EU-Klimaziel 2040 ist keine Frage des Wollens, sondern des Rechts

Nächste Woche beraten die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat über die EU-Klimaziele für das Jahr 2040. Kurz darauf werden die Umweltminister*innen über konkrete Zielwerte diskutieren. Wissenschaft und Recht sprechen eine eindeutige Sprache: Damit die EU ihren Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen nachkommt, braucht es ambitionierte Ziele, und wirksame Maßnahmen, um sie zu erreichen.

Vor diesem Hintergrund haben die Grünen im Europaparlament ein Rechtsgutachten bei Dr. Roda Verheyen in Auftrag gegeben. Die Studie untersucht, welche Zielhöhe die EU aus völker- und europarechtlicher Sicht anstreben muss, um mit ihren internationalen Verpflichtungen vereinbar zu bleiben. Die einleitende Zusammenfassung des Gutachtens finden Sie untenstehend, das vollständige Dokument befindet sich im Anhang.

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, kommentiert dazu:

Wenn Friedrich Merz zentrale Klimagesetze zurückdrehen will, ignoriert er nicht nur die Klimakrise, sondern auch die internationale Rechtsprechung. Das ist ein Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit – und eine Einladung zur Klage. Internationale Gerichte haben längst klargestellt: Klimaschutz ist kein politisches Wunschkonzert, sondern eine rechtliche Verpflichtung. Der Internationale Gerichtshof hat jüngst festgestellt, dass das 1,5-Grad-Ziel völkerrechtlich bindend ist – und dass Staaten verpflichtet sind, ihre höchste mögliche Ambition zur Emissionsminderung zu verfolgen.

Das von uns Grünen im Europaparlament in Auftrag gegebene Rechtsgutachten zeigt deutlich: Aktuelle Klimagesetzgebung zurückzunehmen oder das 2040-Ziel nicht zu beschließen ist damit rechtswidrig. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Klimaseniorinnen-Urteil festgestellt: Staaten müssen Reduktionsziele auf Basis eines fairen CO₂-Budgets setzen. Doch die EU hat ihr faires Budget längst überschritten – wir sprechen hier von einer Klimaschuld, die rechtlich aufgearbeitet werden muss.

Friedrich Merz sollte die völkerrechtliche Tragweite unserer Klimaverpflichtungen kennen. Sollte es dennoch zu Rücknahmen zentraler Klimagesetze kommen, ist Unwissenheit keine Ausrede mehr. Der Internationale Gerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haben die rechtlichen Verpflichtungen eindeutig formuliert – und wer sie ignoriert, handelt nicht nur politisch unverantwortlich, sondern verstößt gegen geltendes Recht. Ein Lippenbekenntnis zu Klimazielen reicht nicht. Ziele ohne Instrumente sind nichts als Täuschung. Doch genau das droht gerade: Die CDU greift systematisch alle zentralen Instrumente an – vom Emissionshandel über Effizienzstandards bis zu Förderprogrammen. Dabei sind es genau diese Instrumente, die Planungssicherheit schaffen und den Weg zur Umsetzung ebnen.

Für Widersprüchlichkeit bleibt keine Zeit. Wer sich zum 1,5-Grad-Ziel bekennt, muss auch den Weg dorthin ermöglichen. Wenn Friedrich Merz unseren völkerrechtlichen Verpflichtungen den Rücken kehrt, ist er nicht der außenpolitische Kanzler, als der er sich inszeniert – sondern ein Rechtsbrecher. Sollten Bundesregierung oder EU ihren rechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen, behalten wir uns rechtliche Schritte vor. Es darf nicht wieder ein Gerichtsurteil nötig sein, um die Einhaltung des Pariser Abkommens durchzusetzen. Die Rechtslage ist eindeutig – jetzt ist die Politik am Zug.

Zusammenfassung des Gutachtens

Die EU legt derzeit das Zwischenziel für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2040 im Rahmen des EU-Klimagesetzes fest. Dieses Rechtsgutachten analysiert die rechtlichen Anforderungen für die Festlegung des Ziels auf der Grundlage der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Da die EU unter allen möglichen Reduktionspfaden jedes mögliche Treibhausgasbudget überschreitet, muss das muss das Ziel für 2040 die bestmöglichen Anstrengungen zur Reduzierung der inländischen Emissionen darstellen und gleichzeitig die ehrgeizigsten Anstrengungen zum Aufbau inländischer (technischer und natürlicher) Kohlenstoffentfernungen und zur Unterstützung der Emissionsminderungsbemühungen außerhalb der EU verfolgen:

  • Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat in seinem jüngsten Gutachten (AO) festgestellt, dass das 1,5 °C-Ziel völkerrechtlich verbindlich ist und dass alle Vertragsparteien des Pariser Abkommens die höchstmöglichen Ambitionen verfolgen müssen, um einen angemessenen Beitrag zur Erfüllung dieser Verpflichtung zu leisten. In ähnlicher Weise hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in der Klimaseniorinnen-Entscheidung festgestellt, dass die Staaten entsprechende Ziele und Quantifizierungen der verbleibenden Emissionen (mit einem reduzierten Ermessensspielraum) vorlegen müssen.
  • Der Europäische Wissenschaftliche Beirat für Klimawandel (Beirat) und die neuesten klimawissenschaftlichen Erkenntnisse machen deutlich, dass alle realistischen Reduktionspfade selbst das großzügigste (pro Kopf) Treibhausgasbudget überschreiten, das für die EU berechnet werden kann, um die globale Erwärmung auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, mit einer Wahrscheinlichkeit von (nur) 50 % lange vor 2040.
  • Bei der Festlegung des Ziels für 2040 muss berücksichtigt werden, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre fairen Anteile an den Treibhausgasbudgets überschreiten und somit vor 2040 „Kohlenstoffschulden” anhäufen werden. Das bedeutet, dass ihre Verpflichtungen nun drei unabhängige Säulen umfassen: Erstens müssen sie ihre inländischen Emissionen so schnell wie möglich senken. Zweitens müssen sie das höchstmögliche Ziel verfolgen, sowohl die natürlichen als auch die technischen inländischen Kohlenstoffentfernungen auf nachhaltige Weise zu verbessern, um Netto-Null-Emissionen und danach so schnell wie möglich Netto-Negativemissionen zu erreichen. Drittens müssen sie zu den Emissionsminderungsbemühungen außerhalb der EU beitragen. Alle diese Elemente sind kumulativ notwendig, und keines kann das andere ausgleichen. Dies bedeutet insbesondere, dass weder inländische Kohlenstoffentfernungen noch internationale Gutschriften verwendet werden können, um einen geringeren inländischen Emissionsreduktionspfad zu rechtfertigen, als er machbar wäre.
  • Die Empfehlung der Kommission aus dem Jahr 2024 für ein Ziel von 90 % Emissionsreduktion bis 2040 ist bereits höchst problematisch, da sie das unterste Ende der Empfehlungen des Beirats darstellt und folglich nicht den bestmöglichen Reduktionspfad repräsentiert. Der Vorschlag der Kommission, im Rahmen des EU-Klimagesetzes ein Ziel für 2040 festzulegen, das im Juli 2025 veröffentlicht wurde, senkt die Ambitionen weiter, indem er die Möglichkeit vorsieht, dass die Mitgliedstaaten bis 2040 einen Netto-Null-Emissionspfad verfolgen können, der auf der Grundlage der in den Jahren 2020 bis Der Vorschlag der Kommission, im Rahmen des im Juli 2025 veröffentlichten EU-Klimagesetzes ein Ziel für 2040 festzulegen, senkt die Ambitionen weiter, indem es zulässt, dass 3 % der Emissionsreduktionen durch internationale Ausgleichszahlungen realisiert werden. Es ist daher eindeutig rechtlich unzureichend. Es muss sichergestellt werden, dass das (absolute Mindest-)Ziel einer Netto-Emissionsreduktion von 90 % im Inland nicht auf diese Weise verwässert werden kann. Es muss quantifizierte Ziele für die drei oben genannten Verpflichtungen (Emissionsreduktion im Inland, Kohlenstoffentfernung im Inland, internationale Emissionsreduktionsbemühungen) geben, die jeweils den höchsten Anspruch darstellen.
  • Die Nichtumsetzung eines Ziels für 2040, das mit internationalen und Menschenrechten im Einklang steht, würde zu erheblichen rechtlichen Risiken und Unsicherheiten führen. Es würde die Mitgliedstaaten potenziellen Haftungsrisiken gegenüber Drittländern aussetzen und sich auf das gesamte europäische Rechtssystem auswirken. Staatliche Maßnahmen und Verwaltungsentscheidungen der EU und der Mitgliedstaaten, die auf dem Ziel für 2040 aufbauen, laufen Gefahr, von Gerichten gekippt zu werden. Ebenso werden private Akteure und Unternehmen mit Rechtsunsicherheit konfrontiert sein, wenn sie sich im Zusammenhang mit Regulierung, Geschäftsbeziehungen und Handelsabkommen nicht auf die Rechtmäßigkeit der EU-Ziele verlassen können

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Zum vollständigen Gutachten

Legal Opinion 2040 Target.pdf