EU-CO2- Handel: Einigung über Europas größten Klimahebel

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen und Verhandlungsführer für die Grünen im EU-Parlament zur Einigung zwischen EU-Parlament und Mitgliedsstaaten zum EU- Emissionshandel:

Dass wir den Klimaschutz so verteidigen mussten, hätte ich nicht gedacht. Wir haben für ambitionierten Klimaschutz gekämpft und konnten fast alle Versuche abwehren, den Klimaschutz abzuschwächen. Wir schaffen einen starken, stabilen und hohen CO2-Preis in Europa, der den europäischen Kohleausstieg bis 2030 wahrscheinlicher macht und den Gasausstieg einleitet.

Die kostenlose Verschmutzungsparty hat ein Ende, wir schicken die Industrie auf den Modernisierungskurs. Bis 2030 werden die kostenlosen Emissionszertifikate fast halbiert und bis 2034 komplett gestrichen. Die schlimmsten Verschmutzer zahlen drauf und diejenigen, die dekarbonisieren, werden unterstützt.

Gleichzeitig ist klar, dass es jetzt beim Klimaschutz weitergehen muss. Wir konnten vieles abwehren, aber für das Pariser Klimaabkommen reicht das nicht aus. Das ist noch kein “Man-on-the-Moon”-Moment. Die Arbeit beginnt erst jetzt, die Klimatransformation zum Erfolg zu führen.

Wenn die Verschmutzungsrechte aus dem früheren Kohleausstieg stillgelegt werden, können wir die Klimaziele bis 2030 auf mindestens 60 Prozent anheben.

Bürgerinnen und Bürger in der EU müssen mit höheren CO2-Preisen rechnen. Der dafür geschaffene Klimasozialfonds reicht nicht aus, um diese Belastung auszugleichen. Der Klimaschutz der EU hat eine unsoziale Schlagseite. Das muss in der Zukunft anders werden, damit die soziale Gerechtigkeit nicht auf der Strecke bleibt.

Hintergrund vom 18. Dezember 2022

  • Die Reform des EU-Emissionshandels (ETS) ist das Herzstück des europäischen Green Deals. Der EU-Emissionshandel deckt bisher ca. 40 % aller EU-Emissionen ab, nämlich die Energiewirtschaft und die Industrie. 2021 umfasste der Emissionshandel 3 312 Millionen Tonnen CO2.
  • Wie funktioniert der Emmissionshandel? Im ETS werden Berechtigungsscheine zum CO2-Ausstoß (CO2-Zertifikate) gehandelt. Es wird eine absolute Anzahl an Zertifikaten festgelegt. Diese müssen ersteigert werden und können dann von den Martkteilnehmenden weiter gehandelt werden. So entsteht ein CO2-Preis, der aktuell bei 85 Euro pro Tonne liegt.


Verhandlungserfolge

  • Bis 2030 wird die Hälfte der freien Zuteilungen Geschichte sein. Emissionen unter dem Emissionshandelssystem werden um 62% reduziert, das ist noch ein bisschen ambitionierter als die Kommission es vorgeschlagen hatte.
  • Alle Einnahmen aus dem ETS (sowohl dem bestehenden, als auch dem neuen für Transport und Gebäude) müssen in Klimamaßnahmen fließen.
  • Es werden Bedingungen an freie Zuteilungen geknüpft:
    • Audits: Firmen müssen Energieaudits ihrer Produktionsabläufe durchführen und entsprechend der Ergebnisse Dekarbonisierungsmaßnahmen durchfürhren. Tun sie dies nicht, werden ihre freien Zuteilungen um 20% gekürzt.
    • Malus: Die Produktionsstätten, die zu den 20% mit der schlechtesten Klimabilanz gehören, müssen außerdem Dekarbonisierungpläne anfertigen. Wenn sie nicht sowohl die Empfehlungen in den Energieaudits als auch de Dekarbonisierungspläne umsetzten, werden ihnen 20% der freien Zuteilungen gekürzt.


Der Deal im Detail

 

Klimaschutz

  • Bis 2030 sollen die Emissionen um 62% reduziert werden. Das sind 23 Millionen Tonnen CO2 weniger in der Atmosphäre als die Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte.
  • 2024 werden 90 Millionen Zertifikate aus dem Markt genommen (rebasing). 2026 werden dann noch einmal 27 Millionen Zertifikate aus dem Markt genommen.
  • Außerdem wird der gesamte Emissionsdeckel (Cap) zwischen 2024 und 2027 jedes Jahr um 4,3% abgesenkt, ab 2028 dann um sogar um 4,4% (Linear Reduction Factor).
  • Der Zertifikatestaubsauger (MSR) wird weiterhin 24% der überschüssigen Zertifikate aus dem Markt entfernen, die zwischen definierten Grenzwerten liegen.
  • Außerdem verpflichtet sich die Kommission, diese Grenzwerte auf ihre Gebrauchstauglichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls sie so zu abzuändern, dass sie proportional zum LRF absinken und der Marktstaubsauger so mehr Zertifikate aus dem Markt ziehen kann, um historische Überschüsse aus dem Markt zu bekommen und neue zu verhindern.
  • Emissionen in der Abfallverbrennung werden ab 2024 überwacht und ab 2028 sollen sie in den Emissionshandel aufgenommen werden. Mitgliedstaaten haben allerdings die Möglichkeit nach Erklärung die Anwendung auf 2030 zu verschieben.


Freie Zuteilungen

  • Bis 2030 wird knapp die Hälfte der freien Zuteilungen gestrichen. Bis Ende 2034 gibt es dann gar keine freien Zuteilungen mehr für die stark emittierenden Sektoren die unter den neuen CO2 Zoll fallen. Bis dahin soll der CO2-Zoll vollständig eingeführt sein. Ein klares Signal für die Industrie, jetzt in dekarbonisierte Prozesse zu investieren.
  • Die Kurve nach der freie Zuteilungen reduziert werden, während der CO2-Zoll (CBAM) eingeführt, wird sieht folgendermaßen aus:

Bedingungen für freien Zuteilungen

  • Audits: Firmen müssen Energieaudits ihrer Produktionsabläufe durchführen und entsprechend der Ergebnisse Dekarbonisierungsmaßnahmen durchfürhren. Tun sie dies nicht, werden ihre freien Zuteilungen um 20% gekürzt.
  • Malus: Die Produktionsstätten, die zu den 20% mit der schlechtesten Klimabilanz gehören, müssen außerdem Dekarbonisierungpläne anfertigen. Wenn sie nicht sowohl die Empfehlungen in den Energieaudits als auch de Dekarbonisierungspläne umsetzten, werden ihnen 20% der freien Zuteilungen gekürzt.
  • Die Kommission geht davon aus, dass aufgrund dieser Bedingungen 75 Millionen Zertifikate mehr versteigert werden, also die Industrie fürs Emittieren bezahlen muss. Die entsprechenden Einnahmen sollen dann zur Hälfte in den Innovationsfonds fließen und dadurch die Dekarbonisierung der Industrie vorantreiben. DIe Hälfte soll den Mitgliedstaaten zugutekommen, die damit vor allem Exportsektoren, die von nun an dem CO2-Zoll unterliegen, unterstützen sollen.
  • Benchmarks: Freie Zuteilungen werden weiterhin auf Höhe der sogenannten Benchmarks an Produktionsstätten gegeben. Die Benchmarks sind die Zielgrößen für energieeffiziente (und damit emissionsarme) Produktion.
    • Bis 2026 werden die Benchmarks neu aufgesetzt und sollen von nun an nach Produkten und nicht mehr nach Prozessen definiert werden. Das heißt, verschiedene Produktionsweisen, die aber das gleiche Ausgangsprodukt haben, werden nun nach dem gleichen Maßstab gemessen.
    • Außerdem wird in den Benchmarks in Zukunft auch das Potenzial für Kreislaufwirtschaft von Produkten in Betracht gezogen.
    • Darüber hinaus werden die Benchmarks nun jährlich mindestens um 0,3% erhöht.
  • Mitgliedstaaten sind dringlich aufgefordert, die Zertifikate, die durch nationale Kohleausstieg überflüssig werden, aus dem Emissionshandelssystem zu löschen. Wenn sie dies nicht tun, müssen sie erklären, warum sie das nicht tun.
  • Exporte: Zusätzlich zu der Unterstützung durch zusätzliche Gelder aus dem dem “malus” system, soll die Kommission analysieren ob Exportsektoren auch unter dem CO2 Zoll genug geschützt sind, sollten sie das nicht sein, muss die Kommission neue Maßnahmen vorschlagen, um den Schutz zu gewähren.
  • Freie Zuteilung für Kohle (artikel 10c) wird es nicht mehr geben.

 

Einnahmen aus dem ETS

  • Dem Innovationsfonds sollen 575 Millionen Zertifikate zugeführt werden. Bei einem Durchschnittspreis von 80 Euro sind das 46 Milliarden Euro bis 2030. Das Parlament wollte über 1 Milliarde Zertifikate zugunsten des Innovationsfonds versteigern und somit das Geld, dass für die Vorreiter der Industriewende verdoppeln.
  • Mitgliedstaaten sind von nun an verpflichtet, 100% ihrer Einnahmen in Klimamaßnahmen zu investieren.
  • Der Modernisierungsfonds wurde zur  Modernisierung der Wirtschaft in weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten aufgesetzt. Die Einnahmen, die in den Modernisierungsfonds gehen,  dürfen zumindest teilweise weiterhin für Gas ausgegeben werden, allerdings müssen die “do no significant harm” Prüfung bestehen. Das Parlament hatte jegliche fossile Investitionen mit diesem Fonds verhindern wollen.

 

ETS für Wärme und Verkehr und Klimasozialfonds

  • Für den Gebäude und Transport Sektor wird ab 2027 ein neuer Emissionshandel (ETS2) parallel zu schon bestehenden eingeführt. Neben Haushalten fallen nun auch kleine Unternehmen unter den Emissionshandel.
  • Der Preis ist bis 2030 auf 45 Euro gedeckelt.
  • Um bedürftige Haushalten zu unterstützen, Investitionen zu tätigen, um die Emissionen zu senken, wird der Klimasozialfonds eingeführt. Dieser wird bereits ein Jahr bevor der neue Emissionshandel in Kraft treten Brüger*innen Gelder zur Verfügung stellen. Über den Zeitraum 2026-2032 werden so 86,7 Milliarden Euro für soziale Klimamaßnahmen bereitgestellt, die von Gebäuderennovierung von Sozialbauten bis hin zur direkten Einkommensunterstützung reichen.
  • Wenn die Energiepreise (Öl und Gas) bei über 106 €/MWh liegen, wird der neue ETS2 nicht in 2027 eingeführt, sondern erst ein Jahr später. (emergency break)
  • Energieversorger müssen der Kommission offenlegen, wie viel der Kosten der Emissionszertifkate sie an die Endkonsumenten weitergeben. Stellt die Kommission Fehlverhalten, z.B. unlautere Preisaufschläge, der Energieversorger fest, darf sie Maßnahmen ergreifen, diesen Einhalt zu gebieten. (cost pass through)
  • 50% der Einnahmen aus dem ETS2 werden an die Mitgliedstaaten gehen, aber auch diese müssen die Gelder für soziale Klimamaßnahmen vor allem im Gebäude und im Verkehrssektor nutzen.
  • Was bedeutet der ETS2 für Verbraucher*innen? Ein CO2-Preis von 50 €/tCO2 würde den Preis für Benzin um etwa 10 Eurocent pro Liter und den Preis für Diesel um etwa 12 Eurocent pro Liter steigen lassen (falls er vollständig an die Endverbraucher weitergegeben wird). Quelle: Ariadne Report: „Ein fairer und solidarischer EU-Emissionshandel für Gebäude und Straßenverkehr“ (06/2022)
    • Auswirkung eines CO2-Preis von 50 €/tCO2 auf EU27-Einkommensdezile: Die Haushalte im ärmsten Dezil würden etwa 0,5 % ihres Einkommens verlieren, während der Verlust für Haushalte im reichsten Dezil etwa 0,35 % betragen würde. Quelle: Ariadne Report: „Ein fairer und solidarischer EU-Emissionshandel für Gebäude und Straßenverkehr“ (06/2022)
  • Zur Vereinbarkeit von ETS2 und dem deutschen BEHG: Im Februar 2022 skizzierte das Adriane Projekt den Zusammenhang folgendermaßen https://ariadneprojekt.de/publikation/hintergrund-weiterentwicklung-co2-bepreisung/