Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine, sagte einmal Helmut Schmidt. Und wir im EU-Parlament haben gestritten. Anfang Juni, über einen großen Teil des Fit For 55-Klimapaket. Dem größten Klimaschutzpaket der Welt und es wurde bis zuletzt um die Prozentzahlen bei den Klima-Ambitionen gerungen. Eine Sternstunde der Demokratie im Schmidtschen Sinne, während der Streit von einem fossilen Lobbysturm flankiert wurde. Jetzt gibt es einen neuen Deal beim europäischen CO2-Handel – was das für den Klimaschutz und unsere Arbeit bedeutet? Eine Einordnung.
Warum der CO2-Handel überhaupt so wichtig für den Klimaschutz ist
Machen wir es ganz einfach: Der Emissionshandel ist das größte Klimainstrument in der EU. Rund 40% aller CO2-Emissionen der Mitgliedsstaaten werden darüber geregelt. Über den Kauf und Verkauf von CO2-Verschmutzungsrechten wird ein einheitlicher europäischer CO2-Preis festgelegt. Dieser Klima-Mechanismus ist unser wichtigster europäischer Hebel gegen die Klimakrise. Das Prinzip ist genauso simpel wie effektiv: Wer CO2 in die Atmosphäre bläst, zahlt. Je mehr CO2 emittiert wird, desto höher die entstehenden Kosten für die betreffenden Energieunternehmen und Industrie. Der Zertifikatehandel hat nachweislich dazu geführt, dass europäische Emissionen gesenkt wurden. Warum dann neu verhandeln? Weil wir neue Klimaziele haben und die Klimarealität uns einholt.
Im sogenannten Fit for 55-Klimapaket geht es um 55% (netto) weniger Emissionen bis 2030. Alle Klima-Hebel müssen auf den Prüfstand, auch der CO2-Handel.
Angriff der fossilen (Lobby-) Allianz
Die EU-Kommission schlug im Juli 2021 ihre Reform vor. Die Emissionssenkung innerhalb des CO2-Handels sollten von rund 43 auf 61% steigen. Klingt viel? Verhältnismäßig ist es das auch, aber reicht das für die Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels? Nein. Deshalb nahmen mein Team und ich uns im Umweltausschuss des europäischen Parlaments der Sache an. Wir bereiteten bereits vor dem Juli 2021 einen Plan vor, der das Einhalten des 1,5-Grad-Klimaziels deutlich wahrscheinlicher werden ließ. Ziel war es, den Kohleausstieg 2030 EU-weit einzuleiten.
Unsere Ideen dazu waren ein rasches Ende der freien CO2-Zertifikate deutlich vor 2030, eine Einführung des CO2-Grenzausgleich ab 2025, ein CO2-Mindestpreis von 60 Euro und vieles mehr. Dabei muss ich sagen: Wir Grünen im EU-Parlament stellen einfach nicht die große Mehrheit. Die Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten sind die größten Fraktionen. Uns war klar: das wird kein leichter Ritt für den Klimaschutz und das 1,5-Grad-Klimaziel.
Monatelang stritten und verhandelten wir im Umweltausschuss. Über die Obergrenze der CO2-Zertifikate, über die Menge der freien CO2-Zertifikate, über die Ausweitung des Emissionshandels für Verkehr und Gebäude und vieles mehr. Am Ende stand ein Kompromiss, auf den ich stolz war und der sich sehen lassen konnte. Die Ambitionen sollten von 61 (Kommissionsvorschlag) auf 67% steigen! Das 1,5-Grad-Ziel war damit deutlich wahrscheinlicher einzuhalten.
Dann kam der große fossile Lobbysturm. Denn der Bericht des Umweltausschuss ist, wenn man so will, ein Stimmungsbarometer für das letztendliche Votum im Plenum – aber das kann schnell kippen. Und es kippte. Fast schon brandbriefähnliche E-Mails landeten bei uns im Postfach. Energieintensive Unternehmen und viele mehr meldete sich wütend zu Wort. Zu hohe Ambitionen, zu viel internationale Konkurrenzzu kurze Zeitspannen zur Anpassung. Die Beschwerdeliste war lang, die fossile Lobby war nicht zu übersehen.
Parallel bildete sich eine fossile Allianz im EU-Parlament. Konservativen war der Vorschlag des Umweltausschuss ein Dorn im Auge. Der Verhandlungsführer des Gesetzesvorschlags, Peter Liese, ging ein Bündnis mit den Rechten und Liberalen im Parlament ein und wollte so die Klima-Ambitionen wieder auf 61 bis 63% senken.
Der große Eklat
Für uns Grüne hieß das: es droht ein Desaster bei der finalen Abstimmung Anfang Juni. Das 1,5-Grad-Klimaziel wäre damit gefallen. Aber wir versuchten das Ruder herumzudrehen. Wir legten unseren Vorschlag aus dem Umweltausschuss am Tag der finalen Abstimmung auf den Tisch und wurden leider in unsere Schranken verwiesen. Die fossile Allianz gewann eine Teilabstimmung nach der anderen. Die Stimmung war im Keller und dann kam die finale Abstimmung am Ende – über den gesamten Bericht. Der Bericht wurde abgelehnt. Wow! Wieso?
Sozialdemokraten und Grüne sagten “Nein” zu diesem Vorschlag! Die Rechten mit polnischer PiS-Partei (ECR-Fraktion) und AfD (ID-Fraktion) hatten die fossile Allianz mit den Konservativen verlassen und auch dagegen gestimmt. Peter Liese hatte erneut keine Mehrheit. Der große Eklat im EU-Parlament brachte den gewohnten Ablauf durcheinander. Ja, so ist das manchmal. Es wird gestritten und politisch für Mehrheit gekämpft. Die Konservativen musste ein zweites Mal eine Niederlage einräumen. Irrationalerweise schoben sie uns in die Schuhe, wir hätten gemeinsame Sachen mit den Rechten gemacht. Das ist natürlich unfug, war es doch Peter Liese (CDU), der sich auf einen schmutzigen Deal mit ihnen eingelassen hatte. Der Bericht ging zurück an den Umweltausschuss.
Neue Chance für das 1,5-Grad-Klimaziel?
Im Ausschuss bildete sich ein neues Bündnis. Konservative, Liberale und Sozialdemokraten ließen durchscheinen, dass sie gemeinsam einen Kompromiss finden können. Und es war wichtig, dass die Klima-Ambitionen wieder stiegen, die CO2-Verschmutzungsparty endet. Also hielten mein Team und ich etlich Gespräche mit den Sozialdemokraten und Liberalen. Am Ende war klar: Die Ambitionen steigen – wenn auch nur leicht, die CO2-Verschmutzungsparty endet 2032.
Ist das die Chance zur Einhaltung für das 1,5-Grad-Klimaziel? Leider nein. Das ist ernüchternd, es ist frustrierend, aber es ist ein demokratischer Prozess, auf den mein Team und ich dennoch stolz sind ihn begleitet und in ihm gestritten und gekämpft zu haben. Es ist, und das ist mir wichtig, der Mindeststandard für den Klimaschutz, den wir hier verteidigt und errungen haben. Das Ende der Klima-Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Eins ist klar, um Europa dennoch wieder auf einen Kurs zu bringen, der mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar ist, brauchen wir andere Mehrheiten im EU Parlament
Klimarealität trifft auf Wirklichkeit
Angesichts von vor-sommerlichen Hitzewellen samt Wasserknappheit und drohenden Ernteausfällen in Europa, Tausenden tot umkippenden Kühen und austrocknende Seen in den USA, ist die Klimarealität mehr als nur ein Warnzeichen. Sie ist bittere Realität und sie wird heftiger.
Sie vermischt sich mit einer Energiekrise, die auf einer jahrzehntelangen, politisch gewollten und entschiedenen Vergangenheit beruht. Kohle, Öl und Gas sind nicht nur Antreiber der Klimakrise, sie sind auch die Fesseln unseres Wohlstands und damit Sicherheit. Sie treiben die Kosten für uns Bürger*innen seit Monaten über Strom- und Heizkosten in die Höhe, weil Putin uns mit seinem Gashahn und schmutzigen Öl in seinen Händen hält. Sie halten uns in Atem, weil wir im Herbst und Winter diesen Jahres nicht genug Gas haben könnten.
Die Klimarealität ist wie ein großer Schatten und sie trifft auf eine wirtschaftliche Wirklichkeit, die dazu völlig asynchron ist. Das 1,5-Grad-Klimaziel würde bedeuten, unser CO2-Budget ist in rund sieben Jahren ausgeschöpft. Das wäre schon mit dem Vorschlag des Umweltausschuss extrem schwierig geworden, aber eben nicht gänzlich unmöglich. Bis nach 2030 soll es jetzt aber noch freie CO2-Zertifikate geben, weil CO2-neutrale Hochöfen noch gebaut werden müssen, die Energieversorger noch immer Braunkohle aus der Erde schaufeln und in die Rachen uralter und nimmersatter Kohlekraftwerke werfen. Das umzustellen braucht Jahre, die wir nicht mehr haben und ist ein Ergebnis eines Mythos “Industrie vs. Klimaschutz” – weil der Mut oder der Wille in der Vergangenheit nicht da war, konsequent beides zusammen zu denken. Diese wirtschaftliche Wirklichkeit, sie trifft auf eine Klimarealität.
Wie es jetzt weitergeht
Das Ende vom Lied ist aber noch lange nicht gesungen. Für mich ist klar: Aufgeben ist keine Alternative. Wir haben gemeinsam den fossilen Lobbysturm abhalten können und zusammen die fossile Allianz verhindert. Das ist großartig. Dafür bin ich Euch so unendlich dankbar, denn der Support war massiv. Das alles in einem demokratischen Haus für 27 Länder zu koordinieren, war echt nicht leicht. Für meine politische Entscheidung bedeutet das, dass ich nächste Woche mit dem Bündnis stimmen werde. Als konstruktive, demokratische und fordernde Kraft, ist das meine Aufgabe.
Denn eine letzte Herausforderung wartet noch auf uns. Im Herbst und Winter diesen Jahres geht es in die letzte Verhandlungsrunde mit dem europäischen Rat – also den EU-Mitgliedsländer. Hier droht eine Aufweichung des Beschlusses und das will ich verhindern. Das kann ich aber nur, wenn ich mit am Tisch sitze.
Es geht meinem Team und mir also darum, dieses Bündnis für den Mindeststandard beim Klimaschutz zu unterstützen und weiter an jedem Klima-Hebel anzusetzen, der sich uns noch bieten wird. Denn eines ist klar: Eine Welt über zwei Grad Klimaerhitzung, können wir uns nicht leisten. Packen wir es also wieder an.