Michael Bloss, industrie- und klimapolitischer Sprecher der Grünen kommentiert den kommenden Vorschlag der Europäischen Kommission zum Klimaziel für das Jahr 2040:
Das Klimaziel für das Jahr 2040 ist zukunftsweisend und notwendig. Damit bleibt Europa auf Kurs. Die sich häufenden, quälenden Hitzewellen sprechen eine unmissverständliche Sprache: Wir müssen der dramatischen Verschärfung der Klimakrise etwas entgegen setzen. Der Glaube, weniger Klimaschutz führt zu mehr Wachstum, ist so simpel wie falsch. Wenn wir der Klimakrise nichts entgegensetzen, vertrocknen nicht nur unsere Wälder und Ernten, sondern auch unsere Wirtschaft und Jobs verlieren ihren Nährboden.
Doch dass Teile des Klimaziels über dubiose internationale CO2-Gutschriften erreicht werden sollen, hat einen bitteren Beigeschmack. Das ist Etikettenschwindel, denn diese Gutschriften sind nicht viel mehr als Ablasshandel. Sie gaukeln Klimaschutz vor, wo in der Realität kein CO2 eingespart wird. Erfunden hat das alles die deutsche Bundesregierung im Koalitionsvertrag. Obwohl dieses System seit Jahrzehnten besteht, gibt es keine einzige CO2-Gutschrift, die funktioniert. Damit wird Tricksen und Täuschen Tür und Tor geöffnet und die Bürgerinnen und Bürger hinters Licht geführt. Das ist Verschieberei auf Kosten unserer Zukunft.
Es ist allerhöchste Eisenbahn für das Gesetz zum Klimaziel. Bis zur Klimakonferenz im November muss das Gesetz beschlossen sein, sonst blamiert sich Europa auf internationalem Parkett und der globale Kampf gegen die Klimakrise erleidet eine bittere Niederlage. Nachdem die USA unter Donald Trump schon den Klimaschutz in den Papierkorb geworfen haben, darf Europa nicht den Klimaschutz hinten runter fallen lassen. Europa muss die regelbasierte Weltordnung anführen, deshalb muss jetzt schnell gehandelt werden.
Das 90-Prozent-Ziel bis 2040 ist der zentrale Hebel für die zukunftsgerechte Aufstellung unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Es schafft die Anreize für Innovationen, dafür bestehende klimaneutrale Technologien anzuwenden und Wertschöpfung langfristig zu sichern. Gleichzeitig stärkt es Europas Resilienz, Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit in einer zunehmend instabilen Welt.
Das wichtigste Klimagesetz des Jahrzehnts
Während die andauernde Hitzewelle uns eine Erinnerung daran sendet, dass Europa der sich am schnellsten erhitzende Kontinent ist, veröffentlicht die EU-Kommission am Mittwoch ihren Vorschlag für ein 2040er-Klimaziel. Bislang gibt es auf EU-Ebene nur Ziele für 2030 und 2050. Auch auf nationaler Ebene haben bisher die wenigsten Mitgliedsstaaten verbindliche Ziele für 2040 gesetzt (nur Deutschland, Finnland, Griechenland, Portugal und Schweden).
Das Klimaziel für 2040 bildet daher den Fixpunkt für die europäische Klimapolitik der nächsten Jahre: Auf Basis dieser Festlegung werden die verabschiedeten Klimaschutzgesetze daraufhin überprüft werden, ob sie mit dem 2040er-Ziel kompatibel sind oder die Mitgliedstaaten und die EU noch nachsteuern müssen. Damit wird das Klimaziel für 2040 mittelbar auch entscheidend für Investitionsentscheidungen von Unternehmen, die europäische Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der Zukunftstechnologien und die Unabhängigkeit von fossilen Energien.
Auch über Europa hinaus ist dieses Klimaziel von großer Bedeutung. Denn nach dem Pariser Klimaabkommen wäre die EU verpflichtet gewesen, bereits im Februar 2025 ihr Klimaziel für 2035 auf UN-Ebene anzumelden. Das 2035er-Ziel soll aber aus dem 2040er-Ziel abgeleitet werden - und so stecken beide Prozesse gerade fest. Gerade nach dem Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen ist ein starkes Klimaziel der EU, des viertgrößten Emittenten weltweit wichtig, um wieder eine positive internationale Dynamik auszulösen.
Die Wissenschaft ist eindeutig: Es braucht eine Emissionsreduktion um mindestens 90% bis 2040
Der wissenschaftliche Klimarat der EU hat in einem umfassenden Gutachten dargelegt, dass eine Emissionsreduktion um 90% gegenüber 1990 bis 2040 unter Einhaltung der technologischen und nachhaltigen Grenzen möglich wäre. Mehr noch, um einen annähernd fairen Beitrag der EU zum Pariser Klimaabkommen zu leisten, sei ein 90%-Ziel nicht nur geboten; es müsse auch mit Maßnahmen zur Unterstützung der Emissionsreduktion in anderen Staaten einhergehen.
Auf dieser Basis haben sich die Grünen auf EU-Ebene immer mindestens klar für ein 90%-Ziel ausgesprochen - und die Kommission auch deshalb gewählt.
Die Kommission erwägt eine Zielaufweichung mittels internationaler Gutschriften.
Auf Basis dieses Gutachtens veröffentlichte die EU-Kommission 2024 eine umfangreiche Folgenabschätzung, in der sie sich zu einem 90%-Ziel für 2040 bekannte. Zuletzt ist sie jedoch, auch aufgrund der bröckelnden Unterstützung seitens der Mitgliedstaaten, immer weiter zurückgerudert. So begann Klimakomissar Wopke Hoekstra im April damit, “Flexibilitäten” mit den Mitgliedstaaten auszuloten. Eine dieser “Flexibilitäten” ist die Anrechnung internationaler CO2-Gutschriften auf das europäische Klimaziel. Diese Gutschriften, auch bekannt als Art. 6-Credits, benannt nach Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens, ermöglichen Staaten, ihre Klimaziele mittels “freiwilliger Kooperation” zu erfüllen. Die Idee dahinter ist simpel: Die EU will sich CO2-Reduktionen anderer Staaten kaufen und sie auf ihr eigenes Klimaziel anrechnen, um weniger Emissionen innerhalb Europas reduzieren zu müssen.
Warum internationale CO₂-Gutschriften das europäische Klimaziel untergraben
Mit der Anrechnung von Art.6-Gutschriften auf das Klimaziel sind zahlreiche Risiken verbunden (ausführlich dazu hier): So könnte sich der ohnehin schleppende Hochlauf von kostenintensiven Technologien wie der Produktion von grünem Wasserstoff weiter verzögern. Denn die Anrechnung schafft einen gefährlichen Fehlanreiz, weiterhin auf fossiles Öl und Gas zu setzen und diese Emissionen durch günstigere Art. 6-Gutschriften zu kompensieren. Zugleich würde Kapital in fragwürdige Kompensationsprojekte im Ausland statt in die Transformation vor Ort (z.B. die Umstellung von Stahlkraftwerken auf grünen Wasserstoff und der Umsteig auf Elektromobilität im Verkehrssektor) fließen. Zudem spricht auch die lange Geschichte der Skandale mit internationalen Gutschriften Bände. Ein Beispiel dafür ist der Kohlenstoffpreis-Crash in den 2010er-Jahren. Es wird zwar argumentiert, dass Skandale durch "hohe Qualitätsstandards" vermieden werden könnten. Dieses Argument ist jedoch genauso alt wie die Historie der Skandale mit internationalen Gutschriften. Verhindern konnte es sie nicht. Auch die Methodologie im Rahmen von Art. 6 des Pariser Klimaabkommens, auf deren Basis die Anrechnung nun erfolgen soll, ist nicht wasserfest (im Detail dazu hier).
Der Teufel liegt im Detail - worauf bei der Veröffentlichung des Kommissionsvorschlags zu achten ist
Laut Quellen aus der Kommission wird sich der Gesetzesvorschlag voraussichtlich stark an der Einigung aus dem deutschen Koalitionsvertrag orientieren. Darin findet sich die Passage, dass “hochqualifizierte, zertifizierte und permanente Projekte (maximal drei Prozentpunkte des 2040- Zwischenziels) in außereuropäischen Partnerländern” auf das 2040er-Klimaziel anrechenbar sein sollen.
Die Details sind jedoch noch nicht in allen Einzelheiten klar. Um den Vorschlag einzuordnen, sind unter anderem die folgenden Punkte wichtig:
- Ist auch das Klimaziel für 2030 in Gefahr? Teil der Überlegungen war zwischenzeitlich, einfach das Wort „domestic“ aus Art. 1 des Europäischen Klimagesetzes zu streichen. Damit wäre die Tür offen, auch das 2030er-Ziel nachträglich aufzuweichen, das bisher eindeutig als innerhalb der EU zu erreichendes Klimaziel definiert ist.
- Wie groß wird der Anteil an Art. 6-Zertifikaten sein? Der Koalitionsvertrags-Kompromiss von 3% würde bedeuten, dass im Jahr 2040 Emissionen in Höhe von ca. 145 Mt CO2e durch internationale Zertifikate gedeckt werden würden. Dies entspricht etwa den Emissionen von Schweden, Finnland und Dänemark zusammen im Jahr 2023. Jüngst wurden aber seitens Frankreichs auch noch größere Mengen ins Spiel gebracht.
- Wie sieht der Qualitätscheck für die Zertifikate aus? Bisher ist es nicht gelungen, die Qualität von internationalen Zertifikaten in der Praxis sicherzustellen - dennoch sind Vorgaben wichtig, um Betrug und Rechentricks so weit wie möglich zu verhindern. So wäre es beispielsweise wichtig, dass nur Zertifikate, die durch eine permanente CO2-Entnahme (z.B. durch BECCS oder DACCS) zur Kompensation von Emissionen genutzt werden, nicht solche aus nicht-permanenten Quellen (z.B. Aufforstung).
- Gibt es Sicherheitsvorkehrungen für die Integration von Art. 6? Wie oben beschrieben, können Art. 6-Zertifikate als Investitionshemmnis wirken. Um dies zu verhindern, sollten Art.6-Zertifikate nicht in den ETS integriert werden - und sinnvollerweise auch nicht in die ESR oder den LULUCF-Bereich. Stattdessen sollte es einen separaten Pfeiler im Rahmen der Governance-Struktur geben und der Ankauf von Zertifikaten auf staatlicher Ebene (Kommission oder Mitgliedsstaaten) erfolgen.
- Gibt es noch weitere Aufweichungen? Hoekstra hatte angekündigt, abgesehen von den Art. 6-Zertifikaten noch weitere „Flexibilitäten“ einzubringen, die ein Risiko für die Klimaschutzgovernance darstellen. Dazu gehören eine Aufblähung des Anteils technischer Senken zulasten des Emissionsreduktionsziels, die Verschiebung eines Großteils der Emissionsreduktionslasten in die zweite Hälfte der 2030er-Jahre und eine stärkere Verrechnung der Emissionsreduktionen zwischen den Sektoren.
Wie geht es nun weiter?
Derzeit sind die Einzelheiten des Verfahrens noch unklar. Möglicherweise könnte das Parlament die Änderung des Klimagesetzes im Rahmen eines Eilverfahrens (urgency procedure) schon nächste Woche in Straßburg debattieren. Im Rat steht ein informelles Treffen für die gleiche Woche sowie eine Sondersitzung Mitte September an.
In jedem Fall ist es jetzt wichtig, zu einer schnellen Einigung zu gelangen, um mit einem starken Klimaziel im Gepäck zur COP nach Belem zu fahren und deutlich zu machen: Die EU steht hinter ihrem Bekenntnis zum Klimaschutz.