EU-Strommarktreform: Kohlesubventionen gehen in die Verlängerung

Michael Bloss, Verhandlungsführer der Grünen zum Strommarktdesign, kommentiert die Einigung im Trilog zwischen Parlament und Rat:

Einen Tag nach der historischen Einigung bei der Klimakonferenz in Dubai beschließt die EU neue fossile Subventionen für die dreckigsten Kohlekraftwerke. Damit macht sich Europa komplett unglaubwürdig. Mit dieser Einigung kann die Europäische Union ihre Auszeichnung als Klima-Vorreiterin gleich wieder abgeben.


Zwar gibt es positive Elemente in der Einigung, so soll die Europäische Union selbst Ausschreibungen für Erneuerbare Energien umsetzen und auf der sozialen Seite gibt es durchaus Fortschritte, wie das europaweite Verbot von Stromsperren und mehr Verbraucherschutz. Doch damit können die zerstörerischen Konsequenzen nicht aufgewogen werden.


Die Atom- und Kohlestaaten haben sich durchsetzen können, der Klimaschutz bleibt auf der Strecke. Von der groß angekündigten Reform des Strommarkt bleibt am Ende nicht viel übrig. Das ist ein schlechtes Zeichen für den Green Deal und die Modernisierungsfähigkeit Europas.

Michael Bloss, negotiator for Greens/EFA for the reform of the EU electricity market design (EMD), comments on the agreement reached in the trilogue between Parliament and Council:

One day after the historic agreement at the climate conference in Dubai, the EU decides on new fossil fuel subsidies for the dirtiest coal-fired power plants. This makes Europe not credible. With this agreement, the European Union can immediately relinquish its accolades as a climate pioneer.


There are positive elements in the agreement, for example European tenders for renewables. There has certainly been progress on the social side, such as the Europe-wide ban on disconnections and more consumer protection. However, this cannot outweigh the destructive consequences on climate.


The nuclear and coal member states have been able to assert themselves at the expense of climate protection. In the end, there is not much left of the much-heralded reform of the electricity market. This is a bad sign for the Green Deal and Europe's ability to modernize itself.

Hintergrund vom 14. Dezember 2023

Heute Nacht, am 14. Dezember, haben die Verhandler*innen von EU-Parlament und Rat eine politische Einigung im Trilog über die EU- Strommarktreform erzielt. Dieses Verhandlungsergebnis muss nun formal von Rat und Parlament bestätigt werden. Die Grünen/EFA unterstützen den gefundenen Kompromiss nicht.

Warum eine Strommarktreform?

Nach der Energiekrise sollte der europäische Strommarkt ein Update bekommen, um den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen und die Strompreise, insbesondere für Verbraucher*innen, dauerhaft zu senken. Nachdem 2022 die Mitgliedsstaaten bereits Krisenmaßnahmen ergriffen haben, ist dies nun die ordentliche und unbefristete Gesetzesänderung mit Beteiligung des Parlaments.


Die Kernpunkte der Reform

Mit dem Merit-Order-Prinzip, d.h. die Produktionskosten der teuerste Energiequelle bestimmen den Marktpreis, bleibt die grundlegende Funktionsweise des EU-Strommarkts erhalten. Die EU-Kommission hatte nicht wie üblich eine Folgenabschätzung der Reform vorgelegt.

Differenzverträge zur Förderung der Erneuerbaren

Der Kernbestandteil der Reform ist die Ausgestaltung staatlicher Förderinstrumente für Erneuerbare. Zweiseitige Differenzverträge (CfDs) haben eine Doppelfunktion:

  • Durch einen garantierten Mindestpreis sollen Erneuerbare gefördert werden, indem ihnen ein Mindesteinkommen staatlich garantiert wird. Gleichzeitig werden durch einen Maximalpreis Gewinne abgeschöpft, die dann die Mitgliedstaaten umverteilen können.
  • Folgende Technologien sollen mit Differenzverträgen gefördert werden:
    Wind, Solar, Wasserkraft (ohne Reservoir), Geothermie und Atomenergie
  • Mitgliedsstaaten dürfen neue Anlagen zur Stromerzeugung nur mit CfDs fördern
  • Mitgliedsstaaten können Bestandsanlagen mit CfDs fördern, wenn diese einem Repowering, Laufzeitverlängerung oder Kapazitätsausbau unterzogen werden. (Dies gilt auch für Atomkraftwerke.)
  • Die Staatseinnahmen aus der Gewinnabschöpfung per CfD sollen an Endverrbraucher*innen ausgezahlt werden.
  • Neben CfDs dürfen Mitgliedsstaaten auch äquivalente direkte Fördermechanismen für Erneuerbare (z.B. gleitende Einspeiseprämie mit Deckel) einsetzen.
  • Es besteht keine Verpflichtung für Erzeuger, CfDs abzuschließen.


Kapazitätsmechanismus: Förderung für Kohlestrom geht in die Verlängerung

  • Mit Kapatitätsmechanismen können Mitgliedsstaaten, Anlagen finanziell für die Bereitstellung von Kapazität fördern. Diese Anlagen bekommen damit zusätzliche Einnahmen, die über die Erlöse, die sie durch den Verkauf am Markt erzielen, hinaus.
  • Ausnahme im Kapazitätsmechanismus: Förderung von bereits laufenden Kohle-oder Gaskraftwerken, die über dem Emissionsstandard (mehr als 550g CO2 pro KWh) emittieren, bis Ende 2028 möglich.
  • Ursprünglich sollte diese staatliche Förderung dieser besonders klimaschädlichen Kraftwerke 2025 auslaufen. Mit dieser Ausnahme beim Emissionsstandard können die klimaschädlichsten Kohlekraftwerke nun 3,5 Jahre länger gefördert werden als bisher vorgesehen.
  • Polen hatte auf diese Ausnahme bestanden.
  • Kapazitätsmechanismen sollen nicht mehr als Notlösung gelten, wenn die ausreichende Strommenge nicht über den Markt garantiert werden kann, sondern zum strukturellen Baustein für die Energieversorgung werden.
  • Kapazitätsmechanismen sollen schneller und einfacher eingeführt werden können.

Europäischer Erneuerbaren Booster

Die Mitgliedstaaten haben sich im Rahmen der Erneuerbarenrichtlinie (RED) dazu verpflichtet, 42,5 % des EU-Energieverbrauchs bis 2030 mit Erneuerbaren abzudecken. Angestrebt, aber nicht an konkrete Verpflichtungen geknüpft, ist das Ziel 45 % des EU- Energieverbrauchs bis 2030 mit Erneuerbaren sicherzustellen. Die Kommission soll prüfen, wie diese Lücke von 2,5 % über ein europäisches Auktionsprogramm geschlossen werden kann.

Langzeit-Stromabnahmeverträge (PPAs)

  • Markteintrittsbarrieren sollen abgebaut werden und durch Aggregation auch kleineren Marktteilnehmenden der Abschluss von PPAs ermöglicht werden.
  • Staatliche Garantien für PPAs zu Marktpreisen sollen Investitionsrisiken senken. Diese Garantien können Mitgliedsstaaten auf PPAs über Strom aus Erneuerbaren-Anlagen beschränken.


Energy Sharing: Energiewende von unten

Energy Sharing für Erneuerbare: Der EU-Rechtsrahmen für das Einspeisen und Speichern von grünem Strom durch Bürger*innen, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen kommt.


Neben einem Vertrag mit dem herkömmlichen Stromversorger können Verbraucher*innen zusätzliche Energy Sharing Abkommen abschließen und so gezielt mit anderen Personen Strom teilen. Über Energy Sharing Plattformen kann Strom-und Speicherkapazität angeboten und verkauft werden.


So wird eine neue, dezentrale Stromversorgung durch Erneuerbare durch Prosumer ermöglicht - jenseits des herkömmlichen Modells, in dem Verbraucher*innen von einem großen Energieversorger Strom beziehen.

Das Energy Sharing wird in der EU-Richtlinie zum Strommarkt reguliert und muss entsprechend in nationales Recht umgesetzt werden.

  • Stromversorger sollen nur Nettoverbrauch in Rechnung stellen, also Stromverbrauch minus eingespeiste Strommenge.
  • “Plug-and-play” für Balkonsolar-Anlagen (installierte Kapazität bis zu maximal 800 Watt) kann von Mitgliedsstaaten besonders gefördert werden, um die Energiewende von unten zu beschleunigen. Nationale Regulatoren können Balkonsolar von Netzgebühren befreien.
  • Transparente, vereinfachte Vertragsabschlüsse beim Produzieren, Speichern und Teilen von Erneuerbarem Strom.
  • Keine unnötige Bürokratie: Kleinanlagenbetreiber*innen sind von Verpflichtungen, die für klassische Energielieferanten gelten, entbunden. (bei Anlagen bis zu 30 kW installierter Kapazität für Einfamilienhäuser und bis zu 100 kW Kapazität für Mehrparteienhäuser)
  • 10% des von öffentlichen Einrichtungen produzierten Stroms soll an vulnerable Verbraucher*innen gehen.

Wer darf beim Energy Sharing mitmachen?

Alle! Es ist nicht erforderlich, selbst Strom zu produzieren oder zu speichern, um am Energie-Sharing teilzunehmen und geteilten Strom zu beziehen. Damit können alle Haushalte von günstigem, dezentral produziertem Strom aus Erneuerbaren profitieren.

Die einzige Voraussetzung ist, dass die Energieerzeugung nicht das primäre Geschäftsziel einer Unternehmung ist, damit diese Energie teilen darf. Industrieunternehmen können von Mitgliedsstaaten zum Energie teilen zugelassen werden. Grundsätzlich ist Energy Sharing innerhalb Gebotszone möglich (also deutschlandweit). Z.B. bei Netzengpässen kann der Mitgliedsstaat das Energy Sharing geographisch beschränken.

Was macht die Energy Sharing Plattform?

Die Plattform vermittelt Stromangebote und Speichermöglichkeiten (v.a. Autobatterien) an Verbaucher*innen und kümmern sich um die Abrechnung von Zählerständen, Netzentgelten und Steuern (vor allem in Mehrparteienhäusern mit Dach-PV), die Kommunikation mit Netzbetreibern und Energieversorgern, sowie die Anmeldung von Anlagen.

Eine einzelne Anlage, die von einem Drittanbieter verwaltet werden kann, darf die maximale Kapazität von 6 MW nicht überschreiten.

 

Soziale Gerechtigkeit und Verbraucher*innenschutz

  • Einseitige Preiserhöhungen in befristeten Festpreisverträgen sind verboten.
  • Verbot von Stromsperren in der EU: Menschen, die von Energiearmut bedroht oder betroffen sind, darf der Strom nicht abgestellt werden.
  • Verbraucher*innen haben die freie Wahl zwischen Fixpreisverträgen (Mindeslaufzeit ein Jahr) und Verträgen mit flexibler Preisgestaltung.
  • Verbraucher*innen haben EU-weit das Recht auf transparente Aufschlüsselung ihrer Stromkosten durch den Energieversorger
  • Verbraucher*innen haben Anspruch auf einen Unterzähler für Strom / intelligenten Stromzähler (smart meter), mit denen sie ihren Stromverbrauch an die aktuellen Preise anpassen können (zum Beispiel zum Laden von E-Autos oder Nutzen von Wärmepumpen).
  • So können sie von niedrigen Preisen profitieren und gleichzeitig einen Teil ihres Verbrauchs mit einem Festpreis absichern.

EU-Krisenmaßnahmen zur Preiskontrolle

Die Mitgliedsstaaten können eine Strompreiskrise ausrufen und, sofern gewisse Kriterien erfüllt sind, in die Preisgestaltung auf dem Markt eingreifen. Für bis zu 70% des Stomverbrauchs von Unternehmen können Preise gesetzt werden, bei Haushalten bis zu 80%.

Das Marktdesign im Detail

  • Die grundsätzlichen Marktregeln (merit order) bleiben erhalten.
  • Offshore Windkraftanlagen erhalten eine Garantie für den Anschluss an Übertragungsnetze.
    • Falls Netzbetreiber eine volle Abnahme des Stroms der Offshore-Anlagen nicht sichern können, müssen Kompensationszahlungen an die Offshore-Windanlagen erfolgen.
  • Kurzzeit-Märkte sollen sich der Echtzeit (realtime) annähern. Der Gebietszonen übergreifende untertägige Handel soll ab 2026 30 Minuten vor der Echtzeit schließen. Übertragungsnetzbetreiber können Ausnahmen beantragen, müssen aber allerspätestens 2031 den gebotszonenübergreifenden Handel bis 30 Minuten vor Echtzeit sicherstellen. Das ermöglicht es den Erneuerbaren, ihre Spitzenproduktion besser am Markt zu verkaufen.
  • Terminmärkte: Die Kommission wird mit einer Folgenabschätzung prüfen, ob die Einführung regionaler virtueller Handelspunkte (virtual hubs), die Liquidität auf den Terminmärkten europaweit verbessern wird und somit durchgeführt werden soll.
  • Peak Shaving: Während einer Strompreiskrise können Mitgliedsstaaten “Peak Shaving Produkte” zulassen. Nach einer Folgenabschätzung durch ACER kann die Kommission einen Gesetzesvorschlag für die Einführung von “Peak Shaving Produkten” vorlegen. In Markt für “Peak Shaving Produkte” könnten Marktteilnehmer*innen eine Vergütung erhalten, wenn sie ihren Verbrauch in Zeiten hoher Last kurzfristig reduzieren.
  • Nicht-fossile Flexibilitäten: Stromspeicher und Lastensteuerung (demand response)
    • Anstatt neue Atom- oder Gaskraftwerke zur Verstromung einzusetzen, soll das Potenzial von Stromspeichern und flexible Anpassung der Nachfrage auf Angebotsschwankungen (demand response) durch Industrie und Haushalte genutzt und gefördert werden.
    • Zu diesem Zweck wird der EU-weite Bedarf an Stromspeichern und Demand Response ermittelt werden und die Mitgliedsstaaten jeweils ein Ausbauziel nicht-fossiler Flexibitäten für sich selbst festlegen


Was geschah bisher

Der Rat der EU-Mitgliedstaaten hatte sich am 17. Oktober 2023 seine Verhandlungsposition für den Trilog festgelegt. Daraufhin begannen die Trilogverhandlungen

Das EU-Parlament hat sich bereits am 19. Juli auf ein Verhandlungsmandat zur Strommarktreform geeinigt. Am 19. Juli stimmte der Industrieausschuss (ITRE) über den erzielten Kompromiss ab. Dies wurde im September erneut vom Plenum bestätigt. Damit war das Europäische Parlament bereit für die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten.