Industrielle Klima-Revolution, jetzt!

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament zur Veröffentlichung des Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zum neuen Klima-Industrie-Gesetz:

Wir holen die Solarindustrie zurück nach Europa! Die Industrie ist das Herzstück der europäischen Wirtschaft. Deswegen: Die Modernisierung unserer Industrie muss jetzt passieren.

Diejenigen, die für veraltete Technologien kämpfen, an Verbrennermotoren und Gasheizungen kleben, stehen für eine veraltete, nicht wettbewerbsfähige Industrie. Wir wollen unsere Industrie modernisieren und dafür sorgen, dass es auch in Zukunft sichere Jobs in Europa gibt. Wir setzen auf erneuerbare Energien und modernste Technologien. Da liegt die Wertschöpfung der Zukunft.

Wir dürfen nicht zulassen, dass Fortschrittsverweigerung zur Deindustrialisierung führt. Wir müssen jetzt handeln, um unsere Ingenieurskunst, Wertschöpfung und Wohlstand zu erhalten.

Hintergrund vom 15. März 2023

Was ist das Klima-Industrie-Gesetz (Net Zero Industry Act)?

Der “Green Deal Industrie Plan”, also der Industrie Plan für den europäischen Green Deal ist auf den folgenden Säulen aufgebaut: Einem berechenbaren und vereinfachten Regelungsumfeld, der Beschleunigung des Zugangs zu Finanzmitteln, der Verbesserung der Kompetenzen und offenem Handel für resiliente Lieferketten.

Das Netto-Null-Industrie-Gesetz (Net Zero Industry Act) soll die regulatorischen Rahmenbedingungen schaffen, die es der Industrie ermöglichen, sich in der EU anzusiedeln. Hauptinstrumente sind hierfür das Setzen von sektoriellen Zielen von Kapazitätsaufbau und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren.

Eine weitere wichtige Komponente des Netto-Null-Industrie-Gesetzes ist der Status der  “strategischen europäischen Klimaindustrieprojekte” (Net Zero Resilience Projects). Diese müssen Kriterien, wie zum Beispiel die Reduzierung von Abhängigkeiten von Drittländern für bestimmte Produkte oder das Setzen neuer Nachhaltigkeitsstandards, erfüllen, um als solche anerkannt zu werden.

  • Mitgliedstaaten müssen Anträgen zur Anerkennung von strategischen europäische Klimaindustrieprojekten innerhalb eines Monats nachkommen. Sie können die Kommission um Hilfe bitten, die wiederum 20 Tage Zeit für ihre Auswertung hat. Strategische europäische Klimaindustrieprojekte sind im überragenden öffentlichen Interesse und müssen als solche in allen Verwaltungs- und gerichtlichen Prozessen behandelt werden.

 

Um welche Technologien geht es?

Die Versorgungssicherheit mit günstiger Energie ist der Schlüssel für die EU, global wettbewerbsfähig zu bleiben und im Rennen, um die Technologien der Zukunft ganz vorne mitzuspielen. Es geht also vor allem um die Technologien, die uns das schnelle Hochfahren der CO2-freien Energieträger und CO2-freien Produktion ermöglichen.

Die Kommission wird folgende Technologien vorgeschlagen:

  • Solar (photovoltaik und thermal)
  • Wind (on- und offshore)
  • Wärmepumpen
  • Technologien für grünen Wasserstoff
  • Technologien für Netzausbau
  • Energie-Speichertechnologien (einschließlich Batterien)
  • Biogas
  • Kohlenstoffabscheidung- und Speicherung.

Die Kommission will sich das Recht vorbehalten, die Liste der Netto-Null-Technologien durch einen delegierten Rechtsakt zu ändern. Allerdings können nur Technologien in die Liste aufgenommen werden, die eine gewisse technologische Reife vorweisen und zum Ziel beitragen, EU-weite Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55% im Vergleich zu 1990 zu verringern.

 

Wie sollen die Technologien in der EU gefördert werden?

  • Sektor Ziele für EU Produktionskapazität bis 2030:
    • 40% des jährlichen Einsatzes von Netto-Null Technologien soll durch heimische Produktion gedeckt sein:
      • Solar PV: 30 GW
      • Wind: 36 GW
      • Wärmepumpen: 31 GW
      • Batterien 550 Gwh, das entspricht 90% der abzusehenden Nachfrage
      • Elektrolyseur (installierte) Kapazität: 100 GW
      • Speicherkapazität für Kohlenstoffspeicher in der EU : 50 millionen Tonnen

Bis Juni 2023 sollen Mitgliedstaaten ein Update ihrer nationalen Energie- und Klimapläne vorstellen. Darin sollen sie beschreiben, wie sie zu diesen Zielen beitragen.

  • Beschleunigung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren:
    • Für ausgewiesene “strategische europäische Klimaindustrieprojekte” soll das Genehmigungsverfahren nicht länger als 9 Monate dauern für Fabriken die eine jährliche Produktionsleistung von bis zu 1 GW habe, und 12 Monate für diejenigen, die eine Produktionsleistung über 1 GW pro Jahr haben. Wird innerhalb dieser Fristen keine Entscheidung verkündet, gilt das Projekt als genehmigt, außer eine Umweltverträglichkeitsprüfung steht noch aus.
    • Für alle anderen Netto-Null-Technologien (die nicht den Status eines strategischen europäische Klimaindustrieprojektes haben) sollen Genehmigungsverfahren innerhalb 12 Monaten abgeschlossen sein, wenn die Produktionsleistung bis zu 1 GW ist - und 18 Monate bei einer Produktionsleistung von mehr als 1 GW.
      • In Ausnahmesituation kann die 12 Monatsfrist um 1 Monat, und die 18 Monatsfrist um 2 Monate verlängert werden.
    • Für den Ausbau bereits vorhandener Herstellungsstätten sind die oben genannten Fristen jeweils zu halbieren.
    • Mitgliedstaaten müssen eine zentrale Anlaufstelle für alle Genehmigungsverfahren einrichten, die mit ausreichend qualifiziertem Personal ausgestattet sind. Alle Genehmigungsprozessen zu einem bestimmten Prozess müssen von einer alleinigen Stelle bearbeitet werden, um den Prozess für Projektträger*innen so einfach wie möglich zu gestalten.
  • Ausweisung von Gebieten, die geeignet sind Kohlenstoff zu speichern:
    • Mitgliedstaaten müssen auf ihrem Hoheitsgebiet Gebiete angeben, die für die Speicherung von Kohlenstoff in Frage kommen.
    • Jeder Lizenzträger von Öl- oder Gasfeldern wird verpflichtet, zum EU-weiten Ziel beizutragen, 50 Millionen Tonnen Speicherkapazität bis 2030 bereitzustellen.
    • Öl-und Gasfirmen sind also diejenigen, die Kohlenstoffspeicherung anbieten können.
  • Nachhaltigkeits-und Widerstandsfähigkeit Kriterien in öffentlichen Ausschreibungen:
    • Öffentliche Ausschreibungen für Netto-Null-Technologien müssen erstmals Nachhaltigkeits-und Resilienz-Kriterien erfüllen. Umweltverträglichkeit, Systemintegration für Energieträger und Versorgungssicherheit von Produkten, von denen bislang 65% aus einem einzigen Drittstaat importiert werden, sind die ausschlaggebenden Kriterien.
    • Auch Auktionen für Erneuerbare müssen diese Nachhaltigkeits-und Resilienz Kriterien fortan berücksichtigen.
  • Neue Institutionen zur Transformationsunterstützung:
    • Die Europäische Netto-Null-Plattform soll nach dem Vorbild der Wasserstoff Plattform und der Solarplattform den Fortschritt in der Erreichung der Ziele beobachten. Sie berät die Kommission bezüglich weiterer Maßnahmen und der Anwendung der neuen Gesetzgebung.
    • Europäische Netto-Null-Industrie-Akademien sollen Lern- und Trainings-Programme ausarbeiten, um Menschen für die Klima-Industrie auszubilden.

 

Grüne Forderungen

  • EU-Transformationsfonds: Wir begrüßen den Schritt, die Produktionskapazitäten für die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft nun endlich nach Europa zu holen. Allerdings stehen uns dafür derzeit noch nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung. Staatshilfen ohne strenge Regelungen zur sozialen-und Umweltverträglichkeit könnten, statt die industrielle Basis in Europa zu stärken, den Binnenmarkt schwächen. Bislang fehlen sowohl neue europäische Finanzmittel als auch Regelungen, um private Investitionsströme in die richtigen Bahnen zu lenken. Um diese Investitionslücke zu schließen, brauchen wir einen EU-Transformationsfonds sowie eine Reform der Finanzpolitik und eine beschleunigte Umsetzung der Besteuerung von Produkten entsprechend ihrer Umweltverträglichkeit.
  • Gezielt GRÜNE Technologien fördern: Wir sollten nicht mit der Gießkanne, sondern gezielt die Technologien zu unterstützen, die uns in dieser Dekade dabei helfen können, unseren CO2-Fußabdruck erheblich zu reduzieren: Solar-, Wind- und Wasserkraft, grüner Wasserstoff sowie Stromnetze und Energiespeicher. Weder Kernkraft noch Kohlenstoffspeicherung werden uns bis 2030 in irgendeiner Weise bei der Dekarbonisierung voranbringen können.
    • Atomkraft ist teuer, der Bau eines neuen Kraftwerks dauert lange, ihre Einsatzfähigkeit während Extremwetterereignissen wie Dürre nicht verlässlich. Es gibt bis heute keine sicheren Langzeitspeicher für Atommüll, und Uranvorkommen sind auch sehr rar in Europa. Aus all diesen Gründen sollte Atomkraft keine Rolle in der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft spielen.
    • Kohlenstoffspeicherung sollte nur für die Sektoren in Frage kommen, für die es keine technologische Alternative gibt, um ihre Emissionen zu vermeiden. Es ist grotesk, dass die Kommission Öl- und Gasfirmen die Kontrolle über Kohlenstoffspeicherung geben will. Sollen Öl- und Gasfirmen jetzt ein zweites Mal finanziell davon profitieren, dass sie fossile Brennstoffe aus geologischen Formationen herausgepumpt haben? Nein.
  • Arbeitsrechts- und Sozialstandards als Förderkriterien: Es ist zu begrüßen, dass nun erstmals bei öffentlichen Ausschreibungen Umweltverträglichkeits-Kriterien berücksichtigt werden müssen. Allerdings wäre es noch besser gewesen, auch Arbeitsrechts- und Sozialstandards an die Förderungen zu knüpfen, wie es beispielsweise unter dem IRA in den USA der Fall ist.

 

Wie geht’s jetzt weiter?

Am 16. März stellt die Kommission ihren Vorschlag vor. Das Parlament und die Mitgliedstaaten im Rat werden den Vorschlag der Kommission bearbeiten und verändern, um dann ihre Legislativgewalt auszuüben und ihn anzunehmen. Das kann je nach Prozedur einige Monate oder sogar ein Jahr dauern. Sowohl im Parlament als auch im Rat wird dieser Gesetzesvorschlag als prioritär gehandhabt und sollte bis spätestens Ende 2024 verabschiedet werden.

Wenn der finale Text von Parlament und Rat angenommen wird, wird er veröffentlicht und tritt mit seiner Veröffentlichung in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt ist er direkt in allen Mitgliedstaaten anwendbar und bedarf keiner Umsetzungsregelungen in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten.