Europa in der Gasfalle – warum wir 100% Erneuerbare Energien brauchen

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher und verantwortlich für den EU-Emissionshandel für die Grünen/EFA, kommentiert:

Die Europäische Union steckt in der Gasfalle und Deutschland ist mit dem gigantischen Gasprojekt Nord Stream 2 vorangegangen. Jetzt bekommen die europäischen Bürger*innen die Rechnung serviert und die EU befindet sich im Griff Russlands. Diese fatale Entwicklung hätten wir mit dem konsequenten und zügigen Ausbau der Erneuerbaren Energien verhindern können, den gerade CDU und CSU in Deutschland und der EU immer wieder ausgebremst haben. Umso stärker müssen wir jetzt umsteuern.

Der Strom und die Wärme aus Sonne und Wind sind heute schon günstiger. Eine Solarpflicht im Zuge der europäischen Rennovierungswelle und eine massive Steigerung der Energieeffizienz bei Gebäuden wird die Preise weiter senken und die europäischen Bürger*innen unabhängig von hohen Energiepreisen machen. Kurzfristig aber dürfen Strom und Energie keine Luxusgüter sein. Sofortmaßnahmen gegen Energiearmut müssen zugelassen werden, damit niemandem der Strom oder das Gas abgestellt werden darf.

Die europäische Energiesouveränität schaffen wir nur mit einem Kohleausstieg bis 2030 und perspektivisch ohne fossiles Erdgas. Dazu muss die Kommission jetzt ihre Ziele und Maßnahmen für den Ausbau der Erneuerbaren Energien nach oben schrauben. Sonst tappen wir direkt in die nächste Energiefalle und begeben uns in die Hände Russlands.

Hintergrund

Die Energiepreise sind in den letzten Monaten EU-weit erheblich gestiegen und werden voraussichtlich mindestens bis zum Ende der Heizperiode (bis April 2022) hoch bleiben. Am 21. und 22. Oktober werden die EU-Staats- und Regierungschef*innen darüber beraten.

Frankreich und Spanien gehören zu den Mitgliedstaaten, die am lautesten eine Reform des EU-Rahmens fordern, aber auch andere Länder wie Griechenland und Polen haben letzte Woche Non-Papers veröffentlicht, um zur Debatte im Rat beizutragen. Die Kommission wird am 13. Oktober ein Maßnahmenpaket verabschieden, dass Sofortmaßnahmen beinhalten soll.

Wie entstand der jetzige Gaspreis?

Der Anstieg der Energiepreise ist in erster Linie auf die stark gestiegenen Erdgaspreise und nicht wie angenommen auf den Anstieg der CO2-Preise im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems zurückzuführen (hier war vor allem die Kohleverstromung teurer). Die Erdgaspreise haben andere Gründe.

Auf der Nachfrageseite veranlasste die weltweite wirtschaftliche Erholung im Jahr 2021 die asiatischen Länder, insbesondere China, dazu, erhebliche zusätzliche Mengen an LNG zu kaufen, um ihre sich erholende Wirtschaft anzukurbeln und eine Wiederholung der Situation des letzten Winters zu vermeiden, als China nicht über ausreichende Gasreserven verfügte. Die Nachfrage nach Gas ist auch aufgrund der vorübergehend ungünstigen Bedingungen gestiegen, mit denen die nicht-fossilen Energieerzeuger konfrontiert waren: niedrigere Wasserstände in spanischen und schwedischen Wasserkraftwerken und eine geringere Windkraftleistung als üblich in Europa.

Auf der Angebotsseite war die LNG-Produktion aus Katar und Australien geringer, während Russland (Gazprom) die Pipelinekapazitäten für die Versorgung Europas mit Erdgas deutlich unterausgelastet hat. Formal hält Gazprom seine vertraglichen Verpflichtungen ein, liefert aber deutlich weniger Gas als üblich über die Pipelines. Ein solches Verhalten kurz vor Beginn der Heizsaison nährt den Verdacht, dass Russland auf diese Weise Druck auf Europa ausübt, damit es die Nord Stream-2-Pipeline akzeptiert. Die mangelnde Bereitschaft von Gazprom, die europäische Gasnachfrage zu befriedigen, hat zu einer deutlichen Verringerung der Gasreserven in den europäischen Gasspeichern geführt:

  • Derzeit liegen die Reserven bei 71-72 %, während sie in den letzten zehn Jahren bei etwa 90 % lagen.
  • In einigen Speichern - z. B. Astora in Deutschland oder Bergermeer in den Niederlanden - ist der Belegungsgrad alarmierend niedrig, z. B. nur 19 % in Astora, das über 25 % der gesamten Erdgasspeicherkapazitäten in Deutschland verfügt.
  • Diese ungewöhnliche Taktik von Gazprom veranlasste die IEA zu der Warnung, dass Gazprom mehr tun sollte, um die europäische Nachfrage zu decken, wenn es als verlässlicher Partner angesehen werden will.

Die Rolle des EU-Emissionshandels (ETS) bei dem jüngsten Energiepreisanstieg ist gering. Zwar ist der ETS-Preis im Jahr 2021 deutlich gestiegen - von rund 30 Euro pro Tonne CO2 auf rund 60 Euro pro Tonne -, doch wird dieser Anstieg durch die Auswirkungen des Anstiegs der Erdgaspreise auf die Energierechnungen in den Schatten gestellt. Die spanische Zentralbank schätzt, dass nur etwa 20 % des Anstiegs der Großhandelspreise für Strom (die sich im ersten Halbjahr 2021 fast verdoppelt haben) auf den Anstieg der CO2-Preise im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems zurückgeführt werden können.

Wer ist von den steigenden Preise am meisten getroffen?

Energiearmut in ganz Europa ist ein großes Problem: In vielen EU-Ländern, darunter:

  • Bulgarien (30,1%),
  • Litauen (26,7%),
  • Zypern (21,0%), ist der Anteil der Menschen hoch, die angaben, dass sie es sich nicht leisten könnten, ihr Zuhause ausreichend warm zu halten.
  • Portugal (18,9%),
  • Griechenland (17,9%)
  • und Italien (11,1%).

Dieser Preisanstieg wird sozioökonomische Auswirkungen haben.