Europas CO2-Handel auf Klimakurs!

Michael Bloss, klima- und industriepolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament sowie Schattenberichterstatter beim EU-ETS, kommentiert die Kompromisse:

Die jetzt auf dem Tisch liegenden Vorschläge sind ein Erfolg für das Klima, die Industrie und Europas Bürger*innen. Denn wir stellen sicher, dass die Europäische Union ihr Versprechen zum Pariser Klimaabkommen einhält, die Industrie bei der Transformation unterstützen und alles sozial-gerecht gestalten. Der Emissionshandel wird damit zum stärksten Klima-Hebel Europa und ist Win-Win-Win-Situation. Das war keine leichte Aufgabe, aber es ist uns gelungen und darüber bin ich froh.

Einerseits senken wir die Emissionen mit diesem Vorschlag bis 2030 um 67% und schaffen damit den Grundpfeiler für Europas neue Klimaziele. Gleichzeitig stellen wir Milliarden im neu geschaffenen Klimainvestitions-Topf für Erneuerbare und die Transformation der Industrie zur  Verfügung und beteiligen die Bürger*innen Europas über den Klimasozial-Topf am Green Deal.

Hintergrund

Der wohl wichtigste Baustein des Fit For 55-Klimapakets der EU-Kommission wird die Reform des EU-Emissionshandels sein. Der Handel deckt ca. 43 % aller europäischen CO2-Emissionen ab. Darunter fallen die Energiewirtschaft und die Industrie. Es ist ein Handelssystem für Berechtigungsscheine zum CO2-Ausstoß (CO2-Zertifikate). Wie funktioniert es? Es wird eine absolute Anzahl an Zertifikaten festgelegt, diese müssen ersteigert werden und können dann von den Marktteilnehmenden gehandelt werden. So entsteht ein CO2-Preis, der aktuell bei rund 90 Euro pro Tonne liegt.

Der Fit-For55 Vorschlag der EU Kommission zum ETS sieht vor, dass die CO2 Emissionen im ETS um 61 Prozent sinken.

Ablauf der ETS-Gesetzgebung

Im August letzten Jahres hat die EU Kommission ihren Gesetzentwurf zur Reform des ETS vorgestellt. Seitdem wird in den beiden gesetzgebenden Organen der EU, dem EU-Parlament und dem EU-Rat der Mitgliedsstaaten über die Positionierung verhandelt. Im Parlament legt der Umweltausschuss zunächst eine Position fest, die dann im Plenum des EU-Parlaments bestätigt werden muss. Der Verhandlungsführer für das Parlament ist der Konservative Abgeordnete, Peter Liese. Michael Bloss führt die Verhandlungen dazu für die Grünen-Fraktion. In sogenannten Shadow-Meetings verhandeln die Verhandlungsführer der unterschiedlichen Fraktionen die Position des Parlaments aus.

Der Zeitplan

  • Am 17. Mai stimmt der Umweltausschuss (ENVI) über den ETS ab
  • Die Abstimmung im Plenum ist für die ersten Juni-Woche geplant
    Wo stehen wir bei den Verhandlungen?

Nach monatelangen Verhandlungen haben sich die Unterhändler*innen im EU-Parlament auf viele gemeinsame Punkte einigen können. Bei den zentralen Punkten schlägt der konservative Verhandlungsführer weniger Ambition als die EU-Kommission vor. Deswegen gibt es von der progressive Mehrheit aus Sozialdemokraten, Liberalen, Linken und uns Grünen gemeinsame Positionen ohne die EPP.

Die größten Erfolge für den Klimaschutz in der Zusammenfassung

  • Die Emissionen unter dem ETS werden bis 2030 um 67% verringert (im Vergleich zu 2005). Das ist mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar. Es entspricht dem Ziel, die CO2-Emissionen in Europa insgesamt bis 2030 um 60% zu verringern, wie es schon die Position des EU-Parlaments beim Europäischen Klimagesetz war;
  • Nach 2030 wird die Industrie den vollen CO2-Preis bezahlen müssen. Sie wird keine freien Zertifikate (also keine gratis-Emissionsrechte) mehr erhalten.
  • Das Verursacherprinzip wird angewendet. Diejenige Industrie, die schnell dekarbonisieren will, bekommt weiterhin freie Zuteilungen, Klimaverträge und einen Klimabonus;
  • Der neu getaufte Klima-Investitionsfonds (vormals Innovation Fond) stellt von nun an bis zu 146 Milliarden Euro (Preisannahme 100 Euro CO2-Preis) für die Dekarbonisierung der Industrie zur Verfügung. Mindestens 12% davon werden für den Ausbau von Erneuerbaren reserviert;
    Keine Einnahmen unter dem ETS dürfen mehr für fossile Energien oder Atomkraft ausgegeben werden.
    Wichtig: Die erste Abstimmung wird nun im Umweltausschuss (ENVI) des EU-Parlaments am 16. und 17. Mai stattfinden.

Alle Einigungen in der Übersicht

Ambitionen im 1. EU-ETS

  • Löschung von überschüssigen CO2-Zertifikaten & Obergrenze der CO2-Zertifikate. (Alternativer Kompromiss von RE, SD, Grüne, Linke)
    • Dies führt bis 2030 zu einer verringerung der CO2-Emissionen unter dem ETS um 67%. Das ist 6% mehr als die EU Kommission will;
    • Eine Mehrheit will rund 205 Millionen überschüssige CO2-Zertifikate löschen, während die konservative EPP bislang nichts dergleichen vorlegte. Selbst die EU-Kommission hat einen solche Löschung (One-Off-Reduction) vorgesehen (rund 110 Millionen CO2-Zertifikate);
    • Eine Mehrheit schlägt zudem vor, die sogenannte Linear Reduction Factor (LRF), also die Obergrenze der Emissionen, die unter dem Emissionshandelssystem jährlich ausgestossen werden können, jährlich um 4.2% zu verringern. Der LRF soll jährlich um 0,1% ansteigen.
  • Freie CO2-Zuteilung, CO2-Grenzausgleichmechnismus und Klimaverträge
    • Eine Mehrheit abseits der EPP will ab 2031 keine freien CO2-Zuteilungen mehr für die Industrie. Hier greift dann der CO2-Grenzausgleichmechanismus (CBAM), der den gleichen Preis, den die heimische Wirtschaft in das Emissionshandelssystem einzahlen muss, auch von Importeuren verlangt;
    • Die Einführung soll schrittweise erfolgen, bspw. erst mit Stahl, Eisen, Stromerzeugung, Aluminium, Düngemittel und Zement-Sektoren, bis 2030 aber auf alle Sektoren die im ETS sind erweitert werden;
    • Freie Zuteilungen werden allmählich abgeschmolzen und das zusätzliche Einkommen soll der heimischen Industrie unter anderem durch Klimaverträge (Carbon Contracts for Difference) und durch den neu getauften Climate Investment Fonds (vorher Innovation Fonds) wieder zugeführt werden.
    • Peter Liese will die freien Zuteilung noch weiterlaufen lassen und so die Industrie weiter für ihre klimaschädlichen und veralteten Prozesse belohnen, anstatt in Innovation und Zukunftstechnologien zu investieren.

Ambitionen im ETS II

  • Der ETS II soll nun vorerst nur für gewerbliche Gebäude und Verkehr gelten. Ein CO2-Höchstpreis von 50 Euro wird im ETS II festgelegt;
  • Im Jahr 2026 soll die EU-Kommission analysieren, ob eine Einführung des ETS II auch für private Haushalten infrage kommt und dabei vor allem analysieren, ob Energie- und Mobilitätsarmut abgenommen hat;
  • Die EU-Kommission kann dann einen neuen Gesetzesvorschlag machen, und einen ETS II für Haushalte frühestens ab dem Jahr 2029 vorschlagen. Darüber wird noch einmal im Gesetzgebungsverfahren entschieden;
  • Der ETS II darf nur dann auf Haushalte und PKWs ausgeweitet werden wenn:
    • Der Klima-Sozialfonds bereits drei Jahre Haushalte für Mehrkosten entschädigen;
    • Wenn Energiepreise unter dem Durchschnittspreisen von März 2022 liegen;
    • Die Kommission muss analysieren, ob es möglich ist, dass Öl und Gaskonzerne 50% der ETS II Kosten tragen.  Das heißt sie müssen transparent offen legen, wie ihr Verkaufspreis zustande kommt. Eine Geldstrafe wird fällig, falls sie mehr als 50% der Kosten an die Konsument*innen weitergegeben haben.

Einnahmen aus dem ETS und Verteilung dieser

  • Klima-Investitionsfonds (vorher Innovation Fonds)
    • Bislang wurden durch den Innovation Fonds nur völlig neue oder innovative Projekte unterstützt. Jetzt soll er mit Projekten erweitert werden, die die Klimaneutralität vorantreiben. Daher der neue Name.
    • Der Fonds wird insgesamt mit 1.46 Milliarden Zertifikaten gefüllt, wenn diese zu einem Preis von 100 Euro versteigert werden, heißt das 146 Milliarden Euro für saubere Technologien.
    • 12% des Fonds sind für Investments in ausschließlich erneuerbare Energien reserviert.
    • Mit den Geldern des Klima-Investitionsfonds sollen Klimaverträge (Contracts For Difference) zur Dekarbonisierung der Industrie finanziert werden.
  • Bedingungen an die EU-Mitgliedsländer für die Verwendung der ETS-Einnahmen
    • eine Mehrheit von EPP, S&D, Grünen und Linken will, dass Gelder weder für fossile Energie, noch für Atomprojekte ausgegeben werden kann. Die Liberalen sind sich bei diesem Punkt nicht einig, weshalb über die Finanzierung von Atomstrom separat abgestimmt wird.
    • Mindestens 12% der Einnahmen müssen an klimafreundliche, öffentliche Transportmittel gehen.
    • Mindestens 12% der Einnahmen müssen in internationalen Klimaschutz fließen.
    • Länder müssen Pläne vorlegen, wie sie mit diesen Geldern die Lücke zwischen den momentanen nationalen Energie und Klima Plänen (NECPs) und den EU-Klimazielen schließen wollen. Eine Strafe bei Nicht-Vorlegen gibt es nicht.
  • Modernisierungs Fond
    • Der Modernisations Fond wird um 2% der Zertifikate aufgestockt, sodass dann 4% der insgesamt versteigerungen Zertifikate in diesen Fond fließen.
    • Gelder fließen nur, wenn durch nationale  Maßnahmen die Garantie für die Klimaneutralität 2050 gegeben ist und kein Rechtsstaat-Verletzungsverfahren gegen die Mitgliedstaaten läuft.
    • Fossile oder Atomenergien sind ausgeschlossen (Liberale sind hier nicht einstimmig dabei, deutliche Mehrheit des Ausschusses aber).
  • Öffentliches Label
    • Alle finanzierten Projekte aus dem ETS mïussen dies auch deutlich sichtbar mit einem EU-Label kennzeichnen.

Der Deal für die Industrie

  • Freie Zuteilungen bleiben für die dekarbonisierte Industrie bestehen
    • Industrieanlagen, die vollständig dekarbonsiert haben, bekommen weiterhin freie Zuteilungen, um die Dekarbonisierung zu finanzieren. Sie können für mehr als fünf Jahre dies freien Zuteilungen erhalten.
  • Die 10% besten Industrieanlagen bekommen zusätzlich 10% mehr freie Zuteilungen
    • Dazu müssen die 10% besten Industrieanlagen einen Dekarboniserungsplan vorlegen und sich daran halten, sowie ein Energie-Management-System etablieren. Gleichzeitig werden die freien Zuteilungen mit Bedingungen verknüpft. Wer zu den 10% schlechtesten gehört und wer keine Dekarbonisierungsplan und kein Energy Management System vorliegt, verliert alle freien Zuteilungen.
  • Klimaverträge und Gelder aus dem Klima-Investitionsfonds
    • Die Dekarbonisierung der Industrie wird über Klimaverträge finanziert. Dazu wird der auf 143 Milliarden (Rechnung mit 100 Euro CO2-Preis) große Klimainvestitionsfonds genutzt.

Maßnahmen zum Marktdesign

  • Artikel 29a (Der Preis-Kontrollmechanismus für zu schnelle Preiserhöhung)
    • Der Kontrollmechanismus greift, wenn der CO2-Preis sechs Monate 2x so hoch ist wie er durchschnittlich die letzten zwei Jahre war;
    • Dann muss die EU-Kommission innerhalb von sieben Tagen prüfen, ob dieser Preisanstieg auch der Grundstruktur des Marktes entspricht und wenn nicht, Maßnahmen zur Preissenkung ergreifen;
    • Ursprünglich wollte die EPP, dass der Mechanismus ohne Prüfung sofort greift, scheiterte aber an der Mehrheit.
  • Markt-Stabilitätsreserve (MSR)
    • Die oberen und unteren Grenzwerte werden mit 700/927 festgelegt, aber ab 2025 werden sie parallel zum Linearen Reduktionsfaktor abgesenkt.  
    • Damit wird die Reserve schon früher aktiviert, als von der Kommission vorgesehen und kann mehr Zertifikate vom Markt nehmen.
  • Benchmarks
    • Der Minimum-Grenzwert wird von 0.2 auf 0.4 erhöht. Damit wird eine etwas schnellere Verbesserung der Benchmarks forciert.
    • Die neuen Benchmarks werden erst ab 2026 in Kraft treten.
    • Die neuen Benchmarks werden nicht mehr durch die Produktionsweise, sondern durch das Produkt bestimmt und werden auch vollständig dekarbonisierte Produktionsweisen mit einbeziehen. Das heißt zum beispiel Stahl der mit erneuerbarem Wasserstoff hergestellt wird kann jetzt den standard für Stahlproduktion setzen.
  • Beschränkung des Marktzuganges
    • Eine Mehrheit (EVP, Liberale, Identitäre und ECR) wollen den Marktzugang auf regulierte Unternehmen beschränken. Dieses Vorhaben würde die Liquidität des Marktes stark hemmen und dessen ganze Struktur verändern.

Die Ausweitung des ETS in der Übersicht

  • Schiffsverkehr
    • Der ETS für den Schiffsverkehr soll ab 2024 voll eingeführt werden (und nicht wie von der EU-Kommission vorgesehen gestaffelt bis 2027);
    • Es soll auf Schiffe mit über 400 GT Gewicht bis zum Jahr 2027 ausgeweitet werden - bisher wurden nur Schiffe ab 5.000 GT einbezogen;
    • Ab 2027 sollen außerdem nicht nur 50% der Emissionen von Reisen von und zu Drittstaaten im ETS bezahlt werden, sonder 100%;
    • Ausnahme: Es gibt eine internationale Einigung mit Drittstaaten, die eine äquivalente Treibhausgas-Bepreisung garantiert, oder Drittstaaten haben eigenständig eine äquivalente Treibhausgas-Bepreisung eingeführt;  
    • Um “Carbon Leakage” zu vermeiden, werden EU-nahe Häfen bereits ab 2024 völlig in den ETS einbezogen;
    • 75% der Einnahmen des ETS für die Schifffahrt geht an einen “Ocean Fund”, der für die Dekarbonisierung der Schifffahrt zur Verfügung steht. Davon 15% müssen für Biodiversitätsmaßnahmen ausgegeben werden.
    • Die Eissschifffahrt und Überseegeibete bzw. “Regionen in äußersten Lagen” sind davon ausgenommen.
  • Flugverkehr
    • Der Luftverkehr innerhalb der EU wird ab 2025 den vollen Preis für seine Emissionen zahlen (keine kostenlosen Zertifikate mehr).
    • Der ETS wird auch für internationale Flüge gelten, die die Union verlassen (nach Abzug des an CORSIA gezahlten Preises).
    • Die Nicht-CO2-Emissionen des Luftverkehrs werden ab 2024 überwacht. Die EU-Kommission sollte dann einen Legislativvorschlag vorlegen, um die
    • Nicht-CO2-Emissionen im Rahmen des ETS zu bepreisen. Sollte dies nicht geschehen, wird ein Multiplikator von mindestens 1,8 auf diese Emissionen angewandt.
  • Abfall
    • Ab 2026 werden Emissionen von kommunaler Müllverbrennung mit in den ETS aufgenommen.

Das will die EU-Kommission

  • Bislang sollen die CO2-Emissionen in den ETS-Sektoren um 43 Prozent bis zum Jahr 2030 fallen. Die Zahl soll auf auf 62 Prozent erhöht werden;
  • Der lineare Reduktionsfaktor soll von 2,2 auf 4,2 Prozent steigen. Das heißt, jedes Jahr werden 4,2 Prozent weniger CO2-Zertifikate auf den Markt kommen. Einmalige Reduktion ist nicht spezifiziert, wird so sein, als ob LRF von 4,2% bereits seit 2021 gelten würde. Im Jahr 2050 werden keine Zertifikate mehr ausgeteilt;
  • Die Industrie bekommt bisher ihre Zertifikate, ohne dafür zu Zahlen. Diese freien Zuteilungen sollen bis zum Jahr 2036 auslaufen. Nach der aktuellen ETS-Verordnung enden die kostenlosen Zertifikate 2030. Ab 2026 werden die kostenlosen Zertifikate um 10 Prozent pro Jahr reduziert, um 2036 eine 100 prozentige Abschaffung zu erreichen;
  • Für Sektoren, die nicht unter CO2-Grenzausgleich (siehe unten) fallen, wird eine schwache Konditionalität eingeführt, um weiterhin einen Teil ihrer kostenlosen Zertifikate zur Verbesserung der Energieeffizienz von Anlagen zu erhalten.

Das will die EU-Kommission im Emissionshandel für Verkehr und Gebäude

  • Die Kommission schlägt einen zweiten Emissionshandel für Transport und Gebäude vor, der ab 2026 eingeführt werden soll;
  • Der lineare Reduktionsfaktor wird für 2026 - 2028 auf 5,15 Prozent und nach 2028 auf 5,43 Prozent festgelegt;
  • Der Innovationsfonds wird um 150 Millionen Zertifikate aufgestockt, die aus dem neuen ETS für Transport und Gebäude stammen werden. Das bedeutet, dass die Verbraucher für den Übergang in der Industrie und im Energiebereich zahlen.