Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament zur heutigen Abstimmung über das Klima-Industrie-Gesetz im Industrieausschuss:
Wir brauchen eine echte Industriepolitik. Aber die Position des Industrieausschusses ist eine Bankrotterklärung gegenüber den Zukunftsindustrien. Der konservative Berichterstatter Ehler macht aus einem Gesetz zur Förderung von Windrad- und Solarfabriken einen Selbstbedienungsladen für die Atomkraft und Fossile. Das ist ein weiterer Schritt, um den Green Deal abzuwürgen. Statt Investitionen in Zukunftsindustrien anzulocken, wirft er mit beiden Händen die Subventionen zum Fenster raus.
Es droht ein Fiasko im Europaparlament. Die USA und China investieren Milliarden in neue Fabriken und gute Jobs und die Konservativen werfen schon hin, bevor das Wettrennen überhaupt gestartet ist. Es braucht eine Industriepolitik, die auf die Zukunftsbranchen fokussiert, sonst können wir den Standort Europa dichtmachen. Dann werden die Windräder, Wärmepumpen, Solarmodule und Elektrolyseure zukünftig in China gebaut, nicht hier.
Die Konservativen haben keinen Plan in der Wirtschaftspolitik. Sie treten beim Green Deal auf die Bremse und das führt zu De-Industrialisierung.
ENGLISH
We need a visionary industrial policy that supports the industries of the future. But the Industrial Committee’s position is a failure to embrace the potential of wind and solar power. The conservative rapporteur Ehler has turned a law meant to boost clean energy into a giveaway for nuclear and fossil fuels. This is a grave threat to the Green Deal and our climate goals. Instead of attracting investments in cutting-edge technologies, he is wasting subsidies on outdated and polluting sources of energy.
He’s setting us up for a disaster in the European Parliament. We need to focus on the climate industry, or we’ll fall behind the USA and China. They’re investing billions in the future, while we’re stuck in the past. If we don’t act now, we’ll lose our competitive edge. We’ll end up importing wind turbines, heat pumps, solar modules and electrolysers from overseas, instead of making them here.
The conservatives’ plan reveals: They are not only dragging their feet on the energy transition, but also driving us off the cliff of de-industrialization.
Hintergrund vom 25. Oktober 2023
Was ist das Klima-Industrie-Gesetz (Net Zero Industry Act)?
Das Netto-Null-Industrie-Gesetz (Net Zero Industry Act) soll die regulatorischen Rahmenbedingungen schaffen, die es der Industrie ermöglichen, sich in der EU anzusiedeln. Hauptinstrumente sind hierfür das Setzen von sektoriellen Zielen von Kapazitätsaufbau und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren.
Eine weitere wichtige Komponente des Netto-Null-Industrie-Gesetzes ist der Status der “strategischen europäischen Klimaindustrieprojekte” (Net Zero Resilience Projects). Diese müssen Kriterien, wie zum Beispiel die Reduzierung von Abhängigkeiten von Drittländern für bestimmte Produkte oder das Setzen neuer Nachhaltigkeitsstandards, erfüllen, um als solche anerkannt zu werden.
Was hat der Industrieausschuss entschieden ?
Der Berichterstatter Ehler im Industrieausschuss hat gemeinsam mit Sozialdemokrat*innen und Liberalen folgende Änderungen am Kommissionsvorschlag vorgenommen.
- Förderung mit der Gießkanne anstelle von gezielter Industrieförderung durch die Streichung der Klassifizierung als “strategische Technologie” und die Ausweitung der Liste der “Netto-Null-Technologien”. So kann de facto jede Technologie, auch Atomkraft, die Tür zu strategischen Projekten (Net Zeo Resilience Projects) geöffnet werden, indem auf die Klassifizierung von Technologien innerhalb der grünen Taxonomie verwiesen wird.
- Verwässerung der Auswahlkriterien für strategische Projekte in puncto Produktionskapazitäten, Umweltverträglichkeit und Wettbewerbsfähigkeit.
- Einführung des Konzepts der Net-Zero Industry Valleys, in denen jedes (auch nicht-strategische) Projekt als Pojekte übergeordneten öffentlichen Interesses eingestuft werden kann. So können innerhalb von Schutzgebieten Industry Valleys errichtet werden.
- CCS: Keine Auflagen für die Nutzung von CO2-Abscheidung. Anstatt CCS ausschließlich für unvermeidbare CO2 Emissionen zu nutzen, soll mit dem NZIA ein neuer Markt für CCS geschaffen werden.
- Einführung des Ziels, nicht nur in der Lage zu sein, 40 % der erforderlichen Produktionskapazitäten der EU zu decken, sondern auch 25 % des Weltmarktanteils von Netto-Null-Technologien zu erreichen.
- 25 % der Einnahmen der Mitgliedstaaten aus dem EU-Emissionshandel (ETS) sollen für den NZIA verwendet werden.
Wie geht’s jetzt weiter?
Im November II Plenum wird über Änderungsanträge zur Position des Industrieausschusses abgestimmt und somit die Verhandlungsposition des EPs für die Trilogverhandlungen dem Rat beschließen.
Im Rat werden sich die EU-Botschafter*innen Ende November mit dem NZIA befassen.
Sobald die Mitgliedsstaaten sich auf ihre Verhandlungsposition geeinigt haben, können die interinstitutionellen Trilogverhandlungen beginnen.
Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag
Um welche Technologien geht es?
Die Versorgungssicherheit mit günstiger Energie ist der Schlüssel für die EU, global wettbewerbsfähig zu bleiben und im Rennen, um die Technologien der Zukunft ganz vorne mitzuspielen. Es geht also vor allem um die Technologien, die uns das schnelle Hochfahren der CO2-freien Energieträger und CO2-freien Produktion ermöglichen.
Die Kommission wird folgende Technologien vorgeschlagen:
- Solar (photovoltaik und thermal)
- Wind (on- und offshore)
- Wärmepumpen
- Technologien für grünen Wasserstoff
- Technologien für Netzausbau
- Energie-Speichertechnologien (einschließlich Batterien)
- Biogas
- Kohlenstoffabscheidung- und Speicherung.
Die Kommission will sich das Recht vorbehalten, die Liste der Netto-Null-Technologien durch einen delegierten Rechtsakt zu ändern. Allerdings können nur Technologien in die Liste aufgenommen werden, die eine gewisse technologische Reife vorweisen und zum Ziel beitragen, EU-weite Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55% im Vergleich zu 1990 zu verringern.
Wie sollen die Technologien in der EU gefördert werden?
- Sektor Ziele für EU Produktionskapazität bis 2030:
- 40% des jährlichen Einsatzes von Netto-Null Technologien soll durch heimische Produktion gedeckt sein:
- Solar PV: 30 GW
- Wind: 36 GW
- Wärmepumpen: 31 GW
- Batterien 550 Gwh, das entspricht 90% der abzusehenden Nachfrage
- Elektrolyseur (installierte) Kapazität: 100 GW
- Speicherkapazität für Kohlenstoffspeicher in der EU : 50 millionen Tonnen
- 40% des jährlichen Einsatzes von Netto-Null Technologien soll durch heimische Produktion gedeckt sein:
Bis Juni 2023 sollen Mitgliedstaaten ein Update ihrer nationalen Energie- und Klimapläne vorstellen. Darin sollen sie beschreiben, wie sie zu diesen Zielen beitragen.
- Beschleunigung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren:
- Für ausgewiesene “strategische europäische Klimaindustrieprojekte” soll das Genehmigungsverfahren nicht länger als 9 Monate dauern für Fabriken die eine jährliche Produktionsleistung von bis zu 1 GW habe, und 12 Monate für diejenigen, die eine Produktionsleistung über 1 GW pro Jahr haben. Wird innerhalb dieser Fristen keine Entscheidung verkündet, gilt das Projekt als genehmigt, außer eine Umweltverträglichkeitsprüfung steht noch aus.
- Für alle anderen Netto-Null-Technologien (die nicht den Status eines strategischen europäische Klimaindustrieprojektes haben) sollen Genehmigungsverfahren innerhalb 12 Monaten abgeschlossen sein, wenn die Produktionsleistung bis zu 1 GW ist - und 18 Monate bei einer Produktionsleistung von mehr als 1 GW.
- In Ausnahmesituation kann die 12 Monatsfrist um 1 Monat, und die 18 Monatsfrist um 2 Monate verlängert werden.
- Für den Ausbau bereits vorhandener Herstellungsstätten sind die oben genannten Fristen jeweils zu halbieren.
- Mitgliedstaaten müssen eine zentrale Anlaufstelle für alle Genehmigungsverfahren einrichten, die mit ausreichend qualifiziertem Personal ausgestattet sind. Alle Genehmigungsprozessen zu einem bestimmten Prozess müssen von einer alleinigen Stelle bearbeitet werden, um den Prozess für Projektträger*innen so einfach wie möglich zu gestalten.
- Ausweisung von Gebieten, die geeignet sind Kohlenstoff zu speichern:
- Mitgliedstaaten müssen auf ihrem Hoheitsgebiet Gebiete angeben, die für die Speicherung von Kohlenstoff in Frage kommen.
- Jeder Lizenzträger von Öl- oder Gasfeldern wird verpflichtet, zum EU-weiten Ziel beizutragen, 50 Millionen Tonnen Speicherkapazität bis 2030 bereitzustellen.
- Öl-und Gasfirmen sind also diejenigen, die Kohlenstoffspeicherung anbieten können.
- Nachhaltigkeits-und Widerstandsfähigkeit Kriterien in öffentlichen Ausschreibungen:
- Öffentliche Ausschreibungen für Netto-Null-Technologien müssen erstmals Nachhaltigkeits-und Resilienz-Kriterien erfüllen. Umweltverträglichkeit, Systemintegration für Energieträger und Versorgungssicherheit von Produkten, von denen bislang 65% aus einem einzigen Drittstaat importiert werden, sind die ausschlaggebenden Kriterien.
- Auch Auktionen für Erneuerbare müssen diese Nachhaltigkeits-und Resilienz Kriterien fortan berücksichtigen.
- Neue Institutionen zur Transformationsunterstützung:
- Die Europäische Netto-Null-Plattform soll nach dem Vorbild der Wasserstoff Plattform und der Solarplattform den Fortschritt in der Erreichung der Ziele beobachten. Sie berät die Kommission bezüglich weiterer Maßnahmen und der Anwendung der neuen Gesetzgebung.
- Europäische Netto-Null-Industrie-Akademien sollen Lern- und Trainings-Programme ausarbeiten, um Menschen für die Klima-Industrie auszubilden.
Grüne Forderungen
- EU-Transformationsfonds: Wir begrüßen den Schritt, die Produktionskapazitäten für die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft nun endlich nach Europa zu holen. Allerdings stehen uns dafür derzeit noch nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung. Staatshilfen ohne strenge Regelungen zur sozialen-und Umweltverträglichkeit könnten, statt die industrielle Basis in Europa zu stärken, den Binnenmarkt schwächen. Bislang fehlen sowohl neue europäische Finanzmittel als auch Regelungen, um private Investitionsströme in die richtigen Bahnen zu lenken. Um diese Investitionslücke zu schließen, brauchen wir einen EU-Transformationsfonds sowie eine Reform der Finanzpolitik und eine beschleunigte Umsetzung der Besteuerung von Produkten entsprechend ihrer Umweltverträglichkeit.
- Gezielt GRÜNE Technologien fördern: Wir sollten nicht mit der Gießkanne, sondern gezielt die Technologien zu unterstützen, die uns in dieser Dekade dabei helfen können, unseren CO2-Fußabdruck erheblich zu reduzieren: Solar-, Wind- und Wasserkraft, grüner Wasserstoff sowie Stromnetze und Energiespeicher. Weder Kernkraft noch Kohlenstoffspeicherung werden uns bis 2030 in irgendeiner Weise bei der Dekarbonisierung voranbringen können.
- Atomkraft ist teuer, der Bau eines neuen Kraftwerks dauert lange, ihre Einsatzfähigkeit während Extremwetterereignissen wie Dürre nicht verlässlich. Es gibt bis heute keine sicheren Langzeitspeicher für Atommüll, und Uranvorkommen sind auch sehr rar in Europa. Aus all diesen Gründen sollte Atomkraft keine Rolle in der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft spielen.
- Kohlenstoffspeicherung sollte nur für die Sektoren in Frage kommen, für die es keine technologische Alternative gibt, um ihre Emissionen zu vermeiden. Es ist grotesk, dass die Kommission Öl- und Gasfirmen die Kontrolle über Kohlenstoffspeicherung geben will. Sollen Öl- und Gasfirmen jetzt ein zweites Mal finanziell davon profitieren, dass sie fossile Brennstoffe aus geologischen Formationen herausgepumpt haben? Nein.
- Arbeitsrechts- und Sozialstandards als Förderkriterien: Es ist zu begrüßen, dass nun erstmals bei öffentlichen Ausschreibungen Umweltverträglichkeits-Kriterien berücksichtigt werden müssen. Allerdings wäre es noch besser gewesen, auch Arbeitsrechts- und Sozialstandards an die Förderungen zu knüpfen, wie es beispielsweise unter dem IRA in den USA der Fall ist.