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Wie wir den Bruch des 1,5-Grad-Klimaziels vererbt bekommen haben

Lützerath wird abgebaggert. Jener Ort, an dem ich selbst oft mit vielen Menschen stand und wir uns überlegt haben, wie wir die Kohle-Bagger dauerhaft zum Abschalten bringen können. So absurd das jetzt in der Situation wirken mag, aber unser Protest, unser Handeln hat gewirkt. Ja, RWE will die Kohle unter Lützerath, aber alle anderen Dörfer bleiben. Das ist das Ergebnis eines langen Kampfes für die Energiewende. Es ist aber auch das Einzige, was wir erreichen konnten. Wieso? Weil das Kohleausstiegsgesetz der Großen Koalition uns dazu zwingt. Ein Erklärungsversuch.

Wir erben den Bruch des 1,5-Grad-Klimaziels von der GroKo

Das Kohleausstiegsgesetz der GroKo kam nach langem Zögern 2020 und meine Parteikollegin und jetzige Außenministerin Annalena Baerbock sagte damals: “Es trifft mich ins Mark, dass ich diesem Kohleausstiegsgesetz heute nicht zustimmen kann.” Seit Jahren kämpfen wir für einen echten Kohleausstieg, aber was 2020 beschlossen wurde, war ein Kohleverlängerungsgesetz. 18 Jahre Weiter so und rund 4,5 Milliarden Entschädigung oben drauf für die Kohlebetreiber. Dem konnten wir nicht zustimmen. Für uns war immer klar, spätestens 2030 in Deutschland und europaweit raus aus der Kohle zu sein. Das hat die GroKo meilenweit verfehlt und Lützerath damit geopfert. Aber es gab noch mehr im Gesetz, was heute umso fataler ist.

Da steht nämlich noch zusätzlich drin, dass eine Änderung des Ausstiegsdatums nur mit einer Vorlaufzeit von acht Jahren passieren kann. Und wenn das Ausstiegsdatum auf vor 2035 vorgezogen werden soll, nur mit zusätzlichen Entschädigungen. Wir haben im Grunde einen Knebelvertrag geerbt oder anders gesagt: Wir haben den Bruch mit dem 1,5-Grad-Klimaziel von der Großen Koalition unter der Union geerbt. Das ist richtig bitter. Denn dadurch wurde die aktuelle Bundesregierung in die Verhandlungen mit den Kohlebetreibern gedrängt. Was in NRW passiert ist, war alternativlos, so hart das klingen mag. Denn ohne Einigung hätte der Status Quo des Kohleausstiegsgesetz Bestand gehabt.

RWE schuf Fakten, die wir nicht mehr ignorieren können

Und während die GroKo erst jahrelang brauchte, um den Kohleausstieg gesetzlich zu verankern und ihn dann in eine Art Knebelvertrag für alle folgende Regierungen goss, konnte RWE ungehindert Fakten schaffen. Statt beispielsweise in eine andere Richtung weiterzubaggern, wurde bis auf einige hundert Meter an Lützerath herangebaggert.*

Ergebnis? Ein Erhalt ist weder aus energiewirtschaftlicher oder wasserwirtschaftlicher Sicht noch aus Gründen der dauerhaften Standsicherheit zu verantworten. Das hat ein unabhängiges Gutachten im Auftrag des Wirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen ergeben. Ja, die Kohle hätte man nicht benötigt, aber RWE hat einfach weiter gebaggert und Fakten geschaffen. Ein sicheres Leben ist dort nicht mehr möglich.

Letzte Chance Sektorziele, Emissionshandel und Erneuerbare

Die jetzige Entscheidung in NRW ist aber kein Freifahrtschein für RWE, alle Kohle aus dem Boden zu holen und zu verfeuern. Denn dem Klima ist es egal, wann CO2 ausgestoßen wird. Unser Ziel muss es sein, so wenig Kohle zu verfeuern wie möglich. Und jede Tonne, die möglicherweise in der aktuellen Krisensituation mehr ausgestoßen werden muss, muss später auch weniger ausgestoßen werden.

Um das zu erreichen, gilt: Jedes Windkraft mehr entzieht der Kohleverstromung ihre Rendite. Anders gesagt: Der Ausbau der Erneuerbaren hat durch die Merit Order in den letzten Jahren fossile Energien immer weiter zurückgedrängt. Jede zusätzliche Kilowattstunde Erneuerbare setzt diesen Trend weiter fort und drängt die dreckige Kohle aus dem Netz.

Jedes Windrad, jedes Solardach, jede Wärmepumpe macht uns resilienter und unabhängig von Fossilen. Je mehr Erneuerbare im Netz sind, desto weniger Kohlestrom kann RWE noch verkaufen. RWE weiß das und spielt seit Jahren damit.

Gleichzeitig kümmere ich mich in Brüssel gegen den heftigen Widerstand, wer hätte es gedacht, der CDU und CSU, um den europäischen Emissionshandel. Also jenen Handel, der den europäischen CO2-Preis definiert und der unser Hebel für den europaweiten Kohleausstieg 2030 ist. In den letzten zwei Jahren mussten wir etliche Wände durchbrechen, um überhaupt zum Kern des Anliegens zu kommen: dem Einhalten des 1,5-Grad-Klimaziels. Denn dazu haben wir uns in der Europäischen Union verpflichtet. Leider, und das ist die nächste bittere Erkenntnis, wurden auch hier Tatsachen geschaffen. Mit dem jetzigen Vorschlag ist das Einhalten dieses Ziels niemals schaffbar. Wir fahren Vollgas auf eine über 2 Grad heißere Welt zu.

Grund dafür? Die CDU und ihre europäische Partner:in in der EVP sind hier im EU-Parlament die stärkste Kraft. Kurz vor der Sommerpause konnten wir das Schlimmste verhindern, mussten aber einiges einstecken. Es gibt einfach keine grüne Mehrheit auf EU-Ebene. Und doch gibt es Hoffnung. Ein hoher CO2-Preis auf EU-Ebene besiegelt das Ende jeglicher Kohleverstromung zwangsläufig. Es ist für RWE schlicht nicht rentabel, so lange auf Kohle zu setzen. Diesen Weg müssen wir jetzt fortführen.

Nur gemeinsam können wir die Kohleverbrennung stoppen

Gibt es eine Alternative zu der Einigung mit RWE? Jein. Die Alternative wäre: Wir ändern das Kohleausstiegsgesetz und geben RWE weitere Milliarden, um das Kohleausstiegsdatum ohne Mitwirkung von RWE vorzuziehen. Ganz ehrlich: das kann niemand von uns wollen. Die Gelder fehlen dann bei den Erneuerbaren. Und vor allem auch dann gäbe es keine Rechtsgrundlage, die Bagger von RWE vor Lützerath zu stoppen. Die Gerichte haben abschließend geurteilt. Das Einzige, was sie jetzt noch stoppen kann, ist der Druck der Öffentlichkeit.

Deshalb muss unsere Antwort gerade in der aktuellen Zeit sein, den Ausbau der Erneuerbaren, der Speichertechnologien und Wärmepumpen noch schneller vorantreiben und uns so von Kohle, Öl und Erdgas zu lösen. Der Ausstieg aus der Kohle darf dabei gerade nicht zu einem Einstieg in Erdgas führen. Gerade jetzt, da uns die Abhängigkeit von fossilen Energien so deutlich vor Augen geführt wird.

Wir brauchen jetzt einen gesellschaftlichen Kraftakt und einen echten Aufbruch für die Energiewende – in Deutschland und der EU. Daran arbeite ich hier im EU-Parlament jeden Tag und ich kann Euch sagen: es ist verdammt schwer. Gerade erst sollen wieder 20 Milliarden Euro durch CO2-Verschmutzungszertifikate ausgeschüttet werden, weil niemand bereit ist, frisches Geld für die Erneuerbaren auszugeben. Das verhindern wir unter Biegen und Brechen, aber es ist jeden Tag ein Kraftakt. Bleiben wir standhaft, brauchen wir schon bald weder Kohle, noch Öl oder Gas und das schon früher, als es sich RWE heute vorstellen kann.

Anmerkung: In einer ersten Version schrieb ich "Statt beispielsweise Richtung der Brachfläche Manheim weiterzubaggern, wurde bis auf einige hundert Meter an Lützerath herangebaggert." Das war inhaltlich falsch. Es hätte Immerath sein müssen.