EU Wasserstoffstrategie: Gut, aber...

Es ist gut, dass die Kommission in ihrer Wasserstoffstrategie aufzeigt, dass der Löwenanteil der Investitionen in grünen Wasserstoff aus Solar- und Windenergie gehen muss. Für Elektrolysatoren und neue Produktionsprozesse bei Stahl und Chemie liegen mit InvestEU, IPCEIs und Carbon Contracts for Difference konkrete Maßnahmen auf dem Tisch, das brauchen wir auch für den Ausbau der Erneuerbaren notwendig im Umfang von 340 Milliarden Euro. Hier muss die Kommission Klartext liefern, wie wir diese Investitionen mobilisieren. Für die Entwicklung einer grünen Industrie ist die Strategie ein wichtiges Signal.

Und Dr. Ingrid Nestle, energiewirtschaftliche Sprecherin der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im deutschen Bundestag kommentiert:

Grüner Wasserstoff wird unerlässlich für die klimaneutrale Energiewelt der Zukunft. Er ist eine ideale Ergänzung der Erneuerbaren für die Umsetzung der Energiewende. Mit der europäischen Wasserstoffstrategie bringt die EU-Kommission aber die zentralen Vorteile von Wasserstoff nicht ausreichend zur Geltung: seine Flexibilität und Speicherfähigkeit. Sie setzt kaum einen Anreiz, Wasserstoff dann und dort zu produzieren, wo tatsächlich viel erneuerbarer Strom zur Verfügung steht. Das ist klimapolitisch blind und noch nicht einmal industriepolitisch die richtige Antwort. Denn Wasserstoff wird auch wirtschaftlich nur dann eine Erfolgsgeschichte, wenn er seine Rolle als Partner der Erneuerbaren einnimmt. Unsere grüne Wasserstoffstrategie setzt die Marktmechanismen so, dass die Wasserstoffproduktion auf die Verfügbarkeit von Wind- und Sonnenstrom reagiert.

Grüne Forderungen

  1. Nur Wasserstoff, der zu 100% aus zusätzlichen erneuerbaren Energiequellen gewonnen wird, sollte EU-Gelder und staatliche Beihilfen erhalten.
  2. Massiver Ausbau der erneuerbaren Energien in der EU, ist eine Voraussetzung.
  3. Neuausrichtung der gesamten Strategie auf grünen Wasserstoff.
  4. Wasserstoff sollte für jene Prozesse reserviert werden, die nicht elektrifiziert werden können; sprich energieintensive Prozesse wie Stahl-, Chemie & Zementindustrie oder der offroad-Schwertransport.

Hintergrund

Am 8. Juli 2020 hat die EU Kommission ihre Wasserstoffstrategie vorgelegt. In der Strategie wird ebenfalls eine “European Clean Hydrogen Alliance” genannt, die in einem vorherigen Leak noch “Clean Hydrogen Alliance” hieß. In diesem Verbund aus EU Rat, Kommission, Industrie und anderen Interessensvertreter*innen soll der Fahrplan für die nächsten Jahre entwickelt werden, um die Europäische Union auf Wasserstoff-Kurs zu bringen.

Die Details zur Wasserstoffstrategie

Vor rund drei Wochen erschien ein detaillierter Leak, der vor allem eines durchscheinen ließ: Die Erdgaswirtschaft will ihre Marktdominanz bei Wasserstoff einzementieren, einzelne Studien wurden direkt von Gas-Unternehmen bezahlt. Hier hat die Kommission ihren Fehler nach starker Kritik eingesehen und diesen Teil gestrichen.

Mit dieser Strategie sollen die 13 - 14% Wasserstoff im Energiemix der EU für 2050 umgesetzt werden. Um das zu erreichen, gibt es drei Phasen:

Phase 1 bis 2024: 1 Million Tonnen auf erneuerbaren Energien basierender Wasserstoff und 6 GW Erzeugungskapazität für Elektrolysatoren aus Erneuerbaren

  • Dekarbonisierung der bestehenden H2-Produktion durch Ausrüstung mit CCS.
  • Projektpipeline für Elektrolysatoren entwickeln.
  • Lokale erneuerbare Wasserstoffproduktion.
  • Infrastruktur für kurze Entfernungen.

Phase 2 bis 2030: 10 Millionen Tonnen erneuerbarer H2 & 40 GW erneuerbare Elektrolyseure

  • Mit sogenannten “Hydrogen-Valleys” und der sich abzeichnende Bedarf an einem Wasserstoff-Grundnetz für den Transport von Wasserstoff und H2-Tankstellen.

Phase 3 bis 2050: 1/4 der erneuerbaren Stromproduktion wird in grünen H2 umgewandelt

  • Erneuerbare Wasserstofftechnologien sind marktreif, die Produktion erneuerbarer Elektrizität wurde massiv gesteigert.
  • Alle schwer CO2-intensiven Industrie-Sektoren und der Flugverkehr können auf H2 zugreifen.
  • Biogas mit CO2-Abscheidung als Variante, um fossiles Gas zu ersetzen und negative Emissionen zu erzeugen.

Grafik: In obiger Grafik ist Wasserstoff in den Kategorien e-liquids und e-gas umfasst. Wie ersichtlich ist im Jahr 2030, ein kaum feststellbarer Anteil an H2 erwartbar. Selbst im Jahr 2050 bleibt Wasserstoff ein spezielles Nischenprodukt.

Wie stellt sich die Kommission die Finanzierung vor?

Bis 2030

  • Elektrolyseure: 24 - 42 Milliarden
  • Erneuerbaren (Sonne und Wind): 220 - 340 Milliarden (für 80 - 120 GW)
  • Umbau der bestehenden Wasserstoffproduktionen mit CCS: 11 Milliarden
  • Transport und Verteilung: 65 Milliarden

Bis 2050

  • In die Produktion von Wasserstoff zwischen 180 und 470 Milliarden Euro.

Wo liegen hier die Probleme aus Klimasicht?

Wasserstoff aus fossilen Energien verursacht massive Treibhausgasemissionen bei seiner Gewinnung und den Vorketten. Satellitenmessungen haben erst kürzlich massive Methanlekage in den Förderländern Russland und in Nord-Afrika aufgedeckt. Klimaneutraler Wasserstoff kann laut aktuellem Technikstand nur aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Der sogenannte blaue Wasserstoff mit der Abscheidung und Speicherung der CO2-Emissionen vor Ort verursacht selbst unter optimistischen Annahmen zusätzlich das ein bis vierfache der Menge an Wasserstoffs an CO2-Emissionen.

  • 0 kg CO2 bei 1 kg grünem Wasserstoff
  • 4 kg CO2 bei 1 kg blauem Wasserstoff mit CCS; unter der Annahme, dass über 50% des CO2 abgeschieden und gespeichert werden kann
  • 9 kg CO2 bei 1 kg grauer Wasserstoff (Erdgas)

Aktuell haben wir eine Wasserstoffproduktion in Deutschland bei 1,5 Millionen Tonnen aus grauem Wasserstoff für Raffinerien, Düngemittel und Co. Die Kommission sieht vor bis 2024 in der EU 1 Millionen Tonnen Wasserstoff aus grünem Wasserstoff und bis 2030 rund 10 Millionen Tonnen produzieren. Dieser Aufbau aus grünem Wasserstoff ist vor allem eine Chance für die der Stahl-, Chemie oder Zementindustrie. Hier sind die Zahlen wie folgt: Für die ganze europäische Primärstoffproduktion von Stahl aus Wasserstoff, benötigen wir laut Branchenkennern circa 6 Millionen Tonnen Wasserstoff. Die Strategie der Kommission deckt also den Bedarf. Die Industrie ist nun gefragt.   

 

Kritisch aber bleibt die Übergangszeit und Nachrüstung von grauem Wasserstoff hin zu blauem. Hier veranschlagt die Kommission 11 Milliarden Euro.  Gelder, die früher oder später an anderer Stelle fehlen. Was einmal gebaut ist, steht eben auch länger an Ort und Stelle.

Die Kommission sieht mit einem “Strategic Investment Window” im nun vergrößerten InvestEU-Programm, Anpassungen der staatlichen Beihilfen sowie dezidierte Nachfrage Maßnahmen wie CO2-Differenzverträge (Carbon Contracts for Difference) einige konkrete Maßnahmen für die grüne Wasserstoffindustrie vor. Unklar ist wie auch auf der Stromseite die 340 Milliarden für zusätzliche Wind und Solarkraft mobilisiert werden sollen. Einen Beitrag muss der Wiederaufbaufond bringen, ausschlaggebend werden aber die nationalen Maßnahmen der EU Mitgliedsstaaten und die konsequente Anwendung der neuen EU Taxonomie für nachhaltige Investitionen die zusätzlich privates Kapital in den Umbau unserer Wirtschaft leiten müssen. Ohne diese Schritte, verpufft die Strategie.

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