Deutsche Ratspräsidentschaft: Der Klimacheck

Manfred Weber hat nicht verstanden, dass der Klimaschutz der Investitions- und Jobmotor ist. Wer den Green Deal wirklich infrage stellt, hat nichts kapiert. Die Klimakrise ist keine Eilmeldung per Nachrichtendienst, sondern mit allen Konsequenzen für die Wirtschaft und den Planeten seit Jahrzehnten bekannt.

Auch für die Wirtschaft sind klare Klimaziele als Orientierungspunkt für neue Investitionen notwendig. Hier muss Bundeskanzlerin Angela Merkel und die deutsche EU Ratspräsidentschaft liefern. Das Europaparlament arbeitet mit Hochdruck am Klimagesetz, während der EU-Regierungen noch immer am Anfang der Diskussion verharren. Das ist fatal. Die Verhandungen um das Klimagesetz mit starken Klimazielen für 2030 müssen dieses Jahr abgeschlossen werden und es darf keine Milliardengräber für Gas-Projekte geben. Vielmehr braucht es einen klaren Klima-Investitionsboost aus dem Wiederaufbaufond und ein Erneuerbaren-Projekt wie das 70 Millionen-Solardachprogramm.

Grüne Forderungen für die Ratspräsidentschaft

1. EU-Klimagesetz mit verschärftem 2030-Klimaziel!

Unter deutscher Ratspräsidentschaft müssen die EU Klimaziele für 2030 verschärft und ein ambitioniertes europäisches Klimaschutzgesetz verabschiedet werden. Wir wollen 65 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 und jährliche CO2-Budgets, um so das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Auch die Wirtschaft braucht diese zentrale Koordinate zeitnah, um sich zu orientieren und eigene Investitionen zu tätigen.

2. Kein Geld für fossile Energie und Atomenergie!

Wir brauchen einen Europäischen Klimavorbehalt, in dem alle Ausgaben der EU auf ihre Klimarelevanz geprüft werden. Wir wollen in die Zukunft investieren, nicht in die Vergangenheit. Daher fordern wir, dass kein Geld des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) und des NextGenerationEU Fund in die Förderung fossiler Energien oder die Atomenergie fließt. Wir wollen einen Großteil der Anleihen für den NextGenerationEU Fund als Green Bonds aufnehmen. Diese sind besonders nachgefragt. Und: Bereits mit der Aufnahme des Geldes erfolgt eine entscheidende Weichenstellung Richtung Green Deal und wir stärken Europa als Leitmarkt für nachhaltige Geldanlagen.

3. Jeden zweiten Euro der EU Konjunkturmilliarden und des EU Haushalts für das Klima ausgeben!

Wir wollen verbindliche Klimaquoten für den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und den NextGenerationEU Fund. Wir wollen, dass jeder zweite Euro in den Klimaschutz fließt, gemäß den Richtlinien der Taxonomie für klimagerechte Vorhaben. Wir brauchen eine regelmäßige Überprüfung und Korrekturmechanismen für die Klimawirksamkeit im EU Budget. Der EU-Haushalt muss neue Eigenmittel beinhalten, die dem Klimaschutz dienen, wie eine Plastikabgabe, eine wirksame europäische CO2 Bepreisung und einen CO2-Grenzausgleich für fairen Wettbewerb.

4. In eine grüne Infrastruktur investieren und grüne Jobs schaffen!

Wir wollen ein 70-Millionen-Dächer-Programm für Solaranlagen in den nächsten zehn Jahren, eine Renovierungswelle für die rund 215 Millionen Gebäude in der EU bis 2050, einen Investitionsschub für grüne Forschung und Entwicklung und Europäische Transformationspartnerschaften, um so bis zu zwei Millionen Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wollen die Chance nutzen, die Verkehrswende in Europa endlich voranzubringen. Wir wollen ein grünes Eisenbahnnetz in Europa, mit Schnellzügen, Nachtzügen und Lückenschliessungen.

Hintergrund

Der Klimaschutz in der deutschen EU Ratspräsidentschaft steht mit dem von Manfred Webers angefachten Streit um den Green Deal im Abseits.

Futter hatte der Streit bereits in einem Brief vom 26. März 2020 von der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im Europäischen Parlament bekommen. Diese forderten die EU Kommission, den EU Rat und das Europarparlament auf, sich von den Klimaschutzprogrammen zurückzuziehen und den Green Deal auf die lange Bank zu schieben. Damals prüfte die polnische Regierung sogar den Austritt aus dem ETS. Der tschechischen Premierminister Andrej Babiš legte nach und sagte: “Europe should forget about the Green Deal now and focus on the coronavirus instead”.

Mit dem Verschieben der COP26 in Glasgow um ein Jahr auf Ende 2021 und dem EU-China-Summit, sind zwei wichtige Druckpunkte verloren gegangen, zügig im Klimabereich zu liefern. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sind deutlich stärker zu spüren und absehbar, die Entscheidungen gehen weit über den Green Deal hinaus. Die deutsche EU Ratspräsidentschaft wird somit zur Belastungsprobe für Ursula von der Leyens Green Deal-Projekt und Angela Merkels Klima- und Europa-Vermächtnis. Fest steht aber: Klima und Wirtschaft sind untrennbar miteinander verzahnt. Die Ratspräsidentschaft muss eine Klimapräsidentschaft werden. Es droht aber eine neue Gas-Renaissance.

Das Klima-Programm der deutschen Ratspräsidentschaft im Detail

Der Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft liegt nicht beim Klima. Klima ist laut der offiziellen Webseite unter “Weitere Themen” mit Digitalisierung und Europas Rolle in der Welt zu finden.

Das Klima-Programm der Ratspräsidentschaft besteht vor allem aus vielen Absichtserklärungen. Das erste Mal überhaupt wird Klimaschutz auf Seite sieben erwähnt - nach der Schaffung von Infrastrukturen wie Breitband- und Mobilfunknetzen. Dann folgen einige Absichtserklärungen rund um grünen Wasserstoff, Forschung, Mobilität und Verhandlungen zum 8. Umweltaktionsprogramm sowie der Biodiversitätsstrategie. Ab Seite neun erscheint dann zum ersten mal das Europäische Klimaschutzgesetz.

Dort soll darauf “hingearbeitet” werden, “die Beratung des Entwurfs eines europäischen Klimagesetzes, welches insbesondere die Klimaneutralität der Europäischen Union bis 2050 rechtlich verbindlich festschreibt, im Rat abzuschließen.”. Diese allgemeine Ausrichtung ist notwendig um zwischen den Mitgliedstaaten eine Position zum Klimagesetz zu bekommen. Damit aber ist nicht klargestellt, dass das Klimagesetz erfolgreich zu Ende verhandelt wird. Über die ausschlaggebenden Trilogverhandlungen zwischen Rat, EU Parlament und Kommission in welchen zumeist eine Einigung innerhalb der drei Institutionen erzielt wird, wird nicht erwähnt. Diese Seite der Medaille ist bislang blank.

Mit der Beratung rund um das Klimagesetz im Rat sind die nationalen Klimabeiträge (NDCs) verbunden, die die Grundlage für eine Anhebung der 2030er-Klimaziele sind. Hier “begrüßt” die deutsche Ratspräsidentschaft den EU Kommissionsvorschlag von 50-55%. Die Berichterstatterin des Europaparlaments schlägt hier minus 65% vor.

Im Energiebereich sieht das Programm den “zügigen Ausbau von Offshore-Windenergie” als Schlüsselrolle und setzt auf “europäischen Rahmenbedingungen für gemeinsame Erneuerbare-Energien-Projekte der Mitgliedstaaten, insbesondere im Bereich Offshore-Windenergie” und setzt auf grünen Wasserstoff, der allerdings jetzt schon von blauem Wasserstoff von Seiten der EU Kommission übertrumpft wird.

Mit dem Deutschen Modell der CO2-Bepreisung auch außerhalb der Emissionshandel-Sektoren, einem neuen Vorstoß für eine CO2-Mindestbepreisung bzw. der möglichen Ausweitung des ETS-Handel auf weitere Sektoren - also auch Verkehr und Wärme - sendet die Deutsche Ratspräsidentschaft diffuse Signale.

Welchen Einfluss hat die Corona-Krise auf den Klimaschutz und damit die Ratspräsidentschaft?

Nach Einschätzung des Berliner Think Tanks Agora Energiewende wird Deutschland unter anderem aufgrund der Corona-Krise sein Klimaziel einer Reduktion der Treibhausgasemissionen um 40% bis Ende 2020 auf der Basis von 1990 erreichen. Die Schätzungen gehen von minus 40–45% Treibhausgasreduktion für das Jahr 2020 aus. Doch der Think Tank warnt: für das Klima ist das nicht unbedingt ein Gewinn. Vielmehr zählt der langfristig gedachte Klimaschutz. Zu befürchten ist ein Reboundeffekt.

Auch im Zeitraum der Wirtschafts- und Finanzkrise ist es zu einem deutlichen Rückgang der Treibhausgasemissionen gekommen. Damals sanken die globalen CO2-Emissionen um 1,4 Prozent. Im darauffolgenden Jahr aber stiegen sie um fast sechs Prozent.

Seit dem Beginn der Corona-Krise und seit den ersten wirtschaftlichen Zahlen scheint sich hier der Rebound-Effekt anzukündigen. Am 27. Juni 2020 nannte Manfred Weber, EVP-Chef, den Green Deal in Corona-Zeiten einen “Blindflug” und angesichts der schwersten Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren müsse zunächst bewertet werden, wie es der europäischen Wirtschaft gehe und welche neuen Auflagen sie verkraften könne: „Erst danach sind neue Regelungen zum Klimaschutz denkbar.“

Unterstützung bekam er schon Wochen zuvor durch ein Unionspapier aus Deutschland, dass die Klimaziele der Kanzlerin und damit das Klima-Thema der deutschen Ratspräsidentschaft rund um das Europäische Klimaschutzgesetz massiv kritisiert.

Mut auszustrahlen und fast schon in Kampfeslust, erscheint dagegen Svenja Schulze, die hier die Wogen glätten will. In einem Interview vom 29. Juni 2020 spricht sie vom Abschluss des EU Klimaschutzgesetzes mitsamt der 55 % Reduktion Treibhausgase bis 2030.

Doch eine neue Studie von Corporate Europe Oberservatory dämpft die Stimmung und sieht die deutsche EU-Ratspräsidentschaft als Risikofaktor für den Green Deal. Vor allem im Verkehrs- und Energiebereich. Wirtschaftsminister Peter Altmaier sprach sich im Januar dieses Jahres in einem Schreiben an Ursula von der Leyen gegen mehr Schadstoffgrenzwerte für die Automobilindustrie vor 2030 aus. Altmaier legte auch beim fossilen Gas nach. Im Rahmen ihrer nationalen Wasserstoffstrategie räumt die Bundesregierung der Sicherung der Energieversorgung, auch aus fossilen Energieträgern, einschließlich Gas, Priorität ein. Vor einigen Monaten fasste Altmaier die Auffassung seiner Regierung zum Thema Gas zusammen als "Gas ist nicht nur wichtig, es ist auch sexy." Während der deutschen Ratspräsidentschaft sollen zahlreiche gas- und energiebezogene Dossiers auf der EU-Agenda stehen.

Dieser Gas-Hype spiegelt sich mittlerweile auch in der EU Wasserstoffstrategie wider. In einem Leak wurde bekannt, dass die Kommission auf Studien der Gas-Lobby setzt, die den sogenannten “blauen Wasserstoff” inklusive CCS als Förderungsfähig ansieht. Zusammen mit der Ten-E-Verordnung, die im 4. Quartal 2020 auf der Agenda steht, können so Milliardenbeträge in diese Technologien fließen.

Im 1. Quartal 2020 wurde die 4. PCI-Liste beschlossen, die 55 neue Gas-Projekte beinhaltet. Darüber können die Gas-Firmen auf die Liste kommen und über Connecting Europe Facility Gelder erhalten. Das Ergebnis können neue Studien aber eben auch neue Investitionsprojekte sein. Ein Milliardengrab rund um CCS, wurde so schon in der Vergangenheit geschaffen. Diese Gelder fehlen dann beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Die 4. PCI-Liste, sowie die kommende EU Wasserstoffstrategie am 8. Juli 2020, sind ein gigantischer fossiler Milliardenmarkt, der natürlich im Kontrast zu starken Klimazielen 2030 oder dem Ausbau der Erneuerbaren und anderen klimaneutralen Technologien steht.

Ein weitere Türöffner für Milliarden in Gas-Projekte scheint sich in der Diskussion um die Ausrichtung des Just Transition Fund (JTF) abzuzeichnen. Zwar hat der EU Rat sich jetzt gegen neue Gas-Projekte im JTF ausgesprochen - das hat Seltenheitswert - doch ausgerechnet das Europaparlament hat sich im Industrie- und Energie-Ausschuss (ITRE) sowie im Umwelt-Ausschuss für die Förderbarkeit von Gas-Projekte im JTF ausgesprochen, wie die Abstimmungen vom 29. Juni 2020 gezeigt haben. Immerhin sind hier Direktinvestitionen von rund 40 Milliarden Euro vorgesehen.

Die Gesamtanalyse, welche grünen Aspekte bislang im Recovery Plan stehen und was aus Sicht der Grünen im Europaparlament kommen muss, gibt es hier.

Die Positionen der drei Institutionen zum Europäischen Klimaschutzgesetz und wie das Klimaziel 2030 von minus 65 % Treibhausgasemissionen erreicht werden kann

Die Kernelemente des Kommissionsvorschlags umfassen bislang:

  • EU Klimaneutralität bis 2050
  • Überprüfung des aktuellen 2030 Ziels soll erst im September 2020 geschehen
  • EU-Zielpfad-Anpassungsmechanismus; per delegierte Rechtsakte

Der erste Entwurf des Europaparlaments sieht bislang folgendes vor:

  • Anpassung des EU-Treibhausgas-Reduktionsziels für 2030 auf minus 65 Prozent im Vergleich zu den Emissionen von 1990.
  • Jeder einzelne Mitgliedstaat muss bis spätestens 2050 Klimaneutralität erreichen – auch auf nationaler Ebene erreichen.
  • Bis Juni 2021 muss die Kommission Reduktionsmöglichkeiten für den Flug- und Schiffsverkehr prüfen und etwaige Gesetzesvorschläge machen.
  • Bis September 2025 soll die Kommission ein 2040-Ziel in der Bandbreite von minus 80 bis minus 85 Prozent prüfen und einen entsprechende Anpassung vorschlagen.
  • Bis Juni 2022 sollen sektorale Fahrpläne zur Klimaneutralität erarbeitet werden.
  • Bis Juni 2021 Etablierung des EPCC, Europäischer Klimarat, als Pendant zum IPCC.
    • Europas eigenes wissenschaftliches Expertengremium für Klimapolitik, ähnlich dem IPCC.
    • Die gesamte Klimapolitik muss auf korrekten und aktuellen Zahlen darüber beruhen, wie Emissionen und Wärme steigen / sinken.
    • Kontinuierliche Berichterstattung und Bewertung des Arbeitsfortschritts.
  • Bis Juni 2021: CO2-Budget für die EU  
    • Die Kommission wird beauftragt, bis Juni 2021 einen Kohlendioxidhaushalt zu erstellen, der aufzeigt, wie viel Treibhausgase die EU in Zukunft emittieren darf.
    • Dieser schlüsselt nach den einzelnen Wirtschaftssektoren auf, was emittiert werden kann, ohne die Verpflichtungen der Union im Rahmen des Pariser Abkommens zu gefährden.
    • Das CO2-Budget ist ein zentraler Bestandteil des Klimagesetzes zur Bewertung und weiteren Maßnahmen.
  • Die Ermächtigung der Kommission, den CO2-Reduktionspfad per delegiertem Rechtsakt festzulegen, wird ersetzt durch eine Verpflichtung der Kommission bis September 2025 einen entsprechenden Legislativvorschlag vorzulegen.
    • Der Reduktionspfad wird sechs Monate nach den Global Stocktakes (2023, 2028, … ) des Pariser Abkommens einer Überprüfung unterzogen und ggf. mit dem Klimagesetz angepasst.

Die Position des EU Rats:

  • 9 Länder sprechen sich für minus 55% bis 2030 aus.
  • Es wird insgesamt ein Klimaziel von 50 - 55 % angepeilt.
  • Osteuropäische Staaten pochen auf ihre nationalen Umstände und verweisen auf den Unterstützungsbedarf, gerade aus dem Recovery Fund.
  • Die von der Kommission noch nicht vorliegende Folgenabschätzung noch als Grund von vielen Staaten angeführt wird, warum sie noch keine Positionierung haben.

Die Abstimmung über die finale Fassung im ENVI ist für den 10. September vorgesehen, die finale Abstimmung im Plenary in der ersten Oktoberwoche. Danach beginnen die Trilogverhandlungen.

Eine neue Studie von Climact zeigt jetzt: Wir können bis 2030 die klimaschädlichen Emissionen um 65% senken, reduzieren Energiekosten und Folgeschäden.

Pressekontakt

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