EU-Strommarkt: Das wurde Zeit! Rat einigt sich auf Position

Michael Bloss, Verhandlungsführer der Grünen zum Strommarktdesign, kommentiert die Einigung des Rats auf eine gemeinsame Position zur EU-Strommarktreform:

Das wurde aber auch Zeit! Jetzt können die Verhandlungen über einen neuen europäischen Strommarkt beginnen. Jetzt muss es darum gehen, schnell die Erneuerbaren auszubauen und die Strompreise für die Industrie und die Bürger*innen zu senken.

Der Rat kann die Rechnung nicht ohne das Parlament machen, denn neue Kohlesubventionen oder Extrawürste für die Atomkraft schließen wir aus. Neue Kohlesubventionen sind ein No-Go in Zeiten der Klimakrise. Dass Atomkraftwerke sich nicht dem Wettbewerb und Markt stellen sollen, ist ineffizient und uneuropäisch. Auch hier wird das Parlament Verbesserungen verlangen.

Wir werden die Schlupflöcher für Frankreichs marode Atommeiler und Polens dreckige Kohleschleudern nicht hinnehmen. Diese Energiequellen gehören der Vergangenheit an. Wir brauchen einen echten europäischen Strommarkt. Im fairen Wettbewerb werden sich die Erneuerbaren durchsetzen und Atom- und Kohleenergie verdrängen.

Mit Energy-Sharing und Balkonsolar soll es für alle kinderleicht gemacht werden, mit der Kraft der Erneuerbaren die eigene Stromrechnung zu senken. Das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.

Die Mitgliedstaaten zeigen kein Herz für Menschen, die sich die Strompreise nicht leisten können. Zum Glück hat das Parlament hier ein Verbot von Stromsperren und ein Recht auf einen Energielieferanten beschlossen. Wir werden für eine sozial gerechte Stromversorgung in Europa kämpfen.

Michael Bloss, negotiator for Greens/EFA for the reform of the EU electricity market design (EMD), comments on the Council's agreement on a common position on the EMD:

We can finally start negotiating the new European electricity market. It's about time! We urgently need to boost renewables and cut electricity costs for industry and consumers.

The Council cannot do the calculations without Parliament, because we rule out new coal subsidies or extra costs for nuclear power. New coal subsidies are a no-go in times of climate crisis. The fact that nuclear power plants should not face competition and the market is inefficient and un-European. Here too, Parliament will push for improvements.

We will not accept the loopholes for France's dilapidated nuclear reactors and Poland's dirty coal slingers. They belong to the past. We need a fair and competitive European electricity market. In fair competition, renewables will prevail and push out nuclear and coal energy.

Energy sharing and balcony solar should make it easy for everyone to use the power of renewables to reduce their own electricity bills. These are the right steps forward.

Member States lack compassion for people who struggle to pay their electricity bills. That’s why parliament has taken action to protect them from power cuts and ensure their right to an energy supplier. We will fight for a socially just electricity supply in Europe.

Hintergrund vom 18. Oktober 2023

Der Rat der EU-Mitgliedstaaten hat sich am 17. Oktober 2023 auf eine Position zur Verhandlung der EU-Strommarktreform geeinigt.

Das EU-Parlament haben sich bereits am 19. Juli auf ein Verhandlungsmandat des EPs zur Strommarktreform geeinigt. Am 19. Juli stimmte der Industrieausschuss (ITRE) über den erzielten Kompromiss ab. Dies wurde im September erneut vom Plenum bestätigt. Damit ist das Europäische Parlament bereit für die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten.

Warum eine Strommarktreform?


Nach der Energiekrise sollte der europäische Strommarkt ein Update bekommen, um den Erneuerbarenausbau zu beschleunigen und die Strompreise, insbesondere für Verbraucher*innen, dauerhaft zu senken. Nachdem 2022 die Mitgliedsstaaten bereits Krisenmaßnahmen ergriffen haben, ist dies nun die ordentliche und unbefristete Gesetzesänderung mit Beteiligung des Parlaments.

Die Verhandlungsposition der Mitgliedstaaten

Die wichtigsten Eckpunkte der Einigung  europäischen Energieminister*innen im Überblick

Differenzverträge zur Förderung der Erneuerbaren

  • Der Kernbestandteil der Reform ist die Ausgestaltung staatlicher Förderinstrumente für Erneuerbare. Zweiseitige Differenzverträge (CfDs) haben eine Doppelfunktion:
    • Durch einen garantierten Mindestpreis sollen Erneuerbare gefördert werden, indem ihnen ein Mindesteinkommen staatlich garantiert wird.
    • Gleichzeitig werden durch einen Maximalpreis Gewinne abgeschöpft, die dann die Mitgliedstaaten umverteilen können.
  • Folgende Technologien sollen mit Differenzverträgen gefördert werden:
    • Wind, Solar, Wasserkraft (ohne Reservoir), Geothermal und Atomenergie
  • Mitgliedsstaaten dürfen neue Anlagen zur Stromerzeugung nur mit CfDs fördern
  • Mitgliedsstaaten dürfen Bestandsanlagen mit CfDs fördern, wenn diese einem Repowering, Laufzeitverlängerung oder Kapazitätsausbau unterzogen werden. (Dies gilt auch für Atomkraftwerke.)
  • Die Staatseinnahmen aus der Gewinnabschöpfung per CfD können an Endverbraucher*innen (z.B. Verbraucher*innengruppen, wie Haushalten und Industrie) ausgeschüttet werden.
    • Allerdings prüft hier die Kommission genau, ob die Umverteilung unfaire Wettbewerbsverzerrungen und Verzerrungen im gesamten Binnenmarkt mit sich zieht.
    • CfDs dürfen keine unfairen Wettbewerbsverzerrungen verursachen, insbesondere dann, wenn CfDs ohne öffentliche Ausschreibung vergeben wurden.


Kapazitätsmechanismus: Förderung für Kohlestrom geht in die Verlängerung

  • Ausnahme im Kapazitätsmechanismus: Förderung von bereits laufenden Kohle-oder Gaskraftwerken, die über dem Emissionsstandard (mehr als 550g CO2 pro KWh) emittieren, bis Ende 2028 möglich.
  • Ursprünglich sollte diese besonders klimaschädlichen Kraftwerke 2025 vom Netz genommen werden. Mit dieser Ausnahme können die klimaschädlichsten Kohlekraftwerke nun zwei Jahre länger gefördert werden als bisher vorgesehen.
    Polen hatte auf diese Ausnahme bestanden.
  • Kapazitätsmechanismen sollen nicht mehr als Notlösung gelten, wenn die ausreichende Strommenge nicht über den Markt garantiert werden kann, sondern als struktureller Baustein für die Energieversorgung.
    • Kapazitätsmechanismen sollen schneller und einfacher eingeführt werden können.
    • Das kann auch bedeuten, dass weniger geprüft wird, ob die Mechanismen auch auf flexible Nachfrage reagieren - wie die Position des Parlaments es vorsieht.

Wie steht es um den Industriestrompreis?

  • Es erfolgt europäische Koordination durch die Kommission
  • Kein Strompreisdumping: Unterbietungswettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten wird von der EU verhindert
  • Gezielte Industrieförderung kann durch DG Wettbewerb der Kommission per Einzelfallentscheidung genehmigt werden.


Die Verhandlungsposition des Parlaments

Klare Designkriterien für Differenzverträge

  • Neben CfDs dürfen Mitgliedsstaaten auch äquivalente direkte Fördermechanismen für Erneuerbare (z.B. gleitende Einspeiseprämie mit Deckel) einsetzen, sofern die Kommission diese als Äquivalente zu CfDs genehmigt hat.
  • Mindestens die Hälfte des Volumen an CfDs müssen über öffentliche Ausschreibungen vergeben werden.
    • Dadurch können sich im Wettbewerb die günstigsten Technologien durchsetzen und Atomkraft muss mit den günstigeren Erneuerbaren konkurrieren.
  • Es besteht keine Verpflichtung für Erzeuger, CfDs abzuschließen.
  • CfDs sollen neue Anlagen, sowie Repowering sowie die zusätzliche Energiekapazität bei Laufzeitverlängerung abdecken. Die vollumfängliche Überführung von Bestandsanlagen ist nicht vorgesehen.
  • Die Einnahmen aus CfDs sollen an Verbraucher*innen, denen Energiearmut droht, ausgezahlt werden und in Investitionen in die Energiewende fließen. Außerdem können die Einnahmen an energieintensive Industrieunternehmen (proportional zum Verbrauch) ausgezahlt werden, sofern diese einen Dekarbonisierungsplan verfolgen.
  • Kein Produce and Forget: Es besteht eine Ausnahme bei negativen Preisen. Energieerzeuger erhalten keinen garantierten Mindestpreis, wenn Marktpreise negativ sind, damit sie trotz CfD auf Marktsignale reagieren und ihr Verhalten anpassen.


Europäischer Erneuerbaren Booster

  • Die Mitgliedstaaten haben sich im Rahmen der Erneuerbarenrichtlinie (RED) dazu verpflichtet, 42,5 % des EU-Energieverbrauchs bis 2030 mit Erneuerbaren abzudecken. Angestrebt, aber nicht an konkrete Verpflichtungen geknüpft, ist das Ziel 45 % des EU- Energieverbrauchs bis 2030 mit Erneuerbaren sicherzustellen. Das EP-Verhandlungsteam will die Lücke von 2,5 % über ein europäisches Auktionsprogramm schließen.
    • Mit europäischen Investitionsgarantien für Langzeit-Stromabnahmeverträge (PPAs) und europäischen Differenzverträgen (CfDs), um finanzielle Risiken beim Erneuerbarenausbau abzumildern.

Langzeit-Stromabnahmeverträge (PPAs):

  • Markteintrittsbarrieren sollen abgebaut werden und durch Aggregation auch kleineren Marktteilnehmenden der Abschluss von PPAs ermöglicht werden.
  • Staatliche Garantien für PPAs zu Marktpreisen sollen Investitionsrisiken senken. Auch die Europäische Investitionsbank soll Garantien für PPAs vergeben. Wenn möglich, sollen die Garantien auf PPAs über Strom aus neuen Erneuerbaren-Anlagen abgeschlossen werden.

Energy Sharing: Energiewende von unten

Energy Sharing für Erneuerbare: Der EU-Rechtsrahmen für das Einspeisen und Speichern von grünem Strom durch Bürger*innen, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen kommt.

Neben einem Vertrag mit dem herkömmlichen Stromversorger können Verbraucher*innen zusätzliche Energy Sharing Abkommen abschließen und so gezielt mit anderen Personen Strom teilen. Über Energy Sharing Plattformen kann Strom und Speicherkapazität angeboten und verkauft werden.

So wird eine neue, dezentrale Stromversorgung durch Erneuerbare durch Prosumer ermöglicht - jenseits des herkömmlichen Modells, in dem Verbraucher*innen von einem großen Energieversorger Strom beziehen.

  • Stromversorger sollen nur Nettoverbrauch in Rechnung stellen, also Stromverbrauch minus eingespeiste Strommenge. Bildlich gesprochen, beim Einspeisen “läuft der Zähler rückwärts”.
  • “Plug-and-play” für Balkonsolar-Anlagen (installierte Kapazität bis zu maximal 800 Watt): d.h. keine Gebühren, Netzentgelte oder Steuern, wenn Mitgliedsstaaten das so entscheiden.
  • Beim Einspeisen größerer Strommengen (installierte Kapazität größer als 800W) fallen kostenorientierte Netzentgelte, Gebühren und Steuern an.
  • Transparente, vereinfachte Vertragsabschlüsse beim Produzieren, Speichern und Teilen von Erneuerbarem Strom
  • Keine unnötige Bürokratie: Kleinanlagenbetreiber sind von Verpflichtungen, die für klassische Energielieferanten gelten, entbunden. (bei Anlagen bis zu 10.8 kW installierter Kapazität und bis zu 100 kW Kapazität für Mehrparteienhäuser)
  • 20% des von öffentlichen Einrichtungen produzierten Stroms soll an vulnerable Verbraucher*innen gehen.

Wer darf beim Energy Sharing mitmachen?

Alle! Es ist nicht erforderlich, selbst Strom zu produzieren oder zu speichern, um am Energie-Sharing teilzunehmen und geteilten Strom zu beziehen. Damit können alle Haushalte von günstigem, dezentral produziertem Strom aus Erneuerbaren profitieren.

Die einzige Voraussetzung ist, dass die Energieerzeugung nicht das primäre Geschäftsziel einer Unternehmung ist, damit diese Energie teilen darf.

Was macht die Energy Sharing Plattform?

Die Plattform vermittelt Stromangebote und Speichermöglichkeiten (v.a. Autobatterien) an Verbaucher*innen und kümmern sich um die Abrechnung von Zählerständen, Netzentgelten und Steuern (vor allem in Mehrparteienhäusern mit Dach-PV), die Kommunikation mit Netzbetreibern und Energieversorgern, sowie die Anmeldung von Anlagen.

Eine einzelne Anlage, die von einem Drittanbieter verwaltet werden kann, darf die maximale Kapazität von 6 MW nicht überschreiten.

Das Energy Sharing wird in der EU-Richtlinie zum Strommarkt reguliert und muss entsprechend in nationales Recht umgesetzt werden.

 

Soziale Gerechtigkeit und Verbraucher*innenschutz

  • Einseitige Preiserhöhungen in befristeten Festpreisverträgen sind verboten.
  • Verbot von Stromsperren in der EU: Menschen, die von Energiearmut bedroht oder betroffen sind, darf der Strom nicht abgestellt werden.
  • Verbraucher*innen haben die freie Wahl zwischen Fixpreisverträgen (Mindeslaufzeit ein Jahr) und Verträgen mit flexibler Preisgestaltung.
  • Verbraucher*innen haben EU-weit das Recht auf transparente Aufschlüsselung ihrer Stromkosten durch den Energieversorger
  • Verbraucher*innen haben Anspruch auf einen Unterzähler für Strom / intelligenten Stromzähler (smart meter), mit denen sie ihren Stromverbrauch an die aktuellen Preise anpassen können (zum Beispiel zum Laden von E-Autos oder Nutzen von Wärmepumpen).
    • So können sie von niedrigen Preisen profitieren und gleichzeitig einen Teil ihres Verbrauchs mit einem Festpreis absichern.

EU-Krisenmaßnahmen

  • EU-Krisenmechanismus zur Preiskontrolle:
    • Die Kommission sieht in Krisenzeiten vor, dass Mitgliedsstaaten in die Preisgestaltung eingreifen dürfen und Energiesparmaßnahmen bei Unternehmen durchsetzen können, bis hin zur Reduzierung des Stromverbrauchs auf 70% des Vorjahres.

Keine Verlängerung für schmutzigen Kohlestrom

Im Gegensatz zum Rat sieht die Parlamentsposition keine Änderung des Kapazitätsmechanismus vor.

 

Das Marktdesign im Detail

  • Die grundsätzlichen Marktregeln (merit order) bleiben erhalten.
  • Offshore Windkraftanlagen erhalten eine Garantie für den Anschluss an Übertragungsnetze.
    • Falls Netzbetreiber eine volle Abnahme des Stroms der Offshore-Anlagen nicht sichern können, müssen Kompensationszahlungen an die Offshore-Windanlagen gezahlt werden.
  • Kurzzeit-Märkte sollen sich der Echtzeit (realtime) annähern.
    • Das bedeutet, der Gebietszonen übergreifende untertägige Handel soll ab 2026 30 Minuten vor der Echtzeit schließen. Übertragungsnetzbetreiber können Ausnahmen beantragen, müssen aber allerspätestens 2031 den gebotszonenübergreifenden Handel bis 30 Minuten vor Echtzeit sicherstellen.
    • Das ermöglicht es den Erneuerbaren Energien, ihre Spitzenproduktion besser am Markt zu verkaufen.
  • Terminmärkte: Die Kommission wird mit einer Folgenabschätzung prüfen, ob die Einführung regionaler virtueller Handelspunkte (virtual hubs), die Liquidität auf den Terminmärkten europaweit verbessern und somit durchgeführt werden soll.
  • Peak Shaving: Nach einer Folgenabschätzung durch ACER, kann die Kommission einen Gesetzesvorschlag für die Einführung von “Peak Shaving Produkten” machen und im Falle einer Energiekrise Peak Shaving Maßnahmen einführen. In Markt für “Peak Shaving Produkte” könnten Marktteilnehmer*innen eine Vergütung erhalten, wenn sie ihren Verbrauch in Zeiten hoher Last kurzfristig reduzieren.
  • Speicherung und Lastensteuerung (demand response flexibility)
    • Anstatt neue Atom- oder Gaskraftwerke zur Verstromung einzusetzen, soll das Potenzial von Stromspeichern und flexible Anpassung der Nachfrage auf Angebotsschwankungen (demand response) durch Industrie und Haushalte genutzt und gefördert werden.


Wie geht es jetzt weiter?

Am Donnerstag, 19. Oktober, beginnen die Trilogverhandlungen zwischen Mitgliedsstaaten und dem EU-Parlament.