EU-Klima-Industrie-Gesetz: Der große Wurf bleibt aus

Abstimmungsergebnis: 376 dafür, 139 dagegen, 116 Enthaltungen

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im EP, kommentiert die Plenarabstimmung des EU-Parlaments zur Position für das Klima-Industrie-Gesetz
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Mit diesem Gesetz haben wir gegen die USA keine Chance. Europa braucht eine echte Industriepolitik, die konkret die Ansiedlung von Fabriken fördert, die Solarzellen und Windräder produzieren. Der konservative Berichterstatter Ehler hat stattdessen einen Selbstbedienungsladen für die Atom- und Fossile Unternehmen gebaut. Der Schritt in die Vergangenheit weicht den Green Deal auf. Statt Investitionen in Zukunftsindustrien anzulocken, wirft Ehler mit beiden Händen die Subventionen zum Fenster raus.

Die USA und China investieren Milliarden in neue Fabriken und gute Jobs und die Konservativen geben schon auf, bevor das Wettrennen überhaupt begonnen hat.

 

ENGLISH

This loser law gives us no edge against the USA. Europe needs a real industrial policy that supports the creation of factories that produce solar cells and wind turbines. Instead, the conservative rapporteur Ehler has turned this into a free-for-all for the nuclear and fossil companies. This backward step undermines the Green Deal. Rather than attracting investments in future industries, Ehler is pouring subsidies down the drain.
The USA and China are investing billions in new factories and good jobs, while the conservatives are throwing in the towel before the race has even begun.

 

Hintergrund vom 20. November 2023

Plenarabstimmung zum Klima-Industrie-Gesetz

Am Dienstag, dem 21. November stimmte das Parlament über das Klima-Industrie-Gesetz ab. Es hat dabei den Bericht des Industrieausschusses bestätigt, der das Gesetz maßgeblich aufweicht.

Was ist das Klima-Industrie-Gesetz (Net Zero Industry Act)?

Das Netto-Null-Industrie-Gesetz (Net Zero Industry Act) wurde am 16. März von der EU-Kommission vorgeschlagen. Es soll die regulatorischen Rahmenbedingungen schaffen, die Klima-Industrie in der EU anzusiedeln.

Hauptinstrumente sind hierfür sektorielle Zielen von Kapazitätsaufbau und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren.

Eine weitere wichtige Komponente des Netto-Null-Industrie-Gesetzes ist der Status der  „strategischen europäischen Klimaindustrieprojekte“ (Net Zero Resilience Projects). Diese müssen Kriterien, wie zum Beispiel die Reduzierung von Abhängigkeiten von Drittländern für bestimmte Produkte oder das Setzen neuer Nachhaltigkeitsstandards, erfüllen, um als solche anerkannt zu werden.

Das Gesetz wurde als Antwort auf massive Subventionen, die in anderen Teilen der Welt den Netto-Null-Technologien in Aussicht gestellt werden, vorgeschlagen. Es geht also darum, sich einen Anteil des Marktes für Netto-Null-Technologien zu sichern, der bis 2030 einen jährlichen Wert von 600 Milliarden erreichen wird, und so dauerhaft Wohlstand in Europa zu garantieren. Gleichzeitig geht es darum, die Widerstandsfähigkeit und die Versorgungssicherheit der europäischen Wirtschaft sicherzustellen, damit Europa in er Zukunft nicht völlig abhängig von Technologie aus China oder anderen Teilen der Welt ist.

Das Gesetz signalisiert ein Umdenken der EU und die Bereitschaft, gezielte Industriepolitik zu betreiben.


Was hat das Parlament entschieden?

Der konservative Berichterstatter Ehler hat im Industrieausschuss gemeinsam mit Sozialdemokrat*innen und Liberalen folgende Änderungen am Kommissionsvorschlag vorgenommen. Die Änderungen wurden nun von einer Mehrheit des gesamten Parlaments bestätigt.

Förderung mit der Gießkanne anstelle von gezielter Industrieförderung

Das Parlament ändert die Logik des Kommissionsvorschlags. Statt europäisch eine begrenzte Liste an strategischen Netto-Null Technologien auszuschreiben, können Mitgliedstaaten individuell aus einer langen Liste an Technologien auswählen, welche sie im Rahmen des Klima-Industrie-Gesetzes fördern möchten. Außerdem fallen auch alle Materialien, Komponenten und Maschinen, die zur Herstellung einer der Technologien unabdingbar sind, unter das erweiterte Klima-Industrie-Gesetz. Atomkraft oder alternative Kraftstoffe könnten somit statt der Wind- und Solarindustrie unterstützt werden.

Die Auswahlkriterien, um als strategisches Netto-Null-Projekt zu gelten, will das Parlament auch aufweichen. Statt sowohl Nachhaltigkeit- als auch Resilienz-Kriterien erfüllen zu müssen, reicht es, nur noch eines der Kriterien zu erfüllen.

Einführung des Konzepts der Net-Zero Industry Valleys, in denen jedes Netto-Null-Projekt als „Projekt übergeordneten öffentlichen Interesses“ eingestuft werden kann. So können innerhalb von Schutzgebieten Industry Valleys errichtet werden und so Umweltstandards umgangen werden.

Das Parlament möchte Genehmigungsverfahren im Vergleich zum Kommissionsvorschlag noch beschleunigen. So sollen nun alle Netto-Null Projekte (nicht nur die als strategisch ausgewiesenen), innerhalb von 9 bzw. 12 Monaten (je nach Größe des Projekts) genehmigt werden (die Kommission hatte für nicht strategische Projekte 12 und 18 Monate vorgeschlagen).

Außerdem wird von einer stillschweigenden Zustimmung (auch in Betracht auf die endgültige Genehmigungsentscheidung) ausgegangen, wenn der Zeitrahmen von den Behörden nicht eingehalten wird. Sollte die Regelung so in Kraft treten, würde das bedeuten, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen im Zweifelsfalle nicht zufriedenstellend durchgeführt werden können.

Zusätzliche Zielsetzung

  • Zusätzlich zu dem Ziel, 40 % des Eigenbedarfs der EU durch interne Produktionskapazitäten zu decken, will das Parlament auch 25 % des Weltmarktanteils von Netto-Null-Technologien bis 2030 erreichen.
  • 25 % der Einnahmen der Mitgliedstaaten aus dem EU-Emissionshandel (ETS) sollen für den NZIA verwendet werden.

Öffentliche Ausschreibungen

Das Parlament stärkt die Regelungen bezüglich öffentlicher Ausschreibung. Zusätzlich zu den Nachhaltigkeits- und Resilienz-Kriterien sollen nun auch soziale Kriterien wie Arbeitsbedingungen und Weiterbildung eine höhere Gewichtung in öffentlichen Ausschreibungen bekommen.

Kohlenstoffabspaltung- und Speicherung

  • Das Parlament hat es nicht geschafft, strikte Auflagen für die Nutzung von CO₂-Abscheidung zu formulieren. Anstatt CCS ausschließlich für unvermeidbare CO₂ Emissionen zu nutzen, soll mit dem NZIA ein neuer Markt für CCS geschaffen werden. Anders als der Kommissionsvorschlag nimmt aber das Parlament Bezug auf den speziellen Bedarf von Industrien mit unvermeidbaren Emissionen. Falls diese nicht genug Zugang zu Speichern bekommen sollten, müsse eine neue Regelung gefunden werden.
  • Außerdem will das Parlament eine neue Regelung zu Transportinfrastruktur von Kohlenstoff einführen: Mitgliedstaaten sollen diese finanzieren.

Wie geht’s jetzt weiter?

Die Mitgliedstaaten wollen ihre Position am 7. Dezember annehmen. Daraufhin können Gespräche zwischen dem Parlament und den Mitgliedstaaten beginnen, um eine finale Einigung zu finden.

 

Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag

Um welche Technologien geht es?

Die Versorgungssicherheit mit günstiger Energie ist der Schlüssel für die EU, global wettbewerbsfähig zu bleiben und im Rennen, um die Technologien der Zukunft ganz vorne mitzuspielen. Es geht also vor allem um die Technologien, die uns das schnelle Hochfahren der CO2-freien Energieträger und CO2-freien Produktion ermöglichen.

Die Kommission wird folgende Technologien vorgeschlagen:

  • Solar (photovoltaik und thermal)
  • Wind (on- und offshore)
  • Wärmepumpen
  • Technologien für grünen Wasserstoff
  • Technologien für Netzausbau
  • Energie-Speichertechnologien (einschließlich Batterien)
  • Biogas
  • Kohlenstoffabscheidung- und Speicherung.

Die Kommission will sich das Recht vorbehalten, die Liste der Netto-Null-Technologien durch einen delegierten Rechtsakt zu ändern. Allerdings können nur Technologien in die Liste aufgenommen werden, die eine gewisse technologische Reife vorweisen und zum Ziel beitragen, EU-weite Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55% im Vergleich zu 1990 zu verringern.

Wie sollen die Technologien in der EU gefördert werden?

  • Sektor Ziele für EU Produktionskapazität bis 2030:
    • 40% des jährlichen Einsatzes von Netto-Null Technologien soll durch heimische Produktion gedeckt sein:
      • Solar PV: 30 GW
      • Wind: 36 GW
      • Wärmepumpen: 31 GW
      • Batterien 550 Gwh, das entspricht 90% der abzusehenden Nachfrage
      • Elektrolyseur (installierte) Kapazität: 100 GW
      • Speicherkapazität für Kohlenstoffspeicher in der EU : 50 millionen Tonnen

Bis Juni 2023 sollen Mitgliedstaaten ein Update ihrer nationalen Energie- und Klimapläne vorstellen. Darin sollen sie beschreiben, wie sie zu diesen Zielen beitragen.

Beschleunigung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren:

  • Für ausgewiesene “strategische europäische Klimaindustrieprojekte” soll das Genehmigungsverfahren nicht länger als 9 Monate dauern für Fabriken die eine jährliche Produktionsleistung von bis zu 1 GW habe, und 12 Monate für diejenigen, die eine Produktionsleistung über 1 GW pro Jahr haben. Wird innerhalb dieser Fristen keine Entscheidung verkündet, gilt das Projekt als genehmigt, außer eine Umweltverträglichkeitsprüfung steht noch aus.
  • Für alle anderen Netto-Null-Technologien (die nicht den Status eines strategischen europäische Klimaindustrieprojektes haben) sollen Genehmigungsverfahren innerhalb 12 Monaten abgeschlossen sein, wenn die Produktionsleistung bis zu 1 GW ist - und 18 Monate bei einer Produktionsleistung von mehr als 1 GW.
    • In Ausnahmesituation kann die 12 Monatsfrist um 1 Monat, und die 18 Monatsfrist um 2 Monate verlängert werden.
  • Für den Ausbau bereits vorhandener Herstellungsstätten sind die oben genannten Fristen jeweils zu halbieren.
  • Mitgliedstaaten müssen eine zentrale Anlaufstelle für alle Genehmigungsverfahren einrichten, die mit ausreichend qualifiziertem Personal ausgestattet sind. Alle Genehmigungsprozessen zu einem bestimmten Prozess müssen von einer alleinigen Stelle bearbeitet werden, um den Prozess für Projektträger*innen so einfach wie möglich zu gestalten.

Ausweisung von Gebieten, die geeignet sind Kohlenstoff zu speichern:

  • Mitgliedstaaten müssen auf ihrem Hoheitsgebiet Gebiete angeben, die für die Speicherung von Kohlenstoff in Frage kommen.
  • Jeder Lizenzträger von Öl- oder Gasfeldern wird verpflichtet, zum EU-weiten Ziel beizutragen, 50 Millionen Tonnen Speicherkapazität bis 2030 bereitzustellen.
  • Öl-und Gasfirmen sind also diejenigen, die Kohlenstoffspeicherung anbieten können.

Nachhaltigkeits-und Widerstandsfähigkeit Kriterien in öffentlichen Ausschreibungen:

  • Öffentliche Ausschreibungen für Netto-Null-Technologien müssen erstmals Nachhaltigkeits-und Resilienz-Kriterien erfüllen. Umweltverträglichkeit, Systemintegration für Energieträger und Versorgungssicherheit von Produkten, von denen bislang 65% aus einem einzigen Drittstaat importiert werden, sind die ausschlaggebenden Kriterien.
  • Auch Auktionen für Erneuerbare müssen diese Nachhaltigkeits-und Resilienz Kriterien fortan berücksichtigen.

Neue Institutionen zur Transformationsunterstützung:

  • Die Europäische Netto-Null-Plattform soll nach dem Vorbild der Wasserstoff Plattform und der Solarplattform den Fortschritt in der Erreichung der Ziele beobachten. Sie berät die Kommission bezüglich weiterer Maßnahmen und der Anwendung der neuen Gesetzgebung.
  • Europäische Netto-Null-Industrie-Akademien sollen Lern- und Trainings-Programme ausarbeiten, um Menschen für die Klima-Industrie auszubilden.
     

Grüne Forderungen

  • EU-Transformationsfonds: Wir begrüßen den Schritt, die Produktionskapazitäten für die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft nun endlich nach Europa zu holen. Allerdings stehen uns dafür derzeit noch nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung. Staatshilfen ohne strenge Regelungen zur sozialen-und Umweltverträglichkeit könnten, statt die industrielle Basis in Europa zu stärken, den Binnenmarkt schwächen. Bislang fehlen sowohl neue europäische Finanzmittel als auch Regelungen, um private Investitionsströme in die richtigen Bahnen zu lenken. Um diese Investitionslücke zu schließen, brauchen wir einen EU-Transformationsfonds sowie eine Reform der Finanzpolitik und eine beschleunigte Umsetzung der Besteuerung von Produkten entsprechend ihrer Umweltverträglichkeit.
  • Gezielt GRÜNE Technologien fördern: Wir sollten nicht mit der Gießkanne, sondern gezielt die Technologien zu unterstützen, die uns in dieser Dekade dabei helfen können, unseren CO2-Fußabdruck erheblich zu reduzieren: Solar-, Wind- und Wasserkraft, grüner Wasserstoff sowie Stromnetze und Energiespeicher. Weder Kernkraft noch Kohlenstoffspeicherung werden uns bis 2030 in irgendeiner Weise bei der Dekarbonisierung voranbringen können.
  • Atomkraft ist teuer, der Bau eines neuen Kraftwerks dauert lange, ihre Einsatzfähigkeit während Extremwetterereignissen wie Dürre nicht verlässlich. Es gibt bis heute keine sicheren Langzeitspeicher für Atommüll, und Uranvorkommen sind auch sehr rar in Europa. Aus all diesen Gründen sollte Atomkraft keine Rolle in der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft spielen.
  • Kohlenstoffspeicherung sollte nur für die Sektoren in Frage kommen, für die es keine technologische Alternative gibt, um ihre Emissionen zu vermeiden. Es ist grotesk, dass die Kommission Öl- und Gasfirmen die Kontrolle über Kohlenstoffspeicherung geben will. Sollen Öl- und Gasfirmen jetzt ein zweites Mal finanziell davon profitieren, dass sie fossile Brennstoffe aus geologischen Formationen herausgepumpt haben? Nein.
  • Arbeitsrechts- und Sozialstandards als Förderkriterien: Es ist zu begrüßen, dass nun erstmals bei öffentlichen Ausschreibungen Umweltverträglichkeits-Kriterien berücksichtigt werden müssen. Allerdings wäre es noch besser gewesen, auch Arbeitsrechts- und Sozialstandards an die Förderungen zu knüpfen, wie es beispielsweise unter dem IRA in den USA der Fall ist.