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Von Wut und Hoffnung – wie unser Weg nach Lützerath aussehen muss

Mit jeder weiteren Schaufel Kohle, die diese riesigen Monster-Bagger in RWEs Kohlegruben abgraben, heizen wir die Klimakrise weiter dramatisch an. Dörfer, Schulen, Kirchen und Geschichte wurden den Baggern geopfert. Das geht schon seit Jahrzehnten so und jetzt frisst es sich durch Lützerath.

Ungetüme aus den 1960er Jahren fressen sich durch eine Landschaft, nur um die Kohle in fast ebenso alten Kraftwerken zu verfeuern. Diese gigantischen CO₂-Schleudern sind noch immer das Rückgrat unserer Energiewirtschaft, weil Jahrzehnte nicht gehandelt wurde und sich auf Putins Billiggas verlassen wurde, mit dem er seine Kriegskassen lange füllen konnte. Das macht mich wütend und hat am vergangenen Samstag Zehntausende Menschen auf die Straße gebracht – zurecht!

Lützerath Demo 14.01.2023

 

Ich bin wütend

Mich macht es gleich dreifach wütend. Einerseits müssen wir den fossilen Scherbenhaufen schnellstmöglich aufräumen und durch Erneuerbare, neue Stromtrassen und Speicher ersetzen – und das eigentlich schon seit Jahrzehnten. Es wurde verschlafen, blockiert, ignoriert und dieses fatale Erbe haben nicht nur wir Grüne geerbt, sondern wir alle.

Andererseits sitze ich seit drei Jahren im Europäischen Parlament und setze mich jeden Tag für die Energiewende und somit für Europas Klimaschutz ein – aber eben oft in der Opposition. Gemeinsam mit euch stoßen wir oft auf den Widerstand von Konservativen, Rechten und einer mächtigen fossilen Allianz. Das Europäische Klimaschutzgesetz ging den Konservativen zu weit, beim EU-Emissionshandel wollten sie mit den Rechten paktieren, fossiles Erdgas und strahlenden Atommüll deklarierten sie kurzerhand als nachhaltig. Sie bauen sich die Welt, wie es ihnen gefällt – Klimakrise hin oder her. Und gleichzeitig muss ich mir oft anhören, dass wir große Töne spucken, aber bei uns noch immer die schmutzigsten Kraftwerke Europas laufen – die die Konservativen in NRW und sonst wo seit Jahren mit Herzblut verteidigen.

Damit aber nicht genug. Putins Angriffskrieg hat Europa und Deutschland direkt in eine Energiekrise und damit in eine fossile Inflation gestürzt. Die Preise für Strom und Heizen schossen in die Höhe, weil die Alternativen nicht gebaut wurden. Der fehlende Ausbau der Erneuerbaren, der Entzug von Putins Erdgas, stellte uns vor vollendete Tatsachen. Es war unmöglich abzusehen, wie kalt der Winter wird, wie viel Gas geliefert wird und welche Energiemenge Frankreichs Atomkraftwerke liefern können. Die Einigung für den Kohleausstieg in NRW ab 2030 haben die Bundesregierung, das Land Nordrhein-Westfalen und der Konzern RWE im Herbst letzten Jahres im Zuge dieser Krise beschlossen. Dass wir alle in so eine Notsituation geworfen wurden, macht mich wirklich wütend. Es hätte alles anders sein können und müssen.

 

Die Energie der Wut neu nutzen

Ja, wir müssen alle Dampf ablassen. Zehntausende in Lützerath haben das gemacht, ich war selbst dabei und auch jetzt noch wirken die Bilder vom Polizeieinsatz nach, sind die Bilder von gigantischen Kohle-Baggern, die gerade um die Welt gehen, beschämend  für uns. Inmitten der Klimakrise, die 2022 wieder voll zuschlug und noch härter zuschlagen wird, sollten wir mit der Energiewende ein Vorbild für die Welt sein und nicht mit Polizeigewalt Monster-Bagger aus den 1960er Jahren verteidigen.

Aber wir müssen die Wut neu kanalisieren und die freigewordene Energie nutzen. Wir sitzen im selben Boot. Unser Ziel muss sein: So wenig Kohle wie möglich zu fördern und zu verbrennen!

Lützerath ist geräumt, viele Gebäude sind bereits abgerissen. Das schmerzt gewaltig, weil ich jahrelang für sie gekämpft habe. Aber dennoch gibt es Möglichkeiten, noch mehr Kohle im Boden zu lassen und dafür zu sorgen, dass wir es schaffen, dass die Braunkohle unter Lützerath nicht genutzt wird.

 

 

Ein Plan

Die energiepolitische Lage ist bereits heute eine andere als im vergangenen Herbst, als der Deal in NRW gemacht wurde. Wenn der Winter vorbei ist, können und müssen wir genau prüfen, ob und wie viel weniger Kohle wir brauchen. Deswegen ist es unerlässlich, dass wir evaluieren, ob wir die Energiegewinnung durch Kohle früher herunterfahren können.

Vier-Punkte, wie es weiter gehen kann:

  1. Das Allerwichtigste ist der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien. Je mehr Erneuerbare wir am Netz haben, desto weniger Kohle wird gebraucht. Wind und Sonne sind unschlagbar günstig. Die EU hat vorgelegt und mit einer Notfallgesetzgebung die Genehmigungszeiten für Solar- und Windkraftanlagen drastisch reduziert! Dachsolaranlagen müssen zum Beispiel innerhalb von drei Monaten genehmigt werden. Wenn es länger dauert, gilt die Genehmigung einfach. So eine Turbo-Gesetzgebung brauchen wir schnell für alle Erneuerbaren: Ein Windrad zu bauen darf nur noch ein Jahr dauern. Erneuerbare Energien drängen unweigerlich die fossilen Energieträger aus dem Markt, weil Erneuerbare schlicht die günstigste Form der Energieerzeugung ist. Dieses Jahr werden circa 60 Gigawatt in Europa gebaut, die so viel Strom liefern könnten wie etwa 10 Atomkraftwerke. In den kommenden Jahren muss das gesteigert werden.
  2. Wir müssen weniger Energie verbrauchen! Der hohe Gaspreis hat uns gezeigt, dass es enormes Potenzial zum Einsparen gibt. Industrie und private Haushalte haben 30 Prozent weniger Gas verbraucht, das müssen wir beibehalten und es muss gesetzlich verankert werden. Wir brauchen klare gesetzliche Vorgaben zur Reduktion des Energiekonsums. Denn auch wenn der Gaspreis fällt, darf der Verbrauch nicht wieder ansteigen. Seit September 2022 sinkt der Gaspreis allerdings wieder und wir müssen ein Zurück zum sinnlosen Verbrauch verhindern.
  3. Die CO₂-Zertifikate, die durch einen früheren Kohleausstieg und durch das Stilllegen von Kohlekraftwerke nicht verwendet werden, müssen wir löschen! Löschen? Ja, wirklich, das können wir. Wir müssen so viel CO₂ Zertifikate im europäischen Emissionshandel löschen, wie durch die Kohlekraftwerke ausgestoßen worden wären, ansonsten haben wir für den Klimaschutz nichts gewonnen. Denn wie viel CO₂ wirklich das Klima verschmutzt, entscheidet sich hier. Der EU-Emissionshandel legt die Gesamtmenge an CO₂-Verschmutzung fest. Würden wir früher aus der Kohle aussteigen, ohne die dazugehörigen CO₂-Verschmutzungsrechte zu löschen, dann könnten einfach andere das CO₂ emittieren. Für den Klimaschutz wäre nichts gewonnen. Also: Löschen ist angesagt!
  4. Als letztes: Um Garzweiler existiert immer noch eine wichtige Infrastruktur, die die Menschen vor Ort brauchen, wie zum Beispiel die L12 als Verbindung von Keyenberg nach Holzweiler. Sie ist die neue rote Linie. Diese darf nicht dem Tagebau zum Opfer fallen. Und vor Ort formiert sich bereits neuer Widerstand, der mir Mut macht. Das Erhalten der Straße ist ein Muss für die Menschen vor Ort.

 

Wir brauchen den gemeinsamen Kraftakt

Erneuerbare noch schneller ausbauen, Energie sparen, CO₂-Zertifikate löschen und eine neue rote Linie ziehen. Dieser Plan ist angesichts der aktuellen Lage nicht einfach umzusetzen. Der Plan bedarf einer großen Portion Arbeit von uns allen.

Im EU-Parlament müssen wir weiter die Erneuerbaren pushen, was dieses Jahr mit der Erneuerbaren-Richtlinie passiert. Die Blockade der Konservative muss fallen. Gleichzeitig brauchen wir Firmen und Handwerker*innen vor Ort, die Solaranlagen, Wärmepumpen und Speicher herstellen und installieren. Alle sind hier gefragt.

Die Parlamente sind aber doppelt gefragt. Die Löschung der CO₂-Zertifikate im EU-Emissionshandel muss kommen, sonst gewinnen wir hier gar nichts für den Klimaschutz und der Weg zum Kohleausstieg 2030 wäre gefährdet. Das geht nur auf nationaler Ebene und muss in Deutschland passieren.

Gleichzeitig müssen wir unsere Kräfte bündeln, um Energie verbindlich zu sparen, aber auch die neuen roten Linien ziehen. Das ist ein gemeinsamer Kraftakt, den wir nur im Schulterschluss bewältigen können. Ich allein kann nicht viel ausrichten. Und die vielen Menschen in Lützerath und sonst wo haben für den Kohleausstieg in Deutschland unglaubliches geleistet.

Ihrer jahrelangen Arbeit ist es zu verdanken, dass es in dieser Frage überhaupt eine Dynamik gibt, die uns ein Ausstiegsjahr 2030 ermöglicht hat. Das zeigt, Politik funktioniert dann am Besten, wenn es im Austausch mit den Menschen und den Bewegungen vor Ort passiert. Politik und Bewegungen haben aber auch unterschiedliche Rollen. Wir müssen in der Regierung Einigungen mit anderen politischen Kräften finden, die viel länger an der Kohle festhalten wollen und die den Klimaschutz nicht priorisieren.

Das ist manchmal schmerzhaft und nicht immer richtig. Ich habe aus diesem Konflikt gelernt, dass die Kommunikation mit den Menschen vor Ort, die politische Erfolge erst ermöglichen, nicht abbrechen darf. Denn zusammen sind wir am stärksten. Und es braucht eine starke Klimabewegung und einen neuen, zukunftsorientierten Kraftakt in dieser Zeit. Denn hier geht es schließlich um die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens, also die Eindämmung der Klimakrise. Es geht um die Unabhängigkeit der Europäischen Union in Energiefragen zu Putin, Katar und anderen Ländern. Es geht um so vieles, aber vor allem unsere lebenswerte Zukunft.


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Korrekturhinweis: In einer vorherigen Version stand, dass die 60 Gigawatt installierte Leistung Erneuerbare, die in Europa dieses Jahr gebaut werden sollen, so viel Strom liefern könnten wie 60 Atomkraftwerke. Die tatsächliche Stromerzeugung entspricht tatsächlich ca. 10 AKWs. Das haben wir im Text entsprechend korrigiert.