Ich gebe zu: Europas Klimapolitik ist zäh und kann verwirrend sein. Begriffe wie Fit for 55 lassen einen eher an Aerobic für Frührentner*innen erinnern, als vielmehr dem ehrgeizigsten und weltweit einzigartigen Klimaschutzvorhaben auf dem europäischen Verhandlungstisch. Die Taxonomie klingt erst einmal nach Steuern, soll aber ein Standard für nachhaltige Investitionen bilden und RePowerEU klingt wie eine Stromsparwerbung als vielmehr ein Plan für Europas Energieunabhängigkeit als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg.
All diese Begriffe bedeuten aber am Ende: Klimaschutz. Die Frage ist nur: Wieviel Klimaschutz steckt in diesen Begriffen? Und was wurde davon am Ende im EU-Parlament übrig gelassen? Bevor mein Team und ich in die Sommerpause gehen, wollen wir kurz Revue passieren lassen, was wir erreicht haben. Vorab aber ein großes Dankeschön an Euch und eine virtuelle Umarmung aus Brüssel. Ohne Eure Unterstützung, hätte mein Team und ich niemals die Kraft und das Durchhaltevermögen gehabt, den Klimaschutz gegen viele Widerstände zu retten, zu entwickeln, zu verteidigen.
Der Fit For 55-Marathon
Fit For 55 – der Aerobic für Frührentner*innen, ist in Wirklichkeit das größte Klimaschutzpaket der Welt. Mit diesem Fahrplan soll sichergestellt werden, dass die CO2-Emissionen in allen Mitgliedsstaaten bis 2030 um 55% netto gegenüber 1990 gesenkt werden. Von A wie Abfall bis Z wie Zwei-Grad-Ziel wird hier alles aufgegriffen und neu verhandelt, Europa soll für die Klimaneutralität fit gemacht werden. Dieser Fahrplan wurde erstmals im Juli 2021 von der EU-Kommission vorgelegt und seit dem wild diskutiert. Was genau war enthalten?
Der Ausbau der Erneuerbaren bis 2030, wie wir Energie speichern, Gebäude dämmen, die Industrie fit für die Klimaneutralität machen, E-Ladestationen bauen, den Verbrenner für das Auto verabschieden und und und… Es ist wirklich gigantisch und sorgte für viel Diskussionsbedarf – vor allem in den Verhandlungen und Abstimmungen der letzten Monate.
Das Emissionshandel-Epos
Der größte Klimahebel in diesem Klimapaket ist der CO2-Handel innerhalb Europas – der entscheidend für die Einhaltung der Pariser Klimaziele ist. Als Schattenberichterstatter war ich bei den Verhandlungen von Anfang an dabei, und zunächst sah es gut aus für die Klimaschutz-Bazooka CO2-Handel. Dessen Prinzip ist dabei bestechend simpel wie effektiv: Wer CO2 emittiert, zahlt, je oller je doller. Damit ist der Handel der marktwirtschaftliche Anreiz, mit dem sich eine CO2 neutrale Wende herbeileiten lässt. Entscheidend für die Wirksamkeit dieses Instruments ist dabei zum einen die Höhe des Preises, als auch die Geschwindigkeit wie schnell dieser angehoben wird. Dafür hatten wir eingangs einen 1,5-Grad-kompatiblen Kompromiss im Umweltausschuss des EU-Parlaments gefunden. Doch leider kommt es in der Politik oft anders als gedacht. Unter Peter Liese von den Konservativen, dem Verhandlungsführer des CO2-Handels im Ausschuss, bildete sich kurz vor dem finalen Votum im Juli eine fossile Allianz, die den ursprünglichen Beschluss zu kippen drohte.
Deren Änderungsantrag weichte den neuen Zertifikatehandel entscheidend auf, denn – wie so oft – steckt der Teufel im Detail. In diesem Falle bei den freien Zuteilungsrechten für die Industrie und der Höhe des zukünftigen CO2-Preises. Im letzten Moment gelang es uns jedoch, die fossile Allianz in der Plenarsitzung zu brechen, denn der Antrag wurde in der finalen Abstimmung gekippt. Das war ein Novum in der Geschichte des Parlaments, der neue CO2-Handel musste damit erneut verhandelt werden, Peter Liese sich neue Mehrheiten suchen. Nach weiterem Ringen um Prozentzahlen und technische Details im Ausschuss stand dann, zwei Wochen später, der finale Beschluss, dem auch ich zugestimmt habe. Ergebnis für den Klimaschutz: Der neue Zertifikatehandel ist in dieser Form nicht 1,5-Grad-konform, eine bittere Niederlage für den Klimaschutz, aber mehr ging leider nicht. Meine Zustimmung gab es nur, um weiterhin konstruktiv an den finalen Verhandlungen zwischen Parlament und EU-Rat mitwirken zu können.
Mammutaufgabe Mobilitätswende
Ein anderer zentraler Punkt Mammutaufgabe die Dekarbonisierung des Mobilitätsbereichs. Denn der CO2-Gesamtausstoß der EU fiel seit 1990 um 24%, die Emissionen im Straßenverkehr stiegen jedoch steil an – um ganze 24%. Die E-Mobilität ist der Schlüssel für die CO2-Neutralität des privaten Straßenverkehrs, doch hierfür müssen zunächst die geeigneten Bedingungen geschaffen werden. Als Verhandlungsführer für die alternative Infrastruktur im Industrieausschuss war das meine Aufgabe und hier konnten wir einen Erfolg auf der Straße zur Klimaneutralität verbuchen.
Denn bis 2025 – fünf Jahre vor dem Vorschlag der Kommission – soll es ein flächendeckendes E-Ladenetz in ganz Europa geben. Damit ist der Weg frei für geräuschloses, elektrisches emissionsfreies Reisen von Stockholm bis nach Athen, und das schon in drei Jahren. Dabei soll die Ladeinfrastruktur vereinheitlicht werden, das heißt Schluss mit unterschiedlichen Steckern, einer Myriade verschiedener Apps und intransparenter Preispolitik.
Alles hat ein Ende, nur ...
Das trifft auf den nächsten Verhandlungspunkt, den CO2-Flottengrenzwerte nur so halbwegs zu. Hinter dem sperrig klingenden Begriff verbirgt sich faktisch das Aus des Verbennungsmotors auf europäischer Ebene. Der Zankapfel während der Verhandlungen des letzten halben Jahres: Wann und wie sollte es kommen?
Dabei ist klar: Für ambitionierten Klimaschutz bräuchten wir ein möglichst frühes Datum, wir Grünen haben uns daher bereits für ein Aus ab 2030 eingesetzt. Doch hier bremste eine Front der ewiggestrigen Verbrennerfans bis zuletzt den letztendlichen Beschluss aus. Das Ergebnis der Plenarabstimmung im Juli: Das Verbrenneraus kommt ab 2035. Doch selbst damit gaben sich Fans der “Technologieoffenheit” nicht zufrieden. Lindner, Wissing & Co. versuchten in den anschließenden Ratsverhandlungen Hintertüren für die veraltete Technologie zu schaffen und den Beschluss aufzuweichen. Seit letzter Woche steht nach einem halben Jahr zähen Verhandlungen endgültig fest: Der Beschluss steht, ab 2035 dürfen in Europa ausschließlich PkWs und Vans ohne Verbrennermotor zugelassen werden. Angesichts des energischen Widerstands ist das ein echter Erfolg für dieses Prestigeprojekt, auf den ich stolz bin.
Der Taxonomie-Thriller
Der Thriller-Marathon wurde parallel gelaufen. Denn während wir uns um den Emissonshandel, das Verbrenner-Aus oder das E-Ladenetz kümmern mussten, ging es heiß her um den einheitlichen Standard für Nachhaltigkeit im Finanzbereich – die EU-Taxonomie. Im Prinzip, eine vernünftige und dringend notwendige Idee, um Greenwashing im Finanzbereich zu verhindern und endlich einheitliche Kriterien für nachhaltige Investments festzulegen. Den Taxonomie-Thriller, wie er sich dann im letzten halben Jahr ereignet hat, hatte ich so allerdings nicht erwartet. Denn kurz vor Mitternacht – am 31. Dezember 2021 - veröffentlichte die Kommission den “grünen” Zusatz: Atomkraft und fossiles Erdgas sollten hinzugefügt werden, also auf eine Stufe mit Sonnen - und Windkraft gestellt werden. Das ist nichts anderes als Greenwashing und führt die Taxonomie von Beginn an ad absurdum. Welchen Mehrwert hat ein Nachhaltigkeitslabel, das selbst nicht nachhaltig ist? Ein Standard, der Greenwashing verhindern soll, während die Taxonomie aber genau dasselbe tut?
Für mich war klar: Die Kommission darf damit nicht durchkommen und so begleitete mich der Widerstand gegen die Taxonomie konstant durch das letzte halbe Jahr, von Tag eins des neuen Jahres an. Denn das EU-Parlament hatte seit Veröffentlichung dieses sogenannten delegierten Rechtsaktes sechs Monate Zeit, um eine gemeinsame Position mit absoluter Mehrheit zu finden. Nach zahlreichen offenen Briefen, Verhandlungen, Petitionen, Webinaren und und und, kam der erste große Showdown im Juni in den für die Taxonomie zuständigen Ausschüssen Umwelt und Wirtschaft. Hier ist uns ein erster großer Coup gelungen: Über die Parteiengrenzen hinweg wurde die Taxonomie abgelehnt! Das war ein starkes Signal für den finalen Vote im Plenary.
Und so gingen wir voller Hoffnung auf die finale Entscheidung Anfang Juli zu, überlegten uns, wie wir Mehrheiten für eine richtige EU-Taxonomie ohne Atomkraft und Erdgas erringen können. Schlussendlich aber, und das schmerzt, konnten wir keine Mehrheit finden, verbündeten sich Konservative, Liberale und Rechte erneut und ließen das Greenwashing von Atomkraft und Gas zu.
RePowerEU dreht Putin den Geldhahn zu
Einer der wohl schlimmsten Geschehnisse der letzten Jahrzehnte in Europa: Krieg. Seit 24. Februar herrscht wieder Krieg auf dem europäischen Kontinent. Putins Einmarsch in die Ukraine hat der Europäischen Union schmerzlich gezeigt, wie groß die Abhängigkeit zu Russland bei Kohle, Öl, Gas und Uran ist. Die Antwort der Kommission hierauf: RePowerEU. Das im Mai diesen Jahres vorgestellte Maßnahmenpaket zur Verringerung der Abhängigkeit von russischen Energieimporten enthält eine zentrale Forderung, die mein Team und ich ausgearbeitet hatten: den Solar Act. Denn auch die Kommission hat erkannt, dass eine europäische Solar-Strategie zentral für eine unabhängige Energieversorgung ist. Zum ersten Mal definiert die EU-Kommission klare Ziele zum Ausbau von Solarenergie. Es soll eine Solarpflicht geben, die zunächst auf gewerblichen Gebäuden, ab 2029 dann auch für Wohnhäuser gilt. Parallel soll eine Solar-Allianz der europäischen Produzenten den wirtschaftlichen Solarstandort Europa stärken. Mit RePowerEU haben wir eine energiepolitisch angemessene Antwort auf Putins Einmarsch in der Ukraine gefunden, während wir der Europäischen Energiewende einen gewaltigen Booster in Richtung CO2-Neutralität verschaffen.
Das große Aber: die Finanzierung. Leider finden sich keine neuen Gelder für diese Mammutaufgabe, also werden bestehende Mechanismen angezapft. Einer davon: der Emissionshandel. 20 Milliarden soll dieser liefern, indem CO2-Zertifikate auf den Markt geworfen werden. Klimawende über Klimaverschmutzung? Das dürfen wir nicht zulassen.
Wie es jetzt weitergeht
Und so geht es weiter. Viele Entscheidungen im EU-Parlament müssen jetzt noch in den sogenannten Trilogen – also den Verhandlungen zwischen EU-Parlament und EU-Rat – final abgesegnet werden. Wird der Emissonshandel noch weiter abgeschwächt? Bleibt das Verbrenner-Aus 2035 bestehen oder gibt es Schlupflöcher? Werden 20 Milliarden für Europas Klimawende über CO2-Verschmutzungszertifikate bezahlt? Das steht noch aus und wird im Herbst und Winter diesen Jahres entschieden. Mein Team und ich bleiben für euch weiterhin am Ball und danken erneut für all den Zuspruch, die Kritik, die Anmerkungen, die uns täglich erreichen.