COP26: Kein 1,5-Grad-Klimakurs, aber Fortschritt

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen und Schwerpunkt auf die Industrie sowie das Fit For 55-Paket kommentiert:

Wir haben es erneut verpasst, uns auf einen konkreten 1,5 Grad-Klimakurs zu begeben. Die jetzigen Klima-Versprechen reichen dafür nicht aus, auch wenn es einige Fortschritte gab. Umso schneller und ambitionierter müssen wir jetzt das Fit For 55-Klimapaket in der EU verhandeln und stärken, damit dieser Pfad überhaupt noch in Reichweite bleibt.
Ein erster Schritt muss das Ende der fossilen Subventionen in der Europäischen Union sein. Doch in Glasgow konnte sich die Staatengemeinschaft nicht mal auf ein Enddatum für die steuerliche Förderung von Kohle, Öl und Gas festlegen. Das ist ein Armutszeugnis und die Europäische Kommission trägt hier Mitschuld. Jährlich fließen in der EU über 130 Milliarden Euro in die klimaschädlichen Subventionen und die Europäische Kommission nimmt das achselzuckend in Kauf. Wir befeuern damit unseren eigenen Untergang.  
Es ist enttäuschend, dass sich die EU nicht stärker für einen Ausgleich der Schäden und Verluste in den am stärksten gefährdeten Ländern eingesetzt hat. Die Europäische Kommission hat die Chance verstreichen lassen, für mehr Klimagerechtigkeit eine Brücke zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden zu schlagen und Antworten auf die Folgen des Klimawandels dort zu geben, wo die Menschen am meisten leiden.  
Die Einigung zu globalen Kohlenstoffmärkten ist ein Türöffner für Greenwashing. Hier ist die EU jetzt gefragt. Private Unternehmen die klimaneutral werden wollen, dürfen keine Doppelzählungen vornehmen können. Diesen Rechentricks muss ein Riegel vorgeschoben werden.”

Hintergrund zur COP26

Welche Ergebnisse und Einschätzungen gibt es von der diesjährigen, 26. Klimakonferenz in Glasgow, und inwiefern wird das Fit For 55-Klimapaket hier eine Rolle spielen?

Analyse zur Klimakonferenz und Einschätzung von Greens/EFA

Wie fast jedes Jahr, sind die Höhepunkte einer Klimakonferenz der Beginn und das Ende. Wer reist an, wer kündigt was an? Wie verhalten sich die Länder zum Pariser Klimaabkommen und dem Klimaziel von 1,5 Grad oder mindestens 2 Grad? Reichen die Versprechen aus? Fangen wir von vorne an.

Ernüchternd zum Start der Klimakonferenz war die Nachricht, dass der Corona-Effekt der niedrigen Emissionen 2021 völlig verpufft. Die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Aktivitäten, mehr Energiekonsum, mehr Reisen etc. führen 2021 wohl zu einem neuen Allzeithoch bei den Emissionen. Für 2022 ist ähnliches prognostiziert. Umso stärker war der Druck, bei der COP26 zu liefern.

Die Konferenz in Glasgow galt als letzte Chance, die Klimaziele von Paris zu erreichen. Denn die Emissionen steigen weiter und globale 1,2 Grad sind schon erreicht. Derzeit steuert die Welt auf eine Erwärmung von 2,4 bis 2,7 Grad (je nach Modell, hier verlinkt neue Version UNEP-Report) bis zum Jahr 2100 zu, wenn wir allein mit den Zusagen für 2030 – ohne längerfristige Ziele – rechnen. Mit dem heutigen Stand wird das 1,5°C-Kohlenstoff-Budget dramatisch schrumpfen. Die globalen Emissionen werden 2030 wahrscheinlich um 13,7% höher sein als 2010, während sie um mindestens 45% gesenkt werden sollten, um die Welt auf einen sicheren 1,5 Grad-Klimapfad zu bringen. Jetzt sind die Länder aufgefordert, ihre Ziele für 2030 zu erhöhen, bevor sie Ende 2022 in Ägypten zur COP27 wieder zusammenkommen.

Laut ESSD und dem prognostizierten Global Carbon Budget 2021 sind die größten Klimasünder*innen:

  • Platz 1: China (31%)
  • Platz 2: USA (14%)
  • Platz 3: EU und Indien (jeweils 7,6%)

Welche Initiativen wurden angekündigt und beschlossen?

Oftmals von den britischen Gastgebern orchestriert, wurden am Rande der Klimakonferenz zahlreiche Initiativen veröffentlicht. Die Liste ist lang geworden, die genutzten Phrasen und Ausnahmen aber auch. Überdies sind diese Erklärungen nicht verbindlich und es fehlt ein angemessener Rahmen für die Steuerung und Rechenschaftspflicht, um sicherzustellen, dass die Ziele in Zukunft auch tatsächlich erreicht werden.

  1. Etliche Staaten haben sich auf das Verbrenneraus für 2035 bis 2040 entschieden. Leider hat Deutschland sich nicht beteiligt. Grund dafür: Andreas Scheuer. Nach seinen Angaben fehle ihm eFuels in der Initiative. Diese aber brauchen 4- bis 5x so viel Ökostrom im Vergleich zur Batterie für die gleiche Fahrstrecke und sind marktwirtschaftlich viel zu schade, um sie in den Pkw-Tank zu kippen. Sie werden vielmehr bei der Luft- und Schifffahrt benötigt.
  2. Über 100 Staaten verpflichten sich bis 2030 die Entwaldung zu stoppen – darunter die "baumstarken Länder" Brasilien, Kanada, Kolumbien oder Russland (sowie die EU). Das sind 85% der weltweiten Waldflächen. Doch dieses Versprechen gab es schon 2014 und die Ziele für 2020 die Entwaldungsrate zu 50% zu reduzieren, wurde krachend verfehlt.
  3. 25 Staaten verpflichten sich bis 2022 die internationale direkte Finanzierung mit öffentlichen Mitteln bei fossilen Subventionen zu beenden – Deutschland zögerte erst einige Zeit, kam aber später doch hinzu. Mit der Ausnahmen für Erdgas.
  4. Alle Top-10-Länder bei der Kohlekraft der Welt haben sich jetzt zu net Zero verpflichtet, zwar nicht alle ab 2050, aber immerhin. Letztes Jahr waren es nur die Hälfte der Länder.
  5. 103 Länder haben den von den USA und der EU initiierten Global Methane Pledge unterzeichnet und sich damit unter anderem verpflichtet, die weltweiten Methanemissionen bis 2030 um 30 % zu senken.
  6. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigt Neubauten von Atomkraftwerken an und will somit die Klimaneutralität erreichen. Parallel führt er innerhalb der EU und zusammen mit Ost-europäischen Ländern innerhalb der EU Taxonomy die Position für Atomkraft und Erdgas in der grünen Taxonomie an.
  7. Der Pakt zum emissionsärmeren Flugverkehr wurde beschlossen. Deutschland hat sich – scheinbar wird das zur Routine – erst einige Zeit später angeschlossen. Der Pakt selbst ist jetzt kein Meilenstein, aber immerhin wird über mehr als nur “2050 wollen wir klimaneutral unterwegs sein” geredet.
  8. Die #BeyondOilAndGasAlliance hat sich gebildet. Die von Costa-Rica und Dänemark initiierte Bewegung hat das Ziel, den Ausstieg aus Öl- und Gasförderung durchzubringen. Frankreich, Irland aber auch Neuseeland oder Kalifornien haben sich angeschlossen – Deutschland leider nicht.
  9. Die USA und China: Beide Seiten betonen die "entscheidende Bedeutung" der Schließung der Lücke zwischen den aktuellen Nationally Determined Contributions (NDCs) und dem, was getan werden müsste, um das Pariser Abkommens zu erreichen (keine Erwähnung von 1,5°C). Die Länder verpflichten sich, vor der 27. Klimakonferenz zusätzliche Maßnahmen zur Verringerung der Methanemissionen zu ergreifen, sowie zur Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien "und anderer sauberer Energielösungen" (Kernenergie) sowie zum Einsatz von CCUS und direkter Luftabscheidung.

Was bringen all diese Versprechen und Initiativen?

Im Grunde erst einmal nicht viel, weil Klimaversprechen oder Ziele nicht gleich Maßnahmen sind. Und hier ist auch der größte Knackpunkt. Ziele sind wichtig, Maßnahmen aber auch. So hat auch Australien die Klimaneutralität bis 2050 angekündigt, will aber weiter Jahrzehnte an der klimaschädlichen Kohle festhalten.

Umso wichtiger ist aber die Analyse und die Fokussierung auf die Pariser Klimaziele von 1,5 und 2 Grad. Wo stehen wir? Hier liefert Carbon Brief die wohl bislang tiefgreifendste Analyse.

Kurz und knapp: Die Welt ist noch meilenweit vom 1,5-Grad-Klimaziel entfernt. Halten die Länder ihre angekündigten NDCs ein, steuern wir bis zum Jahr 2100 auf 2,4 Grad zu (Zwischenwert von 1,8 und 3,3). Betrachten wir die netto Null-Versprechen, erreichen wir bis 2100 rund 1,8 Grad. Die Analyse von Carbon Brief kommt zu dem Ergebnis, dass diese neuen Ankündigungen – in Kombination mit den jüngsten Aktualisierungen der NDCs – wahrscheinlich eine zusätzliche Erwärmung von 0,1 Grad gegenüber den Verpflichtungen bis 2030 reduziert haben. In ähnlicher Weise hat Indiens neues Netto-Null-Versprechen den prognostizierten globalen Temperaturanstieg um etwa 0,2 Grad reduziert – wenn alle Länder ihre langfristigen Netto-Null-Versprechen erfüllen.

Die große Frage aber sind die kurzfristigen Maßnahmen, die laut Climate Action Tracker zu einer “Glaubwürdigkeitslücke” führen. Denn bis 2030 wird sich wenig ändern, was mit Hinblick auf das Fit For 55-Klimapaket der EU-Kommission sich auch soweit bestätigt, greifen viele Reformen, wie bspw. die Kerosinsteuer ab 2032, erst in den 2030er-Jahren.

Vier verschiedene Gruppen haben verschiedene Szenarien vorgelegt – mit unterschiedlichen politischen Kontexten. Das Ergebnis sieht wie folgt aus:

Noch vor sieben Jahren schien es unausweichlich, dass die Welt bis 2100 auf einen Weg von etwa 4 Grad zuläuft. So gesehen sind die Klimakonferenzen, Versprechen und teilweise auch Maßnahmen ein Erfolg, auch wenn wir noch auf über 2 Grad zulaufen.

Die Einschätzungen der Grünen im EU-Parlament

Die oben genannten Initiativen sind, wie bereits erwähnt, weder verbindlich noch gibt es einen angemessenen Rahmen für die Steuerung und Rechenschaftspflicht, um sicherzustellen, dass die Ziele in Zukunft auch tatsächlich erreicht werden. In den meisten Fällen sind die Erklärungen selbst zweideutig oder enthalten große Schlupflöcher, die dazu gedacht sind, größere Unterstützung zu erhalten, aber am Ende die Glaubwürdigkeit dieser Ankündigungen stark gefährden. Das soll nicht heißen, dass diese Verpflichtungen völlig nutzlos sind. Sie vermitteln die richtige Botschaft, dass der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen unbedingt notwendig ist.

Insgesamt enthält der Abschlusstext einige gute Elemente, um die Welt auf einen glaubwürdigen Pfad in Richtung 1,5 Grad zu bringen, allerdings sind viele von ihnen zu vage formuliert und haben zu viele Schlupflöcher. Diese sind wie folgt:

  • Es wurde festgehalten, dass die globalen Emissionen 2030 immer noch um 13,7% höher sein werden als 2010, während sie laut IPCC um 45% gegenüber 2010 gesenkt werden sollten, wenn wir eine glaubwürdige Chance haben wollen, unter 1,5 Grad zu bleiben.
  • Die Länder werden dazu aufgefordert, ihre Ziele für 2030 vor der nächsten COP zu erhöhen, damit wir die Emissionslücke für 2030 endlich geschlossen wird. Dies bedeutet, dass die EU nun die Verpflichtung hat das Fit For 55-Klimapaket ambitioniert umsetzen.
  • Die Länder werden außerdem aufgefordert, vor der COP27 konkrete Pläne vorzulegen, wie sie ihre Netto-Null-Ziele für die Mitte des Jahrhunderts erreichen wollen. Und das UNFCCC-Sekretariat sollte diese langfristigen Strategien bewerten und überprüfen.
  • Artikel 6: Nach zwei gescheiterten Versuchen in Kattowitz und Madrid, haben die Länder endlich die Regeln zur Regulierung der internationalen Kohlenstoffmärkte besiegelt. Die Regeln sind schwach und würden es zulassen, dass einige Millionen Tonnen alter billiger Ausgleichsgutschriften (CDM) von Ländern verwendet werden, um ihre Ziele für 2030 zu erreichen. Die Regeln ermöglichen auch eine doppelte Anrechnung für private Unternehmen, die behaupten, klimaneutral zu sein oder zu werden. Wir Grüne fordern, dass die Europäische Union nun private Unternehmen regulieren, die behaupten, klimaneutral zu werden, um sicherzustellen, dass keine Doppelzählungen vorgenommen werden.
  • Zum ersten Mal werden in einem COP-Beschluss auch fossile Brennstoffe direkt erwähnt, aber leider ist der Text innerhalb der Verhandlungen immer weiter verwässert worden und in einem letzten Vorstoß kurz vor Abschluss der COP26 haben Indien und China erreicht, dass sich der Text nur noch auf die "Beschleunigung des Ausstiegs" (kein vollständiger "Ausstieg") aus der "unverminderten" Kohle bezieht. Lediglich "ineffiziente" Subventionen für fossile Brennstoffe müssen schrittweise abgebaut werden, und für gefährdete Bevölkerungsgruppen können weitere Ausnahmen gelten. Damit sind die Formulierungen so schwach, dass es ein rein symbolischer Akt ist.
  • Der Abschlusstext enthält außerdem zwei weitere Sätze über Möglichkeiten zur Verringerung von Nicht-CO2-Emissionen (z. B. Methan) und über die Bedeutung von naturbasierten Lösungen und Ökosystem-basierten Ansätzen. Diese Sätze zielen darauf ab, die Globale Methanverpflichtung und die Erklärung der Staats- und Regierungschefs von Glasgow zu Wäldern und Landnutzung widerzuspiegeln. Jedoch fehlt eine konkreter Rahmen für die Rechenschaftspflicht, um sicherzustellen, dass die im letzten Jahr gemachten Zusagen keine leeren Versprechungen bleiben.