Der Clean Industrial Deal als Schlüssel für Europas Zukunft.

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Fünf Schritte für eine zukunftsfähige Industrie


Dass die Grünen und die Industrie gemeinsame Ziele verfolgen, scheint für manche ja immer noch unvorstellbar. Doch für mich und uns Grüne ist klar: Eine starke Industrie ist unerlässlich, um Wohlstand und Klimaschutz in Europa voranzubringen. Angesichts der Wiederwahl von Donald Trump in den USA und der aggressiven Handels- und Subventionspolitik Chinas ist eine starke, gemeinsame Industriepolitik in Europa unerlässlich, damit wir nicht unter die Räder geraten.

Die Grünen wollen die Agenda des Clean Industrial Deals auf EU-Ebene zentral gestalten. Unser Ziel ist eine starke, moderne und wettbewerbsfähige Industrie, die den Weg der Dekarbonisierung selbstbewusst und ressourcenschonend fortsetzt. Das geht nur mit einer klaren politischen Richtung und einem kohärenten Regelwerk. Mit dem Green Deal haben wir den Grundstein für eine klimaneutrale Zukunft in Europa gelegt. Der Clean Industrial Deal bildet nun den nächsten Schritt. Aufbauend auf dem Green Deal und flankiert von einem schnellen Vorschlag für das 2040 Klimaziel von mindestens 90% Treibhausgas Emissionsreduktion soll er die grüne Transformation unserer Wirtschaft als Treiber für Wachstum, Innovation und Investition nachhaltig und fair vorantreiben. Er soll einen Business Case für Green Tech made in Europe sicherstellen.

Fünf zentrale Punkte sind entscheidend, um die europäische Wirtschaft auf diesem Weg zu unterstützen und ihre Wettbewerbsfähigkeit in einer sich wandelnden Welt zu sichern:

  1. Senkung der Energiepreise und Unabhängigkeit von fossilen Importen;
  2. Förderung von Leitmärkten für grüne Produkte;
  3. Entwicklung branchenspezifischer Transformationspläne;
  4. Bürokratieabbau und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und
  5. eine selbstbewusste und zukunftsorientierte Handelspolitik.

 

1. Energiepreise senken und Europas Abhängigkeit von Fossilen beenden

Unser größter Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen globalen Volkswirtschaften sind die hohen Energiepreise in Europa, verursacht von unserer Abhängigkeit von teuren Importen fossiler Energieträger. Deswegen müssen wir neben dem rapiden Hochlauf der heimischen Erneuerbaren Energien, massiv in die Elektrifizierung von Wärmeerzeugung und Produktionsprozessen sowie den Ausbau der Stromnetze investieren.

Ein europäisches Elektrifizierungsgesetz:

Ein wichtiger Bestandteil des Clean Industrial Deals, muss ein Elektrifizierungsgesetz mit den folgenden Maßnahmen sein:

  • EU-Elektrifizierungsallianzen: Aufbauend auf dem Erfolg der europäischen Allianzen für Batterien und Wasserstoff brauchen wir eine EU-Elektrifizierung Allianz, einschließlich einer gezielten Wärmepumpen Allianz.

    Finanzierung und Besteuerung: Investitionen in die industrielle Elektrifizierung sollten gegenüber anderen Dekarbonisierungsoptionen klar priorisiert werden, insbesondere im Rahmen des neuen EU-Wettbewerbsfähigkeitsfonds sowie innerhalb bestehender Förderinstrumente wie dem EU-ETS-Innovationsfonds, Horizon Europe und den Finanzierungsprogrammen der Europäischen Investitionsbank.

    Zusätzlich soll die Elektrifizierung durch steuerliche Anreize unterstützt werden. Konkret bedeutet dies, dass für Strom der niedrigste Steuersatz gelten sollte, während fossile Energieträger mit höheren Steuersätzen belastet werden, wie in der Reform der Energiebesteuerungsrichtlinie vorgesehen. Diese gezielte Steuerpolitik steigert die Attraktivität von Elektrifizierungslösungen und trägt dazu bei, fossile Energien im Industriesektor zu ersetzen.
  • Recht auf Netzanschluss: Wir müssen einen maximalen Zeitrahmen für die Anbindung von Standorten, die ihre Produktions elektrifizieren möchten, festlegen. Zusätzlich muss ein dynamisches und effizientes Management von Netzanschluss, Warteschlangen und -anfragen entwickelt werden, das ausgereifte Projekte priorisiert und angemessene flexible Anschluss Vereinbarungen anbietet. Bei der Netzplanung und Angemessenheit Beurteilung muss das Potenzial der industriellen Elektrifizierung berücksichtigt werden.

  • Flexibilität fördern: Es müssen Anreize für die netzdienliche Anpassung der Nachfrage durch angemessene Vergütung geschaffen werden. Dazu müssen geeignete Marktpreis-Signale entwickelt werden und Anreize für Investitionen in Flexibilität durch robuste Risikominderung Instrumente geschaffen werden.

  • Ausbildung von Arbeitskräften: Wir müssen regulatorische Anreize schaffen, damit europäische Unternehmen geeignete Schulungs- und Rekrutierungsstrategien für Installateur Personal vornehmen, sodass der erwartete Anstieg der Nachfrage gedeckt werden kann.

Ein europäisches Gesetz für den Ausbau der Stromnetze:

Der schnellere Ausbau von erneuerbaren Energien und die Elektrifizierung werden durch den langsamen Netzausbau und den Mangel an grenzüberschreitenden Verbindungen behindert. Die Netzentwicklung muss anhand der Systemanforderungen und nicht anhand einzelner Projektvorschläge der Übertragungsnetzbetreiber beurteilt werden. Ein europäisches Stromnetzgesetz sollte daher die folgenden Maßnahmen beinhalten:

  • Eine europäische Koordinierungsbehörde: Diese Behörde sollte in den Planungsprozess und insbesondere in den Zehnjahres-Netzentwicklungsplan (TYNDP) der EU einbezogen werden. Sie sollte eine ganzheitliche Betrachtung des Stromnetzes einschließlich der Kosteneffizienz von Flexibilitätsdiensten und Speicherlösungen durchführen. Zusätzlich sollte sie die Genehmigung grenzüberschreitender Netzanschlüsse übernehmen und bei strategischen Vorhaben vermitteln und in Ausnahmefällen verbindliche Entscheidungen treffen. Eine solche Behörde könnte entweder auf den Strukturen von ACER aufbauen oder innerhalb der DG ENER entstehen.

  • Mit Flexibilität Kosten begrenzen: Aufgrund der massiven Investitionen, die im Netzausbau nötig sind, steigen die Netzentgelte massiv und erschweren Investitionen in die Dekarbonisierung. Unternehmen, die in intelligente Elektrifizierung investieren und dadurch die Gesamtnetzkosten senken, sollten durch niedrigere Entgelte oder zusätzliche Fördermittel unterstützt werden. Ein neuer EU-Rahmen zu Netzentgelten soll einen flexibleren Verbrauchs- und netzdienliche Standortwahl entlohnen. Allerdings sollten Branchen, die aus technischen Gründen keine oder nur wenig Flexibilität anbieten können, nicht benachteiligt werden.

  • Bürger*innen und Wirtschaft mit guten Netzen unterstützen: Steigende Netzentgelte dürfen Bürger*innen nicht zusätzlich belasten. Die Europäer*innen sollen nicht die Kosten der industriellen Elektrifizierung tragen. Stattdessen sollte der Netzausbau aus öffentlichen Geldern, wie dem neuen europäischen Wettbewerbsfähigkeitsfonds, finanziert werden.

 

2. Zukunftsmärkte für grüne Produkte

Um Unternehmen die Transformation zu einer umweltfreundlichen Wirtschaft zu erleichtern, braucht es verlässliche Absatzmärkte für grüne Produkte und Materialien. Dafür sind folgende Maßnahmen grundlegend wichtig:

  • Beschleunigung der Entwicklung von zukunftsorientierten, umweltfreundlichen Produkt-und Beschaffungstandards: Voraussetzung für einen raschen Hochlauf von grünen Leitmärkten ist ein schnelles Festlegen einheitlicher grüner Produkt- und Beschaffungsstandards und deren internationale Anerkennung. Das geplante Gesetz zur Beschleunigung der industriellen Dekarbonisierung („Industry Decarbonisation Accelerator Act“) sollte bereits 2025 konkrete Anpassungen vornehmen.

    Es soll Orientierungshilfen für bestehende Vorschriften (wie die Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte) bieten und einen verbindlichen CO₂-Schattenpreis im öffentlichen Auftragswesen einführen, der den Gebotspreis von umweltschädlicheren Angeboten proportional erhöht und damit umweltfreundlichen Angebote einen klaren Wettbewerbsvorteil verschafft. Gerade in der Baubranche könnte eine solche interim Lösung den Business Case für klimaschonende Angebote erheblich verbessern.

  • Umweltfreundliche öffentliche und private Beschaffung: Regierungen und Großunternehmen haben eine Schlüsselrolle, um die Nachfrage nach grünen Produkten sicherzustellen. Allein die öffentliche Auftragsvergabe in der EU umfasst jährlich rund 2 Billionen Euro - das entspricht etwa 14 % des europäischen BIP.

    Bei der anvisierten Überarbeitung der Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge müssen Nachhaltigkeits-, Sozial- und Resilienzkriterien verstärkt berücksichtigt werden.

    Auch private Unternehmen sollten mitziehen, etwa durch Ziele für saubere Fahrzeuge in ihren Flotten, Maßnahmen zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und CO₂-Schwellenwerte bei großen Infrastrukturprojekten. Quoten für umweltfreundliche Materialien wie beispielsweise grüner Stahl tragen ebenfalls dazu bei, die Nachfrage anzukurbeln.

  • Europäische Hersteller stärken: Buy European Act: Allzu oft finanzieren europäische Subventionen die Produktion in Drittländern, was das Vorhaben der EU erschwert, eine starke inländische Produktionsbasis für saubere Technologien zu etablieren. Ein „Buy European Act“ könnte dies ändern, indem ein EU-Bonus in Finanzierungsinstrumenten sowie im öffentlichen und privaten Beschaffungswesen verankert werden könnte. So wird der Anreiz gestärkt, innovative und nachhaltige Produkte in Europa zu entwickeln und zu produzieren.

 

3. Branchenspezifische Transformationspläne

Es gibt keine universelle Lösung für die Dekarbonisierung der verschiedenen Industriezweige. Aufbauend auf den Clean Transition Dialogues sollten daher im Rahmen des Clean Industrial Deal sektorspezifische Fahrpläne in enger Zusammenarbeit mit Industrievertreter*innen, Gewerkschaften und NGOs entwickelt werden. Wir wollen Maßnahmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette strategischer Produkte in einem ganzheitlichen Ökosystemansatz entwickeln: von Rohmaterialien, Produktionskapazitäten, Kompetenzentwicklung bis hin zu fertigen Clean-Tech-Produkten, Wiederverwertung und Recycling.

Diese sollten Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen, Handelsmaßnahmen, Infrastrukturentwicklung, den Regulierungsrahmen, Maßnahmen für die Nachfrageseite und einen gerechten Übergang beeinflussen. Bei der Entwicklung dieser Pläne sind folgende Leitprinzipien maßgebend:

  • Ausrichtung an den Dekarbonisierungszielen für 2030 und 2050;

  • Ressourcen- und Energieeffizienz;

  • Kosteneffizienz;

  • Beschäftigungspotenzial und zukunftsorientierte Arbeitsplatzgarantie;

  • Widerstandsfähigkeit durch Diversifizierung der Lieferketten.

 

Beispiel: Grüner Wasserstoff spielt eine zentrale Rolle in der Dekarbonisierung: Er wird als Grundstoff in der Chemieindustrie, als Energieträger in der Stahlproduktion und als Energiespeicher für ein vollständig dekarbonisiertes Energiesystem benötigt. Um seine Herstellung zu ermöglichen, müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter forcieren und die Produktion von Elektrolyseuren in Europa gezielt fördern. Die europäische Elektrolyseur-Produktion steht dabei unter erheblichem Wettbewerbsdruck aus China. Um diese Schlüsseltechnologie in Europa zu sichern, sind schnelle Maßnahmen erforderlich - etwa Resilienzkriterien in öffentlichen Ausschreibungen für grünen Wasserstoff oder angepasste Rahmenbedingungen für die Verteilung von Fördergeldern, wie es in der EU Wasserstoffbank nun geschieht.

 

4. Bürokratie abbauen, Prüfverfahren beschleunigen und in die Transformation investieren

Mit dem Green Deal wurde die regulatorische Grundlage für die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft geschaffen. Jetzt muss die Politik der Wirtschaft unter die Arme greifen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und gute Arbeitsplätze in Europa zu erhalten.

  • Reform der Beihilferegelungen: Um die grüne Transformation voranzutreiben, ist es notwendig, den EU-Mitgliedsstaaten mehr Handlungsspielraum für Investitionen in saubere Technologien und die Umstellung industrieller Ökosysteme auf umweltfreundliche Produktionsweisen zu gewähren. Dies betrifft erneuerbare Energien und nachhaltige Infrastrukturen. Die Prüfverfahren für Transformationsprojekte sollten durch eine Neufassung des „befristeten Beihilferahmens zur Krisenbewältigung und zur Gestaltung des Wandels“ beschleunigt und vereinfacht werden.

    Soziale und ökologische Anforderungen sollten in dem neuen Rahmen für staatliche Beihilfen verankert sein. Ob ein Projekt von einem beschleunigten Verfahren profitieren kann, sollte auf einer umfassenden Bewertung seiner Umwelt- und Sozialauswirkungen sowie seiner Kompatibilität mit den Klimazielen für 2030 und 2050 basieren. Projekte, die maßgeblich zur Emissionsreduktion und sozialen Fairness beitragen, sollten bevorzugt und gezielt gefördert werden.

  • Vereinfachung und Beschleunigung des IPCEI-Prozesses: Der IPCEI-Prozess ist aktuell noch zu langwierig und umständlich. Die Kommission sollte den Prozess vereinfachen und das Personal für die IPCEI-Überprüfungen aufstocken. Dabei muss ein hohes Innovationsniveau der geförderten Projekte gewahrt bleiben.

  • Einen starken europäischen Investitionsfonds: Europa muss seinen größten Trumpf, den Binnenmarkt, schützen und seine Wirtschaft gezielt fördern. Der angekündigte EU-Wettbewerbsfonds (Competitiveness Fund) ist dabei ein wichtiges Werkzeug. Er soll öffentliche Mittel bereitstellen, die gezielt in die Transformation der Wirtschaft, den Ausbau der Infrastruktur und einen gerechten Übergang investiert werden. Finanziert wird dieser Fonds durch gemeinsame Kredite der Mitgliedstaaten. Der Großteil der Gelder muss allerdings aus der Privatwirtschaft kommen.

    Öffentliche Gelder sollten gezielt eingesetzt werden, um zusätzliches privates Kapital für die grüne Transformation zu mobilisieren. Dabei müssen sie an strenge Umwelt- und Sozialauflagen gebunden sein, damit die Mittel nachhaltig und zweckgebunden wirken. Der kommende Mehrjährige Finanzrahmen der EU muss sich klar an den Zielen der grünen Transformation und den Dekarbonisierungsplänen orientieren. Die Einnahmen aus dem Emissionshandel müssen dabei konsequent in die Dekarbonisierung der Wirtschaft und einen sozial gerechteren Übergang fließen.

 

5. Neuer Mut für die Handelspolitik

  • Ein globales Level-Playing Field: Unser Ziel ist ein offener, regel- und wertebasierter Handel. Doch Europa darf dabei nicht naiv sein: Angesichts des veränderten geopolitischen Umfelds muss Europa entschlossen auf subventionsbasierte Exportstrategien und unfaire Handelspraktiken von Drittstaaten reagieren und diesen konsequent mit Gegenmaßnahmen entgegentreten. Die EU sollte dabei ihre handelspolitischen Schutzinstrumente voll ausschöpfen und in verschiedenen Sektoren verstärkt Anti-Dumping- und Anti-Subventionsuntersuchungen einleiten. Sozial- und Umweltdumping durch Drittstaaten müssen in die Berechnung von Ausgleichszöllen konsequent einfließen.

    Europa muss sich außerdem weiterhin dafür einsetzen, dass die hier entwickelten Standards für grüne Materialien und Produkte auch weltweit anerkannt werden. Um dies zu erreichen, sollten wir internationale Dialoge zu grünem Stahl und grünem Zement wieder aufnehmen. So entstehen globale Märkte für nachhaltige Produkte, ein faires Wettbewerbsumfeld und ein weltweiter Rückgang der Emissionen.

  • Entwicklung von Win-Win-Partnerschaften mit Entwicklungsländern: Um Abhängigkeiten zu reduzieren, müssen wir neue Partnerschaften aufbauen. Im Rahmen der geplanten „Clean Trade and Investment Partnerships“ sollte die EU ihren Handelspartnern bessere Chancen bieten: Mehr Wertschöpfung vor Ort, attraktive Finanzierungsangebote und Zugang zu Technologien für eine grüne Transformation.

    Dabei ist wichtig, dass solche Abkommen und Partnerschaften andere Länder in ihrer eigenen Industrie- und Energiewende voranbringen und nicht behindern. So können wir gemeinsam eine nachhaltige Zukunft gestalten, die sowohl Europa als auch seine globalen Partnerländer stärkt.