Michael Bloss, klima- und industriepolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament sowie Schattenberichterstatter der Greens/EFA, kommentiert den Bericht des Umweltausschuss
Ein toller Erfolg für das Klima. Alle, die bei der letzten Europawahl für mehr Klimaschutz gestimmt haben, dürfen sich gehört fühlen! Eine grüne Allianz schickt die Europäische Union in Richtung 1,5 Grad-Ziel.
Mit dem Votum für den europäischen Emissionshandel setzen wir den Grundpfeiler für den Klimaschutz und senden ein Signal an Welt. Die Energiewende wird beschleunigt, die Industrie fit für die Klimaneutralität gemacht und die Bürger*innen Europas sozial-gerecht für ihre Anstrengungen belohnt. Ein Gewinn für alle.
Die Schärfung der Klimaziele führt zu einem Kohleausstieg um das Jahr 2030. Der neu geschaffene Klimainvestitionsfonds wird Milliarden für den Ausbau der Erneuerbaren bereitstellen. Industrieunternehmen die rasch ihre Emissionen senken, werden belohnt. Über Klimaverträge, einen CO2-Grenzausgleich und der Förderungen von modernen Technologien setzen wir Anreize für das klimaneutrale Wirtschaften. Gleichzeitig unterstützen wir Europas Bürger*innen erstmals mit einem Klimasozialfonds. Der sozial-gerechten Transformation steht somit nichts mehr im Wege. Jetzt gilt es Farbe zu bekennen. Wenn die Konservativen diesen Vorschlag in der finalen Abstimmung blockieren, werfen sie uns meilenweit beim Klimaschutz zurück.
Peter Liese und die Konservativen müssen sich überlegen, auf welcher Seite der Geschichte sie stehen wollen. Für einen starken Klimaschutz, der alle mitnimmt, oder für eine Blockadehaltung beim Klimaschutz, der uns in den Abgrund führt.
Hintergrund
Der wohl wichtigste Baustein des Fit For 55-Klimapakets der EU-Kommission wird die Reform des EU-Emissionshandels sein. Der Handel deckt ca. 43 % aller europäischen CO2-Emissionen ab. Darunter fallen die Energiewirtschaft und die Industrie. Es ist ein Handelssystem für Berechtigungsscheine zum CO2-Ausstoß (CO2-Zertifikate). Wie funktioniert es? Es wird eine absolute Anzahl an Zertifikaten festgelegt, diese müssen ersteigert werden und können dann von den Marktteilnehmenden gehandelt werden. So entsteht ein CO2-Preis, der aktuell bei rund 90 Euro pro Tonne liegt.
Der Fit-For55 Vorschlag der EU Kommission zum ETS sieht vor, dass die CO2 Emissionen im ETS um 61 Prozent sinken.
Zeitplan
- Die finale Abstimmung im Plenum ist für den 7. Juni geplant.
- Der Trilog für Herbst/Winter 2022
Was ist passiert?
Nach monatelangen Verhandlungen haben sich die Unterhändler*innen im EU-Parlament auf viele gemeinsame Punkte einigen können. Bei den zentralen Punkten haben die Konservativen unter Peter Liese für weniger Ambitionen als die EU-Kommission gestimmt, aber eine grüne Allianz aus Sozialdemokraten, Liberalen, Linken und Grünen überstimmten die EPP und Rechten.
Die größten Erfolge für den Klimaschutz in der Zusammenfassung
- Ist angenommen CA 1 ALT: Die Emissionen unter dem ETS werden bis 2030 um 67% verringert (im Vergleich zu 2005). Das ist mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar. Es entspricht dem Ziel, die CO2-Emissionen in Europa insgesamt bis 2030 um 60% zu verringern, wie es schon die Position des EU-Parlaments beim Europäischen Klimagesetz war;
- Ist angenommen CA 6 ALT: Nach 2030 wird die Industrie den vollen CO2-Preis bezahlen müssen. Sie wird keine freien Zertifikate (also keine gratis-Emissionsrechte) mehr erhalten. Das Verursacherprinzip wird angewendet. Diejenige Industrie, die schnell dekarbonisieren will, bekommt weiterhin freie Zuteilungen, Klimaverträge und einen Klimabonus;
- Ist angenommen CA 12: Der neu getaufte Klima-Investitionsfonds (vormals Innovation Fond) stellt von nun an bis zu 146 Milliarden Euro (Preisannahme 100 Euro CO2-Preis) für die Dekarbonisierung der Industrie zur Verfügung. Mindestens 12% davon werden für den Ausbau von Erneuerbaren reserviert;
- Ist angenommen: Keine Einnahmen unter dem ETS dürfen mehr für fossile Energien oder Atomkraft ausgegeben werden.
Der Deal für die Industrie
- Freie Zuteilungen bleiben für die dekarbonisierte Industrie bestehen
- Industrieanlagen, die vollständig dekarbonsiert haben, bekommen weiterhin freie Zuteilungen, um die Dekarbonisierung zu finanzieren. Sie können für mehr als fünf Jahre dies freien Zuteilungen erhalten.
- Die 10% besten Industrieanlagen bekommen zusätzlich 10% mehr freie Zuteilungen
- Dazu müssen die 10% besten Industrieanlagen einen Dekarboniserungsplan vorlegen und sich daran halten, sowie ein Energie-Management-System etablieren. Gleichzeitig werden die freien Zuteilungen mit Bedingungen verknüpft. Wer zu den 10% schlechtesten gehört und wer keine Dekarbonisierungsplan und kein Energy Management System vorliegt, verliert alle freien Zuteilungen.
- Klimaverträge und Gelder aus dem Klima-Investitionsfonds
- Die Dekarbonisierung der Industrie wird über Klimaverträge finanziert. Dazu wird der auf 143 Milliarden (Rechnung mit 100 Euro CO2-Preis) große Klimainvestitionsfonds genutzt.
Alle Einigungen in der Übersicht
Ambitionen im 1. EU-ETS
- Löschung von überschüssigen CO2-Zertifikaten & Obergrenze der CO2-Zertifikate. (Alternativer Kompromiss von RE, SD, Grüne, Linke)
- Dies führt bis 2030 zu einer verringerung der CO2-Emissionen unter dem ETS um 67%. Das ist 6% mehr als die EU Kommission will;
- Nach dem Vorschlag werden 205 Millionen überschüssige CO2-Zertifikate gelöscht. Die EU-Kommission will rund 110 Millionen CO2-Zertifikate löschen;
- Im Vorschlag außerdem enthalten: Der Linear Reduction Factor (LRF), also die Obergrenze der Emissionen, die unter dem Emissionshandelssystem jährlich ausgestossen werden können, soll jährlich um 4.2% sinken. Der LRF soll jährlich um 0,1% ansteigen.
- Freie CO2-Zuteilung, CO2-Grenzausgleichmechnismus und Klimaverträge (angenommen!)
- Eine Mehrheit abseits der EPP will ab 2031 keine freien CO2-Zuteilungen mehr für die Industrie. Hier greift dann der CO2-Grenzausgleichmechanismus (CBAM), der den gleichen Preis, den die heimische Wirtschaft in das Emissionshandelssystem einzahlen muss, auch von Importeuren verlangt;
- Die Einführung soll schrittweise erfolgen: Stahl, Eisen, Stromerzeugung, Aluminium, Düngemittel, Zement-Sektoren, Plastik, organische Chemikalien, Ammoniak von Anfang an, und bis 2030 aber auf alle Sektoren die im ETS sind erweitert werden;
- Freie Zuteilungen werden allmählich abgeschmolzen und das zusätzliche Einkommen soll der heimischen Industrie unter anderem durch Klimaverträge (Carbon Contracts for Difference) und durch den neu getauften Climate Investment Fonds (vorher Innovation Fonds) wieder zugeführt werden.
- Ambitionen im ETS II (angenommen!)
- Der ETS II soll nun vorerst nur für gewerbliche Gebäude und Verkehr gelten. Ein CO2-Höchstpreis von 50 Euro wird im ETS II festgelegt;
- Im Jahr 2026 soll die EU-Kommission analysieren, ob eine Einführung des ETS II auch für private Haushalten infrage kommt und dabei vor allem analysieren, ob Energie- und Mobilitätsarmut abgenommen hat;
- Die EU-Kommission kann dann einen neuen Gesetzesvorschlag machen, und einen ETS II für Haushalte frühestens ab dem Jahr 2029 vorschlagen. Darüber wird noch einmal im Gesetzgebungsverfahren entschieden;
- Der ETS II darf nur dann auf Haushalte und PKWs ausgeweitet werden wenn:
- Der Klima-Sozialfonds bereits drei Jahre Haushalte für Mehrkosten entschädigen;
- Wenn Energiepreise unter dem Durchschnittspreisen von März 2022 liegen;
- Die Kommission muss analysieren, ob es möglich ist, dass Öl und Gaskonzerne 50% der ETS II Kosten tragen. Das heißt sie müssen transparent offen legen, wie ihr Verkaufspreis zustande kommt. Eine Geldstrafe wird fällig, falls sie mehr als 50% der Kosten an die Konsument*innen weitergegeben haben.
Einnahmen aus dem ETS und Verteilung dieser (angenommen!)
- Klima-Investitionsfonds (vorher Innovation Fonds)
- Bislang wurden durch den Innovation Fonds nur völlig neue oder innovative Projekte unterstützt. Jetzt soll er mit Projekten erweitert werden, die die Klimaneutralität vorantreiben. Daher der neue Name.
- Der Fonds wird insgesamt mit 1.46 Milliarden Zertifikaten gefüllt, wenn diese zu einem Preis von 100 Euro versteigert werden, heißt das 146 Milliarden Euro für saubere Technologien.
- 12% des Fonds sind für Investments in ausschließlich erneuerbare Energien reserviert.
- Mit den Geldern des Klima-Investitionsfonds sollen Klimaverträge (Contracts For Difference) zur Dekarbonisierung der Industrie finanziert werden.
- Bedingungen an die EU-Mitgliedsländer für die Verwendung der ETS-Einnahmen
- eine Mehrheit von EPP, S&D, Grünen und Linken will, dass Gelder weder für fossile Energie, noch für Atomprojekte ausgegeben werden kann. Die Liberalen sind sich bei diesem Punkt nicht einig, weshalb über die Finanzierung von Atomstrom separat abgestimmt wird.
- Mindestens 12% der Einnahmen müssen an klimafreundliche, öffentliche Transportmittel gehen.
- Mindestens 12% der Einnahmen müssen in internationalen Klimaschutz fließen.
- Länder müssen Pläne vorlegen, wie sie mit diesen Geldern die Lücke zwischen den momentanen nationalen Energie und Klima Plänen (NECPs) und den EU-Klimazielen schließen wollen. Eine Strafe bei Nicht-Vorlegen gibt es nicht.
- Modernisierungs Fond
- Der Modernisations Fond wird um 2% der Zertifikate aufgestockt, sodass dann 4% der insgesamt versteigerungen Zertifikate in diesen Fond fließen.
- Gelder fließen nur, wenn durch nationale Maßnahmen die Garantie für die Klimaneutralität 2050 gegeben ist und kein Rechtsstaat-Verletzungsverfahren gegen die Mitgliedstaaten läuft.
- Fossile oder Atomenergien sind ausgeschlossen (Liberale sind hier nicht einstimmig dabei, deutliche Mehrheit des Ausschusses aber).
- Öffentliches Label
- Alle finanzierten Projekte aus dem ETS mïussen dies auch deutlich sichtbar mit einem EU-Label kennzeichnen.
Maßnahmen zum Marktdesign (angenommen!)
- Artikel 29a (Der Preis-Kontrollmechanismus für zu schnelle Preiserhöhung)
- Der Kontrollmechanismus greift, wenn der CO2-Preis sechs Monate 2x so hoch ist wie er durchschnittlich die letzten zwei Jahre war;
- Dann muss die EU-Kommission innerhalb von sieben Tagen prüfen, ob dieser Preisanstieg auch der Grundstruktur des Marktes entspricht und wenn nicht, Maßnahmen zur Preissenkung ergreifen;
- Ursprünglich wollte die EPP, dass der Mechanismus ohne Prüfung sofort greift, scheiterte aber an der Mehrheit.
- Markt-Stabilitätsreserve (MSR)
- Die oberen und unteren Grenzwerte werden mit 700/927 festgelegt, aber ab 2025 werden sie parallel zum Linearen Reduktionsfaktor abgesenkt.
- Damit wird die Reserve schon früher aktiviert, als von der Kommission vorgesehen und kann mehr Zertifikate vom Markt nehmen.
- Benchmarks
- Der Minimum-Grenzwert wird von 0.2 auf 0.4 erhöht. Damit wird eine etwas schnellere Verbesserung der Benchmarks forciert.
- Die neuen Benchmarks werden erst ab 2026 in Kraft treten.
- Die neuen Benchmarks werden nicht mehr durch die Produktionsweise, sondern durch das Produkt bestimmt und werden auch vollständig dekarbonisierte Produktionsweisen mit einbeziehen. Das heißt zum beispiel Stahl der mit erneuerbarem Wasserstoff hergestellt wird kann jetzt den standard für Stahlproduktion setzen.
- Beschränkung des Marktzuganges
- Eine Mehrheit (EVP, Liberale, Identitäre und ECR) wollen den Marktzugang auf regulierte Unternehmen beschränken. Dieses Vorhaben würde die Liquidität des Marktes stark hemmen und dessen ganze Struktur verändern.
- Allerdings kann die Kommission das evaluieren und im Zweifelsfall noch aufhalten.
Die Ausweitung des ETS in der Übersicht (angenommen!)
- Schiffsverkehr
- Der ETS für den Schiffsverkehr soll ab 2024 voll eingeführt werden (und nicht wie von der EU-Kommission vorgesehen gestaffelt bis 2027);
- Es soll auf Schiffe mit über 400 GT Gewicht bis zum Jahr 2027 ausgeweitet werden - bisher wurden nur Schiffe ab 5.000 GT einbezogen;
- Ab 2027 sollen außerdem nicht nur 50% der Emissionen von Reisen von und zu Drittstaaten im ETS bezahlt werden, sonder 100%;
- Ausnahme: Es gibt eine internationale Einigung mit Drittstaaten, die eine äquivalente Treibhausgas-Bepreisung garantiert, oder Drittstaaten haben eigenständig eine äquivalente Treibhausgas-Bepreisung eingeführt;
- Um “Carbon Leakage” zu vermeiden, werden EU-nahe Häfen bereits ab 2024 völlig in den ETS einbezogen;
- 75% der Einnahmen des ETS für die Schifffahrt geht an einen “Ocean Fund”, der für die Dekarbonisierung der Schifffahrt zur Verfügung steht. Davon 15% müssen für Biodiversitätsmaßnahmen ausgegeben werden.
- Die Eissschifffahrt und Überseegeibete bzw. “Regionen in äußersten Lagen” sind davon ausgenommen.
- Flugverkehr
- Der Luftverkehr innerhalb der EU wird ab 2025 den vollen Preis für seine Emissionen zahlen (keine kostenlosen Zertifikate mehr).
- Der ETS wird auch für internationale Flüge gelten, die die Union verlassen (nach Abzug des an CORSIA gezahlten Preises).
- Die Nicht-CO2-Emissionen des Luftverkehrs werden ab 2024 überwacht. Die EU-Kommission sollte dann einen Legislativvorschlag vorlegen, um die
- Nicht-CO2-Emissionen im Rahmen des ETS zu bepreisen. Sollte dies nicht geschehen, wird ein Multiplikator von mindestens 1,8 auf diese Emissionen angewandt.
- Abfall
- Ab 2026 werden Emissionen von kommunaler Müllverbrennung mit in den ETS aufgenommen.
Das will die EU-Kommission
- Bislang sollen die CO2-Emissionen in den ETS-Sektoren um 43 Prozent bis zum Jahr 2030 fallen. Die Zahl soll auf auf 62 Prozent erhöht werden;
- Der lineare Reduktionsfaktor soll von 2,2 auf 4,2 Prozent steigen. Das heißt, jedes Jahr werden 4,2 Prozent weniger CO2-Zertifikate auf den Markt kommen. Einmalige Reduktion ist nicht spezifiziert, wird so sein, als ob LRF von 4,2% bereits seit 2021 gelten würde. Im Jahr 2050 werden keine Zertifikate mehr ausgeteilt;
- Die Industrie bekommt bisher ihre Zertifikate, ohne dafür zu Zahlen. Diese freien Zuteilungen sollen bis zum Jahr 2036 auslaufen. Nach der aktuellen ETS-Verordnung enden die kostenlosen Zertifikate 2030. Ab 2026 werden die kostenlosen Zertifikate um 10 Prozent pro Jahr reduziert, um 2036 eine 100 prozentige Abschaffung zu erreichen;
- Für Sektoren, die nicht unter CO2-Grenzausgleich (siehe unten) fallen, wird eine schwache Konditionalität eingeführt, um weiterhin einen Teil ihrer kostenlosen Zertifikate zur Verbesserung der Energieeffizienz von Anlagen zu erhalten.
Das will die EU-Kommission im Emissionshandel für Verkehr und Gebäude
- Die Kommission schlägt einen zweiten Emissionshandel für Transport und Gebäude vor, der ab 2026 eingeführt werden soll;
- Der lineare Reduktionsfaktor wird für 2026 - 2028 auf 5,15 Prozent und nach 2028 auf 5,43 Prozent festgelegt;
- Der Innovationsfonds wird um 150 Millionen Zertifikate aufgestockt, die aus dem neuen ETS für Transport und Gebäude stammen werden. Das bedeutet, dass die Verbraucher für den Übergang in der Industrie und im Energiebereich zahlen.