Neustart beim CO2-Handel droht Stilltstand

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen und Verhandlungsführer für die Grünen im EU-Parlament zum EU-Emissionshandel kommentiert den ersten Entwurf:

Vor lauter Kompromissen darf der Klimaschutz nicht auf der Strecke bleiben. Ein Flickenteppich an Ausnahmen und Abschwächungen eines Marktinstrumentes hilft weder dem Klimaschutz, noch dem Markt und der Industrie. Das ist keine gute Taktik.

Der Emissionshandel ist das mächtigste Instrument der EU-Klimapolitik, er ist zentral für den Kohleausstieg in Deutschland, doch der Entwurf sieht keine Verstärkung des Klimaschutzes vor.

Der Bericht adressiert nicht die fundamentalen Probleme des CO2-Markts. Seit Jahren werden viel mehr Verschmutzungsrechte ausgegeben, als verbraucht werden. Das ist ein milliardenschwerer Geschenkkorb an Klimaverschmutzer. Dieses Versagen muss angegangen werden, indem über 400 Millionen Tonnen CO2 direkt gelöscht werden, das wären rund dreimal so viel wie deutsche Kohlekraftwerke pro Jahr ausstoßen. Diesen Schritt müssen wir gehen, um handfesten Klimaschutz zu liefern. Ansonsten verzerrt das den Markt und schafft kaum Anreize, schnell in klimafreundliche Technologien zu investieren.

Peter Liese unterstützt mit seinem Vorschlag vor allem die Ideen von Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Das mag dort gut ankommen, aber am Ende fehlt der Industrie eine klare Ausrichtung und die Klimakrise nimmt weiter fahrt auf.

Hintergrund

Der wohl wichtigste Baustein des Fit For 55-Klimapakets der EU-Kommission wird die Reform des EU-Emissionshandels sein. Der Handel deckt ca. 40 % aller EU-Emissionen ab. Darunter fallen die Energiewirtschaft und die Industrie. Es ist ein Handelssystem für Berechtigungsscheine zum CO2-Ausstoß (CO2-Zertifikate). Wie funktioniert es? Es wird eine absolute Anzahl an Zertifikaten festgelegt, diese müssen ersteigert werden und können dann von den Martkteilnehmenden gehandelt werden. So entsteht ein CO2-Preis, der aktuell bei 80 Euro (Stand 12. Januar 2022) pro Tonne liegt.

Bislang sollen die CO2-Emissionen in den ETS-Sektoren um 43 Prozent bis zum Jahr 2030 fallen. Die Zahl soll sich laut dem neuen Ziel der EU-Kommission auf auf 62 Prozent erhöht werden.

Das steht im ersten Bericht zum EU-Emissionshandel

Gesamtbudget für ETS-Emissionen

  • Der Berichterstatter hat keine Änderungen bei der Zielsetzung für die Sektoren am EU-Kommissionsvorschlag vorgelegt.
    • Die Grünen/EFA werden eine erhebliche einmalige Reduzierung der Emissionszertifikate und eine Erhöhung des linearen Reduktionsfaktors vorschlagen, um das Klimabudget im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems mit dem Ziel in Einklang zu bringen, die globale Erwärmung unter 1,5°C zu halten.

Industrietransformation

  • Peter Liese, EVP, schlägt vor, dass Unternehmen, die keine fossilen Brennstoffe mehr verwenden, noch fünf Jahre lang kostenlose Zertifikate erhalten, um Anreize für diese bahnbrechenden Innovationen zu schaffen. Es wird eine neue Benchmark geschaffen, um neue Technologien wie Stahl auf Wasserstoffbasis einzubeziehen. Der Berichterstatter schlägt eine Klarstellung vor, um sicherzustellen, dass diese neue Benchmark tatsächlich spätestens am 1. Januar 2026 eingeführt wird.
  • Liese schlägt ein Bonus-Malus-System vor, um weitere Anreize für die Dekarbonisierung zu schaffen. Bei Anlagen, die über dem Benchmark liegen und keine Schritte zur Dekarbonisierung unternehmen, sollte die Anzahl der kostenlosen Zuteilungen um 25 % reduziert werden. Andererseits sollte ein Teil der leistungsstärksten Anlagen, die unter der Benchmark liegen, einen Bonus bei der kostenlosen Zuteilung erhalten können, gegebenenfalls auch durch die Verwendung alter Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve, die andernfalls hätten gestrichen werden müssen.
    • Die Grünen wollen, dass die kostenlosen Zertifikate bis 2025 durch die rasche Umsetzung des CO2-Grenzausgleichs abgeschafft werden. Anreize für die Dekarbonisierung der Industrie sollten am besten durch die Anwendung eines ehrgeizigen CO2-Preises für alle Industriesektoren geschaffen werden, nicht durch die Vergabe zusätzlicher kostenloser Zertifikate bzw. die Ausstellung eines neuen Blankoschecks. Dies würde ein massives Schlupfloch im EU-ETS schaffen.
  • Liese schlägt eine zeitlich begrenzte Reserve zum Schutz vor Verlagerung von CO2-Emissionen vor, in der freie Zertifikate, die bei der Einführung von CBAM abgezogen werden, aufbewahrt werden. Der Vorschlag sieht vor, dass die Zertifikate freigegeben werden, wenn der Schutz vor Verlagerung von CO2-Emissionen durch CBAM nicht gleich oder besser ist als durch die kostenlosen Zertifikate.
    • Nach Ansicht der Grünen ist dies äußerst problematisch, da die kostenlosen Zertifikate die Industriesektoren übermäßig geschützt haben, die in den letzten Jahren nur minimale Emissionsreduzierungen erzielt haben. CBAM sollte gleiche Wettbewerbsbedingungen für inländische und ausländische Hersteller schaffen und beiden einen Anreiz bieten, ihre Produktion zu dekarbonisieren.
  • Der Berichterstatter hat ein Schlupfloch eingefügt, um die Verwendung von Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) und Kohlenstoffabscheidung und -verwendung (CCU) zu fördern.
    • Seit 10 Jahren investieren wir Millionen von Euro, um diese Technik zu entwickeln – bisher ohne echte Erfolge. Das Geld soll für schnelle belastbare Dinge ausgegeben werden, wie die Erneuerbaren.


Zum 2. ETS für Gebäude und Verkehr

  • Peter Liese hat die Einführung des Emissionshandel für Verkehr und Gebäude ab 2025 (statt 2026) vorgeschlagen und eine Ausstiegsklausel bis 2027 für Kraftstoffe für den privaten Straßenverkehr und für die Beheizung von Wohngebäuden vorgeschlagen, wobei die Mitgliedstaaten nachweisen müssen, wie sie ihre Emissionsreduzierungen ohne Kohlenstoffpreise für diese Sektoren erreichen können.
    • Die Grünen stehen dem zweiten Emissionshandelssystem kritisch gegenüber. Es wird die schwächsten Haushalte hart treffen, ohne ihnen konkrete Alternativen zu bieten, wie sie ihre Energie- und Verkehrskosten durch den Umstieg auf erneuerbare Energien oder emissionsfreie Mobilität senken können, und wird kaum Auswirkungen auf die Reduzierung der Emissionen in diesen Sektoren haben.

Müllverbrennung

  • Peter Liese schlägt vor, dass ab 2028 auch für die Verbrennung von Abfall gelten soll. Die Menge der ausgestoßenen Treibhausgase ist vergleichbar mit den Emissionen von 13,4 Kohlekraftwerken pro Jahr. Die derzeitige Ausnahmeregelung für die Verbrennung von Abfällen in Anhang I der Emissionshandelsrichtlinie (2003/87/EG) konterkariert somit die schnelle Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft und die Bemühungen um den Klimaschutz. CE Delft kommt in seiner Studie über die möglichen Auswirkungen der Einbeziehung der Abfallverbrennung in das ETS zu dem Schluss, dass ein solcher wirtschaftlicher Anreiz zu einer Abfallreduzierung von bis zu 5 bzw. 25 % für Haushalte und Unternehmen führen könnte.
    • Die Grünen unterstützen daher die Einbeziehung von Abfällen, die jedoch sofort gelten sollte. Es gibt keinen Grund, Müllverbrennungsanlagen weiterhin von der Zahlung des vollen Preises für ihre Emissionen zu befreien, auch nicht für weitere 3 - 4 Jahre.

Finanzierung

  • Peter Liese schlägt vor, dass anstelle von 2,5 % zusätzlicher Einnahmen, die dem Modernisierungsfonds zugeführt und an die zehn einkommensschwächeren EU-Mitgliedstaaten verteilt werden sollen, 1,25 % für die Finanzierung von Regionen gehen, die von der Transformation besonders beeinträchtigt sind (Lausitz z.B.) / Regionen der NUTS-Ebene 3) zur Verfügung gestellt werden und 1,25 % der Gesamtmenge der Zertifikate dem Innovationsfonds zugeführt werden sollen.
  • Obwohl die kostenlose Zuteilung für den Energiesektor im Jahr 2013 ausgelaufen ist, nutzen drei Mitgliedstaaten weiterhin die übergangsweise kostenlose Zuteilung für den Energiesektor gemäß Artikel 10c. In einem aktuellen Bericht kam der Europäische Rechnungshof zu dem Schluss, dass dies nicht zur Dekarbonisierung des Stromsektors in diesen Mitgliedstaaten beigetragen hat. Daher sollte diese Übergangsbestimmung beendet werden, aber die betroffenen Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, diese Zertifikate für andere Zwecke zu behalten, entweder um sie zu versteigern oder um Investitionen im Rahmen des Modernisierungsfonds zu unterstützen.
    • Die Grünen fordern jegliche potenzielle Unterstützung für den grünen Übergang in den mittel- und osteuropäischen Ländern sollte strikt an die Verpflichtung dieser Länder geknüpft sein, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen und bis spätestens 2050 in ihren Ländern Klimaneutralität zu erreichen. Projekte für fossile Brennstoffe oder Kernenergie sollten nicht unterstützt werden.

Schiffsverkehr

  • Durch die Vorverlegung des geplanten Termins für die vollständige Anwendung des Emissionshandels für den maritimen Sektor um ein Jahr, von 2026 auf 2025, werden rund 57 Millionen Zertifikate verfügbar, die ansonsten nach dem Kommissionsvorschlag gelöscht worden wären.
    Die Grünen unterstützen die sofortige Einführung des Sektors, da bereits Daten und ein System zur Erfassung der Emissionen aus dem Seeverkehr vorliegen.
  • Darüber hinaus schlägt Liese vor, dass die Kommission die Auswirkungen anderer Treibhausgase bewerten soll, die ähnliche oder sogar schlimmere Auswirkungen auf das Klima haben.
    • Nach Ansicht der Grünen sind die Auswirkungen dieser Treibhausgasemissionen bekannt und sollten unverzüglich berücksichtigt und in das ETS einbezogen werden.
  • Liese hat den Standpunkt des Europäischen Parlaments zur Einrichtung eines Ozeanfonds zur Förderung von Innovationen in der Schifffahrtsindustrie aufgenommen. Jedoch hat er keine spezifische Zuweisung für die Verbesserung der biologischen Vielfalt vorgesehen.
    • Das Parlament hatte sich für 20 % für die biologische Vielfalt ausgesprochen.
  • Liese schlägt außerdem vor, dass die Kommission mit Drittländern bilaterale Abkommen über Treibhausgasemissionen abschließt, so dass die Treibhausgasemissionen des gesamten Seeverkehrs (derzeit werden nur 50 % einer Fahrt zwischen einem EU-Mitgliedstaat und einem Drittland erfasst) durch das ETS abgedeckt sind.
    • Die Grünen wollen, dass 100 % der Fahrten durch das ETS abgedeckt werden.

Das fordern die Grünen im EU-Parlament zum Emissionshandel      

  • Bis 2026 die Abschaffung der freien Verschmutzungszertifikate bei gleichzeitiger Einführung eines CO2-Grenzausgleichmechanismus sowie Klimaverträge (Carbon Contracts for Difference) für Grüne-Industrieproduktion;    
  • Bis 2023 eine signifikante Reduktion der überschüssigen Zertifikate und eine neue Obergrenze festzulegen, um den Verlauf bis 2030 für die Industrie verträglich zu gestalten und Schockmomente für die Industrie zu verhindern;    
    Einen Mindestpreis von 60 Euro im bestehenden Emissionshandel, um den Kohleausstieg bis 2030 zu garantieren;    
  • Wir sehen den zweiten Emissionshandel kritisch, da dieser bislang nicht sozial abgefedert ist, kaum Lenkungswirkung beim Klima aufzeigen wird und frühestens 2026 einsatzbereit wäre.

Das will die EU-Kommission

  • Bislang sollen die CO2-Emissionen in den ETS-Sektoren um 43 Prozent bis zum Jahr 2030 fallen. Die Zahl soll auf auf 62 Prozent erhöht werden;
  • Der lineare Reduktionsfaktor soll von 2,2 auf 4,2 Prozent steigen. Das heißt, jedes Jahr werden 4,2 Prozent weniger CO2-Zertifikate auf den Markt kommen. Einmalige Reduktion ist nicht spezifiziert, wird so sein, als ob LRF von 4,2% bereits seit 2021 gelten würde. Im Jahr 2050 werden keine Zertifikate mehr ausgeteilt;
  • Die Industrie bekommt bisher ihre Zertifikate, ohne dafür zu Zahlen. Diese freien Zuteilungen sollen bis zum Jahr 2036 auslaufen. Nach der aktuellen ETS-Verordnung enden die kostenlosen Zertifikate 2030. Ab 2026 werden die kostenlosen Zertifikate um 10 Prozent pro Jahr reduziert, um 2036 eine 100 prozentige Abschaffung zu erreichen;
  • Für Sektoren, die nicht unter CO2-Grenzausgleich (siehe unten) fallen, wird eine schwache Konditionalität eingeführt, um weiterhin einen Teil ihrer kostenlosen Zertifikate zur Verbesserung der Energieeffizienz von Anlagen zu erhalten.

Das will die EU-Kommission im Emissionshandel für Verkehr und Gebäude

  • Die Kommission schlägt einen zweiten Emissionshandel für Transport und Gebäude vor, der ab 2026 eingeführt werden soll;
  • Der lineare Reduktionsfaktor wird für 2026 - 2028 auf 5,15 Prozent und nach 2028 auf 5,43 Prozent festgelegt;
  • Der Innovationsfonds wird um 150 Millionen Zertifikate aufgestockt, die aus dem neuen ETS für Transport und Gebäude stammen werden. Das bedeutet, dass die Verbraucher für den Übergang in der Industrie und im Energiebereich zahlen.