Michael Bloss, klima- und industriepolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, kommentiert den soeben veröffentlichten Wettbewerbskompass der Europäischen Kommission:
Von der Leyen hat die Kurve bekommen, das 90-Prozent-Klimaziel für 2040 wird im Kompass bestätigt. Ein wichtiges Signal: Europa hält Kurs beim Klimaschutz! Das 2040 Ziel stellt die Weichen für die Transformation der Wirtschaft und sichert die Planungssicherheit für Unternehmen.
Der Green Deal muss der zentrale Orientierungspunkt für Europas Wettbewerbsfähigkeit bleiben. Ob der Kompass dafür funktionieren wird, steht aber in den Sternen. Ein Schlingerkurs würde unserer Wirtschaft extrem schaden.
Europa ist besser aufgestellt, als viele glauben. Zahlreiche Clean-Tech Lösungen werden hier entwickelt. Wir müssen dafür die Produktion in Europa sichern. Ein Stillstand im Klimaschutz und bei der Transformation wäre fatal.
Der Kompass bietet auch gute Ansätze, wie Leitmärkte für grüne Produkte und Initiativen für die Elektrifizierung der Wirtschaft sowie die Modernisierung der Stromnetze. Doch entscheidende Bausteine fehlen, allen voran ein Plan für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist enttäuschend, denn ohne einen solchen Plan bleibt Europa im fossilen Hamsterrad hängen: teuer, abhängig sowie extrem klimaschädlich und damit unsicher für die Zukunft.
Wenn Europa wettbewerbsfähig bleiben will, muss der Green Deal jetzt den Turbo zünden, sonst fährt Europa mit angezogener Handbremse in die Zukunft.
Zum Wettbewerbskompass
Heute präsentiert Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den mit Spannung erwarteten Wettbewerbskompass für die EU, der die Leitlinien für die nächsten fünf Jahre vorgibt. Als Antwort auf den Draghi-Bericht kündigt er an, wie Europas Wettbewerbsfähigkeit angesichts der zunehmend komplexen geopolitischen Herausforderungen zu sichern ist. Der Wettbewerbskompass könnte damit ein zentraler Baustein für die wirtschaftliche Zukunft der EU werden und die strategische Ausrichtung des Kontinents in Zeiten globaler Umbrüche prägen.
Wie bereits im Vorfeld angekündigt, gliedert sich der Wettbewerbskompass in drei zentrale Kapitel:
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Die Schließung der Innovationslücke
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Ein Wegweiser für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit
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Die Verminderung von Abhängigkeiten und mehr Sicherheit
Ein Wegweiser für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit?
Die finale Version des Dokuments behält ein klares Bekenntnis zu einem entschiedenen Dekarbonisierungpfad und einem Klimaziel von 90% Treibhausgasemission für 2040 bei. Frühere Versionen des Dokumentes hatten die 90% nicht erwähnt.
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Energiekosten senken
Während wie im Draghi Bericht auch ganz klar benannt wird, dass die hohen Energiekosten in Europa, die vornehmlich auf die hohe Abhängigkeit von fossilen Importen zurückzuführen ist, ein entscheidender Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit ist, fehlt eine klare Bekenntnis dass nur eine massiven Beschleunigung hin zu einem 100% Erneuerbaren Energiesystem die EU Wirtschaft nachhaltig wettbewerbsfähig machen kann.
Zusammen mit dem Clean Industrial Deal, will die Kommission am 26. Februar eine Strategie für günstige Energie vorstellen. Darin sollen weitere Garantien als Anreiz für die vermehrte Nutzung von Langzeit Stromabnahme Verträgen (PPAs), sowie Anreize für flexiblere Stromnutzung von der Industrie und ein Plan, die Systemkosten besser zu verteilen, enthalten sein. Der Kompass stellt keine Überarbeitung der Strommarkt-Logik oder konkrete Instrumente zur weiteren Beschleunigung des Erneuerbaren Ausbaus gestaltet werden soll. Allerdings wird für Anfang nächsten Jahres eine Elektrifizierung Initiative sowie ein Gesetzespaket für den Ausbau und die Modernisierung der Stromnetze angekündigt.
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Ein Business Case für “saubere Produktion”
Unter sauberer Produktion wird sowohl von der Transformation der energieintensiven Unternehmen wie Stahl, Zement und Chemie, als auch der Produktion von Technologien, die für diese Transformation notwendig sind, wie Elektrolyseuren, gesprochen.
Die Kommission strebt die Förderung von Leitmärkten für saubere Produktion durch Benchmarks, Kennzeichnungssysteme (Labelling) sowie bevorzugte Behandlung bei öffentlichen Ausschreibungen oder den Einsatz von Differenzverträgen an. Allerdings wird die Überarbeitung der Regelungen für das öffentliche Beschaffungswesen erst für das Jahr 2026 angekündigt. Für die anderen Maßnahmen wurden bislang weder konkrete Instrumente noch Zeitpläne vorgestellt.
Um Unternehmen bei der Transformation hin zur sauberen Produktion zu unterstützen, plant die Kommission, im zweiten Quartal 2025 neue Rahmenbedingungen für Beihilfen vorzuschlagen. Zudem soll die Überarbeitung des CO₂-Grenzausgleichsmechanismus auf 2025 vorgezogen werden. Obwohl dieser Mechanismus erst 2026 vollständig in Kraft tritt, beinhaltet die Vorverlegung Maßnahmen, die bisher lediglich Berichterstattungspflichten, jedoch keine tatsächlichen Kostenausgleiche für importierte Produkte vorsahen.
Ein Aktionsplan für die Stahl-und Metallindustrie soll schon dieses Jahr vorgestellt werden und auch ein Gesetzespaket für die Chemieindustrie kann bereits Ende diesen Jahres erwartet werden. Der Dialog zur Automobilindustrie wird bereits am Donnerstag, den 30 Januar 2024 begonnen und mit einem “Pakt für nachhaltige Mobilität” wird auch dieses Jahr gerechnet.
Für saubere Technologien wir Elektrolyseure verspricht die Kommission weitere Vereinfachung für Autorisationen und Genehmigungen, industriepolitische Anreize, die Überarbeitung des öffentlichen Beschaffungswesens und die Nutzung von handelspolitischen Schutzinstrumenten.
Das Gesetz zur Nutzung der Kreislaufwirtschaft soll erst Ende 2026 vorgestellt werden und das obwohl die Weltbank mit einer Verdreifachung des Wertes der europäischen Wiederaufbereitungs- und Recycling Wirtschaft bis 2030 und der Schaffung von 500.000 neuen Jobs rechnet.
Ein unabhängiges und sichereres Europa
Der Kompass unterstreicht erneut die zentrale Bedeutung des internationalen Handels für die europäische Wirtschaft. Die Europäische Kommission bekräftigt dabei ihr erklärtes Ziel, weiterhin internationale Handelsabkommen abzuschließen sowie die Welthandelsorganisation zu erhalten und zu reformieren.
Gleichzeitig mahnt die Kommission jedoch an, dass bei unfairem internationalen Wettbewerb alle verfügbaren handelspolitischen Schutzinstrumente konsequent eingesetzt werden müssen. Dazu zählen unter anderem die Überprüfung von Investitionen ausländischer Unternehmen in der EU, Investitionen in Drittstaaten, Exportkontrollen sowie Maßnahmen gegen binnenmarktverzerrende Investitionen aus Drittstaaten.
Darüber hinaus kündigt die Kommission die Einrichtung einer Plattform für den gemeinsamen Ankauf kritischer Rohstoffe an, die bereits Mitte dieses Jahres vorgestellt werden soll.
Der zum Teil systematischen Förderung von Marktsegmenten, die zu einer massiven Überkapazität und aggressiven Exportstrategien von Drittstaaten führt, will die Kommission mit einer Bevorzugung von europäischen Produkten im öffentlichen Auftragswesen begegnen. Die für 2026 geplante Reform des öffentlichen Auftragswesens soll technologische Sicherheit und heimische Lieferketten fördern.
Die durch den Klimawandel zunehmende Bedrohung durch Extremwetterereignisse infolge des Klimawandels wird als Sicherheitsrisiko für die europäische Wettbewerbsfähigkeit beschrieben. Dabei wird weder die Bedeutung der Bekämpfung des Klimawandels noch die Schlüsselrolle der EU im internationalen Klimaschutz hervorgehoben. Ebenso fehlt eine Strategie, wie Europa die Lücke füllen möchte, die durch den erneuten Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen unter Trump entstanden ist. Stattdessen liegt der Fokus in diesem kurzen Abschnitt ausschließlich auf Maßnahmen zur Klimaanpassung.
Der Klimaanpassungsplan wird jedoch erst für das Jahr 2026 angekündigt, obwohl die Kommission bereits im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit der Europäischen Umweltagentur eine umfassende Mitteilung zur Bewältigung von Klimarisiken veröffentlicht hat, die den Schutz der Menschen und des Wohlstands zum Ziel hat.
Bürokratieabbau
Die Kommission misst der Reduzierung von Verwaltungslasten einen hohen Stellenwert an. Sie ist das erste Leitprinzip, das die Wettbewerbsfähigkeit Europas sicherstellen soll. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist die geplante Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, die im Laufe des Jahres durch den sogenannten „Decarbonisation Accelerator Act“ auch auf energieintensive Unternehmen ausgeweitet werden soll. Auch das Verfahren für „wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse“ (IPCEI) soll optimiert werden.
Der erste große Gesetzesvorschlag der neuen Kommission, der gemeinsam mit dem Clean Industrial Deal am 26. Februar vorgestellt werden soll, ist ein Omnibusverfahren. Dieses zielt darauf ab, mehrere zentrale Regelwerke zu „vereinfachen“, darunter die Taxonomie für nachhaltige Investitionen, die Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen sowie die Richtlinie zu den Sorgfaltspflichten in puncto Nachhaltigkeit. All diese Regelungen wurden im Rahmen des Green Deals der letzten Jahre beschlossen, konnten jedoch bislang nicht ihre volle Wirkung entfalten.
Ein weiteres Highlight ist die Einführung einer neuen Unternehmenskategorie: der sogenannten „Mid-Caps“. Diese umfasst Unternehmen, die zwar größer als KMUs (kleine und mittlere Unternehmen) sind, aber künftig dennoch wie KMUs behandelt werden sollen. Sie würden so von vereinfachten Regelungen profitieren oder in einigen Fällen sogar vollständig von diesen ausgenommen werden.
Mehr europäische Koordination
Um die gemeinsamen Stärken besser zu bündeln und innereuropäische Hürden effektiver zu überwinden, plant die Kommission die Einführung eines neuen Wettbewerbs-Koordinationsinstruments (Competitiveness Coordination Tool). Dieses Instrument soll eine gemeinsame Herangehensweise und zusätzliche gemeinsame Gelder zum Teil durch die Umwidmung existierender Finanz Stränge und einer Überarbeitung der europäischen Garantien InvestEU entfesseln. Die Kommission schlägt vor dieses neue Instrument vorerst auf die folgenden Sektoren anzuwenden, in denen eine stärkere europäische Zusammenarbeit unbedingt dringend ist: Energieinfrastruktur (Netze und Speicher), digitale Infrastruktur und KI Anwendung, sowie wichtige Arzneimittel. Das Instrument kann später auf andere Sektoren ausgeweitet werden.