Strategiepapier: Der Grüne Deal für Europas Industrie

Gent, 2. Mai 2024 - Heute präsentieren Michael Bloss, Bas Eickhout und Sara Matthieu, Grüne/EFA-Europaabgeordnete aus Deutschland, Niederlanden und Belgien, ihre Vision eines Green Industrial Deals.

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, erklärt:

Die Europäische Union ist der Garant unseres Wohlstands. Um die wirtschaftliche Kraft Europas zu erhalten, brauchen wir eine echte europäische Industriepolitik. Im Wettbewerb mit den USA und China haben die 27 Einzelstaaten keine Chance, das schaffen wir nur gemeinsam als Europäische Union. Wir schlagen eine Europäische Grüne Industriepolitik vor, als Schlüssel, um wirtschaftlich stark zu bleiben, den Green Deal zu vollenden und Europa auf Klimakurs bringen. Denn klimaneutrale Produktion in Europa führt uns zu einem “Made in Germany 2.0” und macht uns zum Champion der Zukunftsmärkte.

Das Papier eröffnet die Debatte über die Inhalte des Industrie-Deals für Europa. Denn außer den Green Deal abschaffen zu wollen, haben Konservative programmatisch wenig zu bieten, um die Industrie zu unterstützen. Unser Aufschlag ist eine Aufforderung zum Wettbewerb um die besten Ideen.

Für uns ist klar, wir brauchen einen Dreiklang aus europäischer Koordination, gezielter Ordnungs- und Preispolitik und neuen Investitionen.

Die Industriepolitik in Europa ist bisher Flickwerk, jedes Mitgliedsland tüftelt an eigenen Plänen, um Industrie bei sich Land anzusiedeln. In der Zukunft muss es europäisch koordiniert werden, so dass sich die Mitgliedsstaaten nicht gegenseitig blockieren, sondern Wettbewerbsfähigkeit nach außen aufbauen. Wir wollen europäische Leitmärkte für klimaneutrale Produkte made in Europe schaffen. Mit europäischen Regeln wollen wir für Planungssicherheit bei den Unternehmen sorgen und gemeinsam europäische Strom- und Wasserstoffnetze ausbauen. Dazu braucht es einen schlagkräftigen Investitionsfonds. So wird Europa stark und kann im Wettstreit um die Industrien der Zukunft aufholen.

Der Green Deal muss weitergehen, eine Rückabwicklung wäre Gift für die Wirtschaft, denn die braucht vor allem Planungssicherheit und keinen Schlingerkurs. Wir müssen den Green Deal um eine industrielle Dimension erweitern, die sicherstellt, dass wir von den Klimaschutzmaßnahmen auch wirtschaftlich profitieren.

Die Herausforderung

China und die USA investieren bereits massiv, um Zukunftstechnologien bei sich anzusiedeln. Mit über 800 Milliarden Dollar in Investitionen und Steuererleichterungen unterstützt die USA die Produktion von Zukunftstechnologien mit dem Inflation Reduction Act über die nächsten zehn Jahre. China hat alleine im Jahr 2023, 890 Milliarden Dollar in Zukunftstechnologien wie Solar und Batterien investiert. Wir stehen vor einem globalen Wettlauf um diese Zukunftsmärkte und Europa ist dabei abgehängt zu werden.

Ein Beispiel: Die Erneuerbaren boomen, alleine in 2023 wurden 510 GW weltweit zugebaut, das sind 50% mehr als in 2022, und der Trend ist weiter ansteigend. Solarenergie ist bei Weitem die Sparte, die am meisten zunimmt, drei Viertel des Erneuerbaren Zubaus in 2023 war Solar PV.

China verfügt inzwischen über 80 % der weltweiten Solarproduktionskapazitäten. Die Kosten für die Herstellung von Solarmodulen liegen dort bei etwa 12 Cent pro Watt erzeugter Energie. Europäische Produzenten können damit nicht mithalten, denn hier kostet die Herstellung circa 22 Cent pro Watt. Mitte-März hat der Solarproduzent Meyer-Burger seine Produktionsstätte in Freiberg geschlossen, was auf einen Schlag zum Verlust von 10% der europäischen Solarproduktion führt. Andere europäische Solarunternehmen stehen ebenfalls unter dem hohen Druck des Wettbewerbs aus China.  

Angesichts dessen reicht der europäische Net Zero Industrie Act (NZIA) nicht aus, um Europa wieder wettbewerbsfähig zu machen. Das Gesetz beinhaltet keinerlei finanzielle Maßnahmen, um die Wirtschaft zu unterstützen. Die Kommission hatte eine klare Fokussierung auf strategische „No-Regret“ Technologien vorgeschlagen. Leider haben Mitgliedstaaten und Parlament die Liste der Netto-Null Technologien substantiell erweitert, sodass der strategische Fokus im finalen Gesetz verloren gegangen ist.

 

Unsere Vision für einen Grünen Deal mit der Industrie

Um der europäischen Wirtschaft den Anschluss zu ermöglichen, um Wohlstand in Europa auf Dauer zu sichern und um unsere Vorreiterrolle im Klimaschutz zu wahren, habe ich zusammen mit meiner belgischen Kollegin Sarah Matthieu und meinem niederländischen Kollegen Bas Eickhout eine europäische Vision für einen Grünen Deal mit der Industrie erarbeitet.

Europa verfügt über eine starke und innovative Industrie, die Millionen von Menschen Arbeit gibt. Europas Markenzeichen sind hochwertige, zuverlässige und langlebige Produkte, die unter Wahrung der Menschenrechte und Umweltschutz hergestellt werden. Wir wollen diesen wichtigen Teil der europäischen Wirtschaft bewahren, sie fit für eine klimaneutrale Zukunft machen, die auf einer kreislauforientierten Nutzung von Materialien beruht und mit erneuerbaren Energien nutzt.

Wenn Europa eine Führungsrolle bei diesem Wandel übernimmt, bietet das eine beispiellose Chance, die Resilienz unserer Wirtschaft zu stärken, die Abwanderung der Industrie in Drittländer zu verhindern, neue Arbeitsplätze zu schaffen und dazu beitragen, unsere Ziele  Klima- und Umweltschutz zu erreichen.

Wir haben eine doppelte Herausforderung:

Einerseits müssen wir traditionelle energie- und kohlenstoffintensive Industriezweige, wie die Herstellung von Zement, Stahl und Chemie, umgestalten, und andererseits neue grüne Produktionszweige wie Solar- und Windkraftanlagen, Wärmepumpen und Elektrolyseure aufbauen und neue kreislauforientierte Geschäftsmodelle entwickeln.

Mit dem Europäischen Green Deal haben wir eine solide Grundlage für diesen Übergang geschaffen. Aber wir müssen noch mehr tun, um ihn tatsächlich zu verwirklichen. Die europäische Industrie braucht Sicherheit, Stabilität und Planbarkeit, um die richtigen Investitionen tätigen zu können, und Unterstützung bei der Bewältigung geopolitischer Risiken und Umweltkosten.

Dies erfordert nicht weniger, sondern mehr europäische Koordinierung. Wir wollen die raue geopolitische See gemeinsam durchschiffen, als ein Europa,  mit ihren Regierungen, der Industrie, den Arbeitnehmer*innen und der Zivilgesellschaft. Deshalb wollen wir an einer proaktiven, integrativen strategischen und grünen Industriepolitik arbeiten, die die Industrie bei diesem Übergang unterstützt. Wir brauchen einen europäischen Green Industrial Deal.

 

Unsere Vision eines Green Industrial Deal basiert auf fünf Säulen

Stärkung der europäischen Koordinierung

Die derzeitige europäische Industriepolitik ist zersplittert und inkohärent, was sowohl der Geschwindigkeit als auch der Effizienz der Transformation schadet. Europa braucht daher eine zielorientierte grüne Industriestrategie. Strategische Industriezweige müssen gemeinsam definiert werden und die staatliche Unterstützung dafür besser koordiniert. Staatshilfen sollten nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden, sondern an klare gemeinsame Bedingungen geknüpft werden, wie den Schutz von Arbeitnehmer*innen und klare Transformationspfade. Außerdem brauchen wir insgesamt eine verbesserte transnationale Energie- und Industrieplanung, sektorale Übergangspfade und Pläne für den Einsatz grüner Technologien.

Grüne Pioniere unterstützen

Wir wollen, dass grüne Produkte und Materialien zur neuen Norm werden. Leitmärkte sollten durch umweltfreundliche öffentliche Ausschreibungen und europäische Produktnormen eine stabile Nachfrage garantieren. Steuern und Emissionspreise sollten stärkere Anreize bieten und Investitionen in die richtige Richtung lenken.

Grüne Investitionen mobilisieren

Wir stehen vor der wahrscheinlich größten Transformation unsere Wirtschaft nach der industriellen Revolution. Wir dürfen die Industrie jetzt nicht alleine lassen. Wir müssen sowohl unsere öffentlichen Investitionen stärken, als auch private Gelder effizienter in die Transformation leiten. Die Transformation braucht eine zeitlich begrenzte, aber leicht zugängliche öffentliche Unterstützung durch einen grünen Transformationsfonds, der durch ein gemeinsames Anleihensystem ermöglicht wird und gleiche Wettbewerbsbedingungen in allen Mitgliedstaaten gewährleistet. Die öffentliche Finanzierung sollte in erster Linie die Elektrifizierung und die Kreislaufwirtschaft fördern. Die Finanzierung sollte an klare Dekarbonisierungspläne geknüpft sein. Parallel dazu wollen wir die Subventionen für fossile Brennstoffe vollständig abschaffen und in die industriellen Transformation reinvestieren.

Förderung der Kreislaufwirtschaft

Wir wollen ehrgeizige Ökodesign-Standards und -Anforderungen einführen, um die Kreislaufnachfrage anzukurbeln, z. B. Design für Demontage, Recycling und recycelte Inhalte, und die Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette zur Wiederverwendung von Materialien unterstützen. Dies verbessert die strategische Autonomie Europas und erschließt neue Industriezweige und damit Arbeitsplätze.

Die Transformation sozial gerecht gestalten

Ein sorgfältig gestalteter Übergang wird Hunderttausende neuer, guter Arbeitsplätze in Europa schaffen. Wir verwandeln SURE in einen europäischen Transformationsfonds für Beschäftigung, um die Einkommen der Arbeitnehmer*innen im Rahmen der grünen Transformation zu stützen, und sorgen für robuste Sicherheitsnetze, einschließlich einem angemessenen Mindesteinkommen. Außerdem garantieren wir die demokratische Beteiligung der Arbeitnehmer*innen über Pläne für eine gerechte Transformation, stärken den Fonds für einen gerechten Übergang und formulieren strenge soziale Auflagen für öffentliche Mittel und Aufträge.

 

Das Strategiepapier zum Green Industrial Deal (ENG)

Towards-a-European-Green-Industrial-Deal.pdf