Erneuerbaren-Booster für Europa kommt

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, kommentiert die Einigungen im heutigen Energierat:

Grünes Licht für den Erneuerbaren-Turbo aus Europa! Die EU sorgt für bürgerfreundliche Prozesse, günstige erneuerbare Energie und macht uns von Putins Gas unabhängig. Nächstes Jahr müssen kleine Dach-Solaranlagen innerhalb von einem Monat genehmigt werden, die Erneuerung von bestehenden Windanlagen und Solarparks innerhalb von sechs Monaten. Das kommt einer Revolution gleich, denn bisher braucht es durchschnittlich vier bis fünf Jahre, um ein Windrad in Deutschland zu planen und zu genehmigen.  

Mit gemeinsamen Gaseinkäufen stellt sich die EU der Preistreiberei auf dem Gasmarkt entgegen. Anstatt die Gaspreise in die Höhe zu treiben, werden gemeinsame Einkäufe den Preis deutlich senken. Der europäische Zusammenhalt schont den Geldbeutel aller EU-Bürgerinnen und Bürger.

Der Gaspreisdeckel allein bekommen wir die Energiekrise nicht in den Griff. Weiterhin brauchen wir verbindliche Investitionen in Energieeffizienz und verbindliche Einsparziele für den Gasverbrauch, aber hier stellen sich die Mitgliedstaaten weiter quer.

Rat verabschiedet Maßnahmenpaket gegen Energiekrise

Heute haben die EU-Energieminister*innen Maßnahmen zur Bekämpfung der Energiekrise beschlossen. Damit steht der Weg für den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren frei, die gemeinsamen Gaseinkäufe kommen und der Gaspreisdeckel ist zur Anwendung bereit. Diese Notfallverordnung nach Artikel 122 soll nur für 18 Monate lang anwendbar sein und so den Zeitraum überbrücken bis das ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu RePowerEU und der Überarbeitung der Erneuerbaren Energien Richtlinie abgeschlossen ist. Es handelt sich also nur um eine Übergangslösung, die jetzt nötig ist, um sich auf den kommenden Winter vorzubereiten.


Der Booster für Erneuerbare

Derzeit treibt der Gaspreis auch den Strompreis in die Höhe. Um die Energiepreise zu senken, muss Gas eingespart und durch den Ausbau von Erneuerbaren, vor allem zur Stromerzeugung, ersetzt werden.  

Bedauerlicherweise haben die Mitgliedstaaten den ursprünglichen Kommissionsvorschlag abgeschwächt und mehr Flexibilitäten eingebaut, sodass die Genehmigungsverfahren nun doch nicht ganz so schnell und ungehindert stattfinden können.

Was soll heute zu Genehmigungsverfahren beschlossen werden?

  • Photovoltaikanlagen auf Dächern müssen innerhalb von drei Monaten genehmigt werden. Die Kommission hatte ursprünglich eine Einmonatsfrist vorgeschlagen.
  • Für Photovoltaikanlagen auf Dächern bis 50 Kilowatt soll es, wie von der Kommission vorgeschlagen, eine Einmonatsfrist geben. Gibt es in dieser Zeit für kleine Anlagen keine Rückmeldung der Behörden, gelten die Anlagen nur dann als automatisch genehmigt (Genehmigungsfiktion), wenn ihre Kapazität die bereits bestehende, ans Netz angeschlossene Kapazität nicht überschreitet. Die Kommission hatte die Genehmigungsfiktion uneingeschränkt festlegen wollen. Außerdem räumen sich die Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, bestimmte Anlagen aufgrund ihrer kulturellen Bedeutung oder aus Sicherheitsgründen von der Vereinfachung der Verfahren auszuschließen.
  • Bei der Erneuerung von bestehenden Wind- und Solaranlagen (Repowering) sollen Genehmigungsprozesse inklusive der Erweiterung des Netzanschlusses und der Bewertung von Umweltauswirkungen auf 6 Monate gekürzt werden.
    • Wird eine Leistungserhöhung von weniger als 15 Prozent umgesetzt, soll der Netzanschluss sogar innerhalb drei Monate erfolgen. Auch hier hatte die Kommission nur einen Monat vorgeschlagen.
    • Beim Repowering von Solarparks sollen Naturschutz-und Ausgleichsanforderungen nicht erhöht werden, sofern die neue Anlage nicht mehr Fläche in Anspruch nimmt.
    • Bei Solarprojekten, die keine zusätzliche Fläche beanspruchen, sollen die Umweltverträglichkeitsprüfung gestrichen werden.
  • Bei Wärmepumpen von bis zu 50 MWh soll der gesamte Prozess der Genehmigung einen Monat nicht überschreiten, bei Erdwärmepumpen sollen drei Monate nicht überschritten werden. Für kleinere Anlagen mit weniger als zwölf Kilowatt Leistung ist von einer Genehmigung für den Netzanschluss von vornherein auszugehen.

Übergeordnetes öffentliches Interesse

  • Die Begründung für die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren: der Ausbau der erneuerbaren Energien entspricht dem “übergeordneten öffentlichen Interesse”. Allerdings haben die Mitgliedstaaten den ursprünglichen Kommissionsvorschlag dahingehend verändert, dass sie frei entscheiden können, diesen Vorsatz nur an bestimmten Orten anzuwenden, und damit an anderen Orten weiterhin bisherige Vergaberegeln greifen.
  • Die Kommission hatte auch vorgeschlagen, dass, wenn beim Bau von Windkraftanlagen angemessene Artenschutzmaßnahmen ergriffen werden, dass das in Kauf nehmen von Vogelkollisionen nicht mehr als vorsätzlich gelten darf. Der Rat hat dies jedoch gestrichen.  

Zeitplan

  • Bereits ab dem 1. Januar 2023 sollen die Genehmigungsverfahren für den Ausbau erneuerbarer Energien mit einer Notfallverordnung unter Art. 122  drastisch verkürzt werden.
  • Diese Notfallverordnung soll nur für 18 Monate lang anwendbar sein und so den Zeitraum überbrücken bis das ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu RePowerEU und der Überarbeitung der Erneuerbaren Energien Richtlinie abgeschlossen ist. Es handelt sich also nur um eine Übergangslösung, die jetzt nötig ist, um den Ausbau der Erneuerbaren vor dem kommenden Winter massiv voranzutreiben.

Wie sollen gemeinsame Gaseinkäufe ablaufen?

Um eine ähnliche Situation wie diesen Sommer zu verhindern, wo die Konkurrenz unter europäischen Gaseinkäufern die Preise noch weiter in die Höhe trieben, hat die Kommission am 18. Oktober einen Vorschlag gemacht, Gaseinkäufe zu bündeln. Dies soll besonders für die nächste Füllperiode der Gasspeicher gelten. Die Notvallverordnung soll das ganze Jahr 2023 gelten. Die gemeinsamen Gaseinkäufe sollen über die bereits existierende Plattform für Gaseinkäfe geregelt werden.

Um gemeinsame Einkäufe möglich zu machen, wird:

  • Ein Steering Board ins Leben gerufen, welches von der Kommission geleitet wird und mit jeweils einem Mitglied per Mitgliedstaat besetzt wird.
  • Ein Dienstleister zur Koordination der Einkäufe von der Kommission eingestellt.
  • Der Dienstleister soll die Nachfrage an Gas bündeln. Dieser Schritt ist weitestgehend freiwillig, für 15% der verbindlichen 90% der Gasspeicherfüllung jedoch verpflichtend. Dann wird Gas gemeinsam eingekauft, aber Unternehmen bleibt es offen, die so gekauften Volumina dann auch abzunehmen.
  • Russisches Gas und Firmen die von Sanktionen belegt sind, sind von gemeinsamen Gaseinkäufen ausgeschlossen.

Außerdem: Neuer Benchmark für Flüssiggas

  • ACER (EU-Agentur für die Zusammenarbeit von Energieregulierungsbehörden) soll ab spätestens 31. März 2023 einen täglichen LNG Benchmark veröffentlichen.
  • Datengrundlage sind die täglichen LNG Preis Daten, die die Agentur jetzt schon erheben muss, und der TTF Front Monatspreis für Termingeschäfte.
  • Unternehmen müssen relevante Information (Preis, Volumina, etc.) an ACER kommunizieren.

Kontrollmechanismus für Preisschwankungen im untertägigen Handel

  • Ein sogenannter Intra-day Volatilitätsmechanismus (also ein Kontrollmechanismus für Preisschwankungen im untertägigen Handeln) muss ab Ende Januar 2023 an allen Handelsplätzen eingeführt werden, die mit Energiederivaten handeln.
  • Ein oberes und unteres Preislimit soll anhand der aktuellen Preise (am Anfang der Öffnungspreis der Börsensitzung und später anhand von festen Referenz Zeitpunkten über den Tag) festgelegt werden um große Preisschwankungen in kurzer Zeit zu vermeiden (und somit auch Spekulation).
  • Dieser Mechanismus ist verbindlich für alle Mitgliedstaaten, sie können ihn entweder in bereits bestehende Circuit Breakers einbauen oder aber neu aufsetzen.

Mehr Transparenz bei neuen Gasverträgen

  • Außerdem sollen Verhandlungen über neue Gasverträge und Auktionen über ein Volumen von mehr als 5 TWh/Jahr der Kommission und betroffenen Mitgliedstaaten mitgeteilt werden.
  • Mithilfe des neu geschaffenen Steering Boards analysiert die Kommission, ob ein solcher Vertrag schädlich für den internen Gasmarkt oder die Versorgungssicherheit in Europa sein könnte und kann gegebenenfalls vor solchen Konsequenzen warnen.
  • Schließlich werden auch Solidaritätsmaßnahmen im Falle von Gasknappheit gestärkt.  

Gaspreisdeckel

  • Ab dem 1. Feburar  2023 und für das ganze Jahr 2023 soll es einen Gaspreisdeckel geben. Der Mechanismus greift ab dem 15. Feburar und wird aktiviert wenn der Marktpreis an der niederländischen Title Transfer Facility  (TTF) 3 Tage über 180 EUR liegt. In diesem Fall wird in den Markt durch einen dynamischen Preisdeckel eingegriffen.
  • Zukünftige Verträge (future contracts) am Niederländischen Titel Transfer Facility  (TTF) dürfen dann nicht mehr als 35€ über einem Referenzpreis liegen, der sich an europäischen und internationalen Flüssiggaspreisen orientiert. Der Gaspreisdeckel ist also dynamisch und kann weit über 180€ liegen, falls auch Flüssiggaspreise hoch sind. Allerdings kann der Gaspreisdeckel nie unter 180 € liegen.
  • Der Gaspreisdeckel gilt nur für einen Teil des Marktes, nämlich für die  künftigen Verträge (Vormonats- oder Vorjahresverträge). Er gilt nicht für den Spotmarkt oder den Freiverkehrsmarkt (over-the-counter-trading). Das heißt, wenn Versorgungssicherheit auf dem Spiel steht, könnten Importeure auf diese Markt Fragmente ausweichen.
  • Der Gaspreisdeckel wird für mindestens 20 Tage aktiviert. Er läuft länger, wenn europäische und internationale Flüggigaspreise niedrig (unter 145 €) bleiben und deswegen hohe Pieplinegas Preise am TTF nicht im Einklang mit internationalen Preisen sind.
  • Die Europäische Marktaufsichtsbehörde (ESMA) und Energieregulierungsbehörden sollen bis April 2023 eine Analyse zu den Folgen des Gaspreisdeckels erstellen, in der sie vor allem dessen Auswirkungen auf die Energieversorgungssicherheit und die Stabilität der Energie- und Finanzmärkte bewerten sollen. Ein Vorbericht soll bereits am 23. Januar vorliegen.
  • Der Gaspreisdeckel wird ausgesetzt, wenn eine Unionsnotfalllage festgestellt wird, in der die Versorgungssicherheit in Gefahr steht und es zu Rationierungen von Gas kommt. Um festzustellen ob die Versorgungssicherheit in Gefahr ist, werden folgenden Elemente in Betracht gezogen:
    • Monatliche Gasnachfrage steigt um mehr als 15% über 1 Monat oder 10% über 2 Monate (mit Wetterkorrektion), als der 5 Jahres Mittelwert dieser Monate;
    • Die Stabilität oder die geordnete Funktionsweise der Terminmärkte in der EU bedroht ist, vor allem wenn maßgeblich weniger Transaktionen am TTF getätigt werden als im selben Monat des Vorjahrs.