Michael Bloss kommentiert
Zum heute veröffentlichten European Climate Risk Assessment (EUCRA) der European Environment Agency fordert Michael Bloss, klimapolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament:
Auf diese bittere Erkenntnis muss reagiert werden. Europa ist von allen Kontinenten am stärksten von der Klimakrise betroffen, aber schlecht darauf vorbereitet.
Wir fordern ein Gesetz zur Anpassung an die Klimakrise mit einem Investitionsfonds, um Ackerböden, Gebäude, Brücken und Ökosysteme gegen die Klimakrise zu wappnen.
Dieser Bericht muss uns wachrütteln! Die Klimakrise stellt ein unvorstellbares Risiko für unsere Sicherheit dar und muss ins Zentrum unseres Handelns gerückt werden. Alte und kranke Menschen bei hohen Temperaturen, Bauern in Südeuropa und Menschen in Küstenstädten wie Hamburg oder Bremen sind konkret gefährdet. Dass Konservative die Klimakrise als Grünes Nischenthema betrachten, ist in hohem Maße unverantwortlich.
Regarding the European Climate Risk Assessment (EUCRA) published today by the European Environment Agency, Michael Bloss, leading climate politician with the Greens demands:
This stark reality demands action. Europe, among all continents, bears the brunt of the climate crisis yet remains woefully unprepared. We urgently advocate for legislation to confront this crisis head-on, backed by an investment fund to fortify arable land, buildings, bridges, and ecosystems against its impacts.
This report must be our wake-up call! The climate crisis presents a paramount threat to our security and demands immediate attention.
Vulnerable populations, such as the elderly in sweltering temperatures, farmers in southern Europe, and residents of coastal cities like Hamburg or Bremen, are especially at risk. The conservative dismissal of the climate crisis as a mere environmental concern is profoundly irresponsible.
Themenhintergrund Climate Risk Assessment
Am 11. März 2024 veröffentlichte die Europäische Umweltagentur ihre Einschätzung zu den Herausforderungen, die Europa aufgrund des vom Menschen verursachten Klimawandels bevorstehen.
Zum ersten Mal haben europäische Wissenschaftler*innen eine ganzheitliche Bilanz zu den Klimarisikos in Europa zusammengestellt. Ihre Forschungsergebnisse basieren auf aktuelle Berichten des Weltklimarats, des Copernicus Climate Change Service der EU und der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission sowie Ergebnisse von EU-finanzierten Forschungs- und Entwicklungsprojekten und nationalen Klima Risikobewertungen.
Europa am härtesten getroffen
Die drastischen Auswirkungen des von Menschen gemachte Klimawandel auf unsere Ökosysteme sind bereits heute sichtbar. 2023 war das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Die weltweite Durchschnittstemperatur im 12-Monats-Zeitraum zwischen Februar 2023 und Januar 2024 übertraf das vorindustrielle Niveau um 1,5 °C.
Europa ist der Kontinent, der sich weltweit am schnellsten erhitzt. Schon jetzt nehmen Wetterextreme stark zu: Hitzeperioden und Dürren, Regengüsse und andere Niederschlagsextreme, die zu schweren Überschwemmungen führen.
Wetterextreme verursachen Kosten in Milliarden Höhe
Extreme Niederschläge und Überflutungen haben in den letzten Jahren in mehreren Regionen Europas zu schwerwiegenden Schäden geführt.
Die Niederschläge und großflächigen Überschwemmung haben im Jahr 2021 in Deutschland und Belgien zu 44 Milliarden Euro Schaden und mehr als 200 Toten geführt. Der wirtschaftliche Schaden der Überschwemmungen in Slowenien im Jahr 2023 wird auf etwa 16 % des nationalen BIP geschätzt. Der Rekordhitzesommer 2022 wurde mit 60.000 bis 70.000 vorzeitigen Todesfällen in Europa in Verbindung gebracht.
Höhere Temperaturen erleichtern auch die Ausbreitung von Krankheitsüberträgern in die nördliche Hemisphäre und in höhere Lagen. Südeuropa ist heute warm genug, dass - früher tropische - Krankheiten wie Dengue-Fieber und Malaria durch Mücken übertragen werden können.
Die Konsequenzen der sich häufenden Wetterextreme sind verheerend, sie gefährden unsere Gesellschaft in all ihren Facetten: unsere Ernährungs- und Wassersicherheit, die Energiesicherheit, die finanzielle Stabilität und die Gesundheit der allgemeinen Bevölkerung. Dies wiederum hat direkte Auswirkungen auf den Zusammenhalt der Gesellschaft.
Kritische Werte in Mehrzahl der Bereiche erreicht
Die Klimarisiken wurden in fünf Bereichen erforscht:
- Nahrungssicherheit
- Gesundheit
- Infrastruktur
- Ökosysteme und
- wirtschaftliche und finanzielle Risiken.
Diese Bereiche sind weiter in 36 Unterbereiche aufgeteilt.
Mehrere der Risiken, die von den Wissenschaftler*innen erforscht wurden, haben bereits heute kritische Werte erreicht. Die Wissenschaftler*innen warnen, dass ohne sofortige und entschlossene Maßnahmen bis zum Ende des Jahrhunderts in allen Klimarisiko-Bereichen kritische oder sogar katastrophale Werte erreicht würden. Wirtschaftliche Schäden von Küsten-Überschwemmungen allein könnten sich auf 1 Milliarde Euro pro Jahr belaufen.
Konkret befinden sich mehr als die Hälfte der erforschten Bereiche in einem Zustand, der sofortiges Handeln erfordert. Besondere Dringlichkeit ist laut Wissenschaftler*innen in den folgenden Bereichen erforderlich:
Schutz vor Flut und Überschwemmungen, Schutz von Küsten- und Meeresökosystemen, Schutz von Kohlenstoffsenken, die durch Flächenbrände gefährdet sind, Produktion von pflanzlichen Nahrungsmitteln, Gesundheitsrisikos durch extreme Hitze.
Ökosysteme durch Wiederherstellung schützen
Der Klimawandel ist einer der Hauptgründe für das Artensterben und der generellen Schädigung der Ökosysteme in Europa. Die größten klimabedingten Gefahren für Land- und Süßwasser Ökosysteme sind lange und schwere Dürren, Veränderungen im Niederschlagsmuster und zunehmende Waldbrände.
Der Schutz von Ökosystemen durch die Wiederherstellung einer intakten Natur, durch Aufforstung und nachhaltige Forstwirtschaft, durch den Schutz von Feuchtgebieten, Mooren und Steppen kann erheblich dazu beitragen, Klimarisiken zu minimieren. Die Natur ist unsere wichtigste Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel.
Europas Lebensmittelsicherheit in Gefahr
Klimaauswirkungen auf die Lebensmittelproduktion innerhalb und außerhalb Europas können zu kritischen Risiken für die Lebensmittelsicherheit auf dem Kontinent bis Mitte des Jahrhunderts führen. Nach Jahren anhaltender Dürre und übermäßiger Hitze in Südeuropa stellen Ernteausfälle und Mindererträge bereits heute ein kritisches Risiko dar. Die Entwicklung und Anwendung einer nachhaltigen und transformativen Landwirtschaft, die auch die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen verbessert, sollte auf allen Politikebenen unterstützt werden.
Hitze gefährdet Leben und Gesundheit
Hitze ist die größte und dringendste Klimagefahr für die menschliche Gesundheit. In Südeuropa haben Hitzerisikos bereits kritische Werte erreicht.
Heißere Sommer, mildere Winter, sowie häufigere Überschwemmungen und anhaltende Dürren erhöhen das Risiko der Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Dazu gehören durch Vektoren übertragene Krankheiten wie das West-Nil-Virus und durch Zecken übertragene Krankheiten, sowie durch Wasser und Lebensmittel übertragene Infektionen, beispielsweise durch Campylobacter und Salmonellen
Klimarisiken zerstören Infrastruktur
Klimarisiken haben einen negativen Einfluss auf alle Arten an Infrastruktur: Gebäude, einschließlich Krankenhäuser und Schulen, Energiesysteme und Transportinfrastruktur, wie Brücken und Kanäle.
Infrastrukturanlagen sind oft vernetzt, sodass ein Schaden sofort weitere auslöst. Stromausfälle, die durch Überflutungen oder Waldbrände ausgelöst werden, können die gesamte Wirtschaft samt Telekommunikations- und Transportdienstleistungen lahmlegen.
Klimaextreme gefährden die Wirtschaft
Die öffentlichen Finanzen der Mitgliedstaaten sind durch das Klima erheblichen Risiken ausgesetzt. Kostspielige Klimaextreme können zu geringeren Steuereinnahmen und gleichzeitig erhöhten Staatsausgaben führen. Konsequenzen sind schlechtere Bonität und erhöhte Kreditkosten. Zu den jüngsten Beispielen gehören die Auswirkungen der großen Überschwemmungen in Deutschland im Jahr 2021 und in Slowenien im Jahr 2023.
Auch die europäischen Immobilien- und Versicherungsmärkte stehen vor erheblichen Herausforderungen durch den Klimawandel. Die sich verstärkenden Klimaauswirkungen führen zu höheren Versicherungsprämien, wachsenden Schutzlücken und dem Risiko wirtschaftlicher Verluste.
Fazit
Europa ist schlecht vorbereitet und verliert zunehmend an Anschluss
Die Bilanz der Wissenschaftler*innen ist deutlich: Inwieweit wir Schäden vermeiden können, wird maßgeblich davon abhängen, wie schnell wir die globalen Treibhausgasemissionen reduzieren können; und wie schnell und effektiv wir unsere Gesellschaften auf die unvermeidbaren Auswirkungen des Klimawandels vorbereiten und anpassen können.
Entscheidend wird also sein, ob die europäischen und nationalen Gesetzgeber*innen in den nächsten Jahren wirksame Maßnahmen erlassen.
Die Wissenschaftler*innen schlussfolgern, dass Europa momentan schlecht auf die Klimarisiken vorbereitet ist, da die Umsetzung vieler klima- und umweltpolitischer Maßnahmen mit dem schnell steigenden Risikoniveau erheblich den Anschluss verloren hat.
Die meisten Klimarisiken liegen in der Schnittstelle der Kompetenzen der EU und ihrer Mitgliedstaaten; daher sind dringend gut koordinierte zusätzliche Maßnahmen auf allen Ebenen erforderlich.