein Klimagesetz beschlossen. Ein Löschfahrzeug, das klimapolitisch vor 30 Jahren notwendig gewesen wäre. Und das Fahrzeug hat einige praktische Instrumente im Kofferraum.
Zum ersten Mal hat eine Europäische Institution ein Klimaziel für 2030 beschlossen, das eine 60-prozentige CO2-Reduktion vorsieht, verglichen mit 1990.Das sind 20 Prozentpunkte mehr Ambition als das bisherige 40-Prozent-Ziel, aber immer noch nicht genug, um das 1,5-Grad-Ziel wirklich einzuhalten. Dennoch macht das EU-Klimagesetz Hoffnung.
Denn im Kofferraum des Löschfahrzeuges befinden sich ein CO2-Budget, ein Klimarat, das Recht auf Klimaschutz für die Bürger:innen sowie das Verbot von Subventionen für Fossile. Das sind Meilensteine in der Klimapolitik. Damit lässt sich das europäische Haus löschen.
1. Das CO2-Budget
Jedes Jahr werden mehr Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre emittiert. Relevant für die Klimakrise ist die Summe aller CO2-Emissionen. Dieses soll beschreiben, wie viel Tonnen CO2 in der EU bis zum Jahr 2050 insgesamt noch ausgestoßen werden darf, um das Pariser Klimaziel zu erreichen. Grundlage dafür wird der IPCC-Bericht sein.
Der deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen hat berechnet, dass die EU noch ca. 47 Gigatonnen CO2 zur Verfügung hat. Damit könnte ein 1,65-Grad-Ziel erreicht werden. Die EU stößt im Jahr ca. 3,75 Gigatonnen CO2 aus.
Spannend ist auch, dass bisherige Instrumente, wie der CO2-Zertifikatehandel (ETS) und auch die Klimagesetze im Nicht-ETS-Bereich schon ein CO2-Budget beinhalten. Ein EU-CO2-Budget könnte diese zusammenfassen und Transparenz schaffen. Klimawissenschaftler:innen und Fridays For Future fordern dieses Instrument schon lange.
2. “Listen to Science” in Form eines Klimarats
Die Debatte um die Klimakrise muss auf Grundlage von wissenschaftlichen Fakten basieren. Zu diesem Zweck gibt es in vielen Mitgliedstaaten schon wissenschaftliche Klimaräte. Der jetzt vorgeschlagenen Europäische Klimarat (ECCC) soll konkrete Vorschläge für die EU-Klimapolitik geben.
15 unabhängige Wissenschaftler:innen sollen im Rat sitzen. Von den unabhängigen Empfehlungen erhoffen wir uns eine Versachlichung der Debatte und können konkrete Ideen ableiten.
Großbritannien macht es vor. Die britische Regierung führte bereits 2008 das unabhängige Committee on Climate Change (CCC) ein. Die acht Mitglieder kommen aus Politik und Wissenschaft und reichen jedes Jahr einen Bericht zum Stand der Treibhausgasemissionen ein. Den kann die Regierung jedoch nicht einfach übergehen. Werden die Empfehlungen des Rates nicht umgesetzt, muss die Regierung das begründen.
3. Klimaschutz soll einklagbar werden
Wir machen den Weg frei für das Recht auf Klimaschutz. Wir Bürger:innen werden damit das Recht bekommen vor nationalen Gerichten die Regierungen zu verklagen. Dabei können wir uns auf die von den Regierungen beschlossenen Klimaziele und Pläne berufen, wenn diese von den Mitgliedstaaten nicht eingehalten werden. Damit gehen wir einen Schritt weiter in der Verwirklichung des Menschenrechts auf ein gesundes Klima.
Das ist die direkte Umsetzung der Aarhus-Konvention von 1998, die von allen EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert wurden und uns als Bürger:innen den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zusteht.
4. Verbot von Subventionen für Fossilen
137 Milliarden Euro Subventionen fließen jedes Jahr in der Europäischen Union in Kohle, Öl und Gas. Deutschland allein lässt sich dieses Milliardenfeuerwerk auf Kosten des Klimas jedes Jahr 37,5 Milliarden Euro kosten. Gelder, die uns fehlen, um massiv in die Erneuerbaren Energien oder neue Bahnstrecken zu investieren. Das Klimagesetz schiebt dem jetzt ein Riegel vor.
Bis 2025 soll es keine indirekten oder direkten Subventionen für fossile Brennstoffe mehr geben. Die Nicht-Besteuerung von Kerosin oder Unterstützung für Diesel würden so entfallen. Zusätzlich muss die Kommission offenlegen, ob ihre Ausgaben mit den Klimazielen übereinstimmen.
Es liegt Arbeit vor uns...
Die Löscharbeiten beginnen jetzt. Die Klimarealität zeigt sich gerade in ihrer vollen Wucht und umso ambitionierter müssen wir handeln. Es gilt also anzupacken und das werde ich tun.
Doch einige Hausbewohner:innen blockieren die Arbeiten. Die Umweltminister:innen der EU Mitgliedsstaaten müssen den Klima-Instrumenten zustimmen. Es droht, was 1992 schon geschah: eine erneute Verschiebung der Klimapolitik auf Kosten des Klimas. Droht diese Verschiebung, werden die ökologischen Kipppunkte erreicht, droht der Klimakollaps. Niemand kann das wollen und daher mein Appell an die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze: gehen wir die Löscharbeiten gemeinsam an, gestalten wir den größten Wirtschaftsraum der Welt neu und schaffen das Fundament mit einem Klimagesetz, das Wirkung hat.