Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Greens/EFA kommentiert den Gasnotfall-Plan der EU-Kommission:
Die EU-Kommission scheint bereits im Sommerurlaub zu sein, anders kann man sich diese mutlosen Vorschläge in dieser existenziellen Energiekrise nicht erklären. Ausgerechnet der verantwortliche Sozialdemokrat und Kommissar Frans Timmermans zeigt sich auf dem sozialen Auge blind. Wir brauchen mehr Mut, um auf die nie dagewesene Herausforderung für den Zusammenhalt der Europäischen Union zu reagieren.
Millionen von Haushalten stehen vor der existenziellen Frage, wie sie ihre Gasrechnungen bezahlen sollen. Dazu braucht es jetzt einen Schutzschirm. Die Menschen brauchen Geld, um die horrenden Energiekosten tragen zu können. Es braucht für den Winter ein europäisches Energiegeld.
Die warme Mahlzeit am Tag oder eine erträgliche Temperatur in der Wohnung sollten nicht infrage gestellt werden, wenn das Strom oder Gas abgestellt wird. Hier kann die Kommission für den Winter ein Moratorium erlassen, ansonsten zerreißt es den Zusammenhalt gegen Putin und innerhalb der Europäischen Union.
Um auf die extreme Lage zu reagieren, kann dieser Plan höchstens ein Anfang sein. Die EU-Kommission muss nachsitzen machen, damit Putin Europa im Winter nicht erpressen kann. Denn mit diesem Plan hat sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht.
Hintergrund vom 20. Juli 2022 zum Gasnotfall-Plan der EU-Kommission
Im März 2022 veröffentlichte die EU-Kommission ihre RePowerEU-Mitteilung, in der sie ihre Vision für den Ausstieg aus der Abhängigkeit von russischen Energieimporten darlegte. Im Mai 2022 schlug sie einen RePowerEU-Plan mit Gesetzestexten vor, um aus den russischen fossilen Brennstoffen auszusteigen und ihre Versorgungssicherheit zu stärken. In diesem Plan schlug die Kommission vor bis 2027 vollständige Energieunabhängigkeit von Moskau zu erreichen.
Den Rückgang der Gaslieferungen aus Russland bezeichnet die EU-Kommission als "bewussten Versuch darstellt, Energie als politische Waffe einzusetzen". Die Lieferungen Russlands an die baltischen Staaten, Polen, Bulgarien und Finnland wurden eingestellt. Die Lieferungen nach Deutschland, Dänemark, in die Niederlande und nach Italien wurden reduziert, und die Ströme durch Nord Stream 1, die größte Importroute in die EU, wurden um 60% gekürzt. Bislang wurde dies durch verstärkte LNG-Einfuhren kompensiert, doch diese Strategie hat ihre Grenzen. Die LNG-Importe waren in der ersten Jahreshälfte 2022 um 60% höher als im Vorjahr und erreichten zwischen 11 und 13 Mrd. m³ pro Monat, was nahe an der maximalen derzeitigen Importkapazität der EU liegt.
Der Krieg in der Ukraine und der Einsatz von Energie durch Russland als politische Waffe verschärfen das ohnehin schon schwierige Umfeld der hohen Energiepreise (seit dem letzten Winter). Die Mitgliedstaaten diskutieren immer wieder darüber, wie sie mit den hohen Preisen umgehen sollen, lation beiträgt und die Gefahr eines weiteren wirtschaftlichen Abschwungs in Europa birgt.
Der Plan der EU-Kommission beinhaltet folgende Punkte
Empfehlungen zum Gas-Sparen
- Heizen und Kühlen: Die Kommission fordert die Mitgliedsstaate dazu in öffentlichen Gebäude, Büros, Geschäftsgebäude die Heiztemperatur im Winter auf 19°C und die Kühltemeratur im Sommer auf 25°C zu begrenzen. Aus dem Text geht nicht eindeutig hervor, welche Gebäude darunter fallen würden (und wie man dies zu einer Verpflichtung machen könnte).
- Umstellung auf andere Brennstoffe: Die Kommission empfiehlt die vorübergehende Verwendung von Kohle und einen kurzen Weiterbetrieb von Kernkraftwerken. Staatliche Beihilfen für die Brennstoffumstellung können gewährt werden (dies ist bereits nach den geltenden Vorschriften möglich).
- Anreize für die Industrie Gas zu sparen: Die Kommission schlägt Auktionen oder Ausschreibungssystemen vor, um Anreize für eine Verringerung des Verbrauchs von industriellen Verbrauchern zu schaffen. Diese sollen Ausgleichsgeldzahlungen erhalten für ein Verringerung des Gasverbrauchs.
- Informationskampagnen zum Thema Heizen und Kühlen: Die Verbraucher sollen darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie nach Möglichkeit mit dem Gassparen beginnen sollten. Diese Maßnahme ist in den Notfallplänen vieler Mitgliedstaaten bereits in der Frühwarnphase vorgesehen. Die Idee ist, alle Verbraucher, Haushalte und Industrie gleichermaßen, zu sensibilisieren, aber auch konkrete und praktische Beispiele zu geben, wie der Gasverbrauch z. B. durch Verhaltensänderungen gesenkt werden kann.
- Stärkere Governance zur Gewährleistung von Koordinierung und Solidarität: Die Idee ist, einer bestehenden Struktur (der EU-Energieplattform) eine stärkere Rolle zu geben, um den Informationsaustausch und eine bessere Überwachung der Gaseinsparungen in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten.
Richtschnur wie mit der Industrie in einer Gasmangellage umzugehen ist
- Die Kommission schlägt nicht verbindliche Leitlinien vor, wie die Gaslieferungen an nicht geschützten Verbrauchergruppen in einer Krisensituation reduziert werden kann. Hier legt sie vier Kriterien fest, die am längsten versorgt werden sollen:
- Gesellschaftliche Bedeutung: Sektoren oder Industrien, die für das reibungslose Funktionieren der Gesellschaft strategisch wichtig sind. (z. B. Gesundheit, Sicherheit und Verteidigung, Sicherheit und Umwelt, Lebensmittel, zentrale Industrien für die Wirtschaft)
- Grenzüberschreitende Lieferketten: Sektoren oder Industrien, die grenzüberschreitend tätig sind und Waren und Dienstleistungen für das reibungslose Funktionieren der Gesellschaft auf EU-Ebene bereitstellen. Eine Industrie könnte nicht überlebenswichtig für ein Mitgliedsland sein, aber zentrale Vorprodukte für eine überlebenswichtige Industrie in einem anderen Mitgliedsland liefern.
- Sektoren oder Industrien, in denen das Potenzial für eine Umstellung von Erdgas auf andere Brennstoffe am größten ist, sollten als erstes umstellen.
Schäden an Anlagen: Wenn der Ausfall von Erdgas bestimmte Fabriken oder Anlagen unwiederbringlich zerstört, sollten diese so lange es möglich ist mit Erdgas beliefert werden, so dass die Anlagen nicht irreparabel beschädigt werden.
- Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten außerdem auf, die wirtschaftlichen Auswirkungen/Bedeutung bestimmter Sektoren zu berücksichtigen. Sie fügt zum Beispiel hinzu:
- Auf drei Sektoren (Glas, Keramik und Chemie) entfällt etwa die Hälfte des gesamten industriellen Gasverbrauchs, während sie 10 % des industriellen Mehrwerts generieren.
- Eine ähnliche Analyse der kumulierten Zahl der Beschäftigten zeigt, dass die gasintensivsten Industriesektoren (Chemie, Glas, Nichteisenmetalle und Keramik) nur einen geringen Anteil aller Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe beschäftigen. Umgekehrt beschäftigen die am wenigsten gasintensiven Sektoren (Maschinenbau, Fahrzeugbau und Holz/Holzprodukte) - oft die arbeitsintensivsten Sektoren - die Hälfte der Beschäftigten des verarbeitenden Gewerbes, verbrauchen aber etwa 10 % des gesamten industriellen Gasverbrauchs.
Kritikpunkte von Grünen im Europaparlament
Soziales
- Die EU bereitet sich nicht auf die soziale Krise vor, die durch die enormen Gas und Energiepreise auf Bürger*innen zukommt. Hierzu muss die EU Kommission schnell Vorschläge erarbeiten. Diese könnten zum Beispiel umfassen:
- Ein europäisches Energiegeld für vulnerarble Haushalte, damit diese ihre Energiekosten bezahlen können.
- Ein Moratorium für Gas- und Stromsperren für Haushalte im Winter, so dass niemand Angst haben muss zu frieren, auch wenn die Rechnungen nicht mehr bezahlt werden können.
- Ein Moratorium für Mietkündigungen.
EU Einkaufspolitik
- Käuferkartel Gas: Die EU muss sich mit anderen G7-Ländern zusammentun und einen Höchstpreis für Gas festlegen, über welchem Sie nicht mehr einkaufen.
- Die EU Staaten können sich zusammentun und so einen Höchstpreis gegenüber Gazprom durchsetzen, so dass die EU nicht mehr mit unglaublichen Summen das Putin Regime finanziert.
Eine Reform EU Gas-Notfall-Verordnung
- Verbindliche Ziele zum Absenken des Gasverbrauchs für alle Mitgliedsländer.
- Ein Mechanismus, der Mitgliedsländer belohnt, wenn sie besonders viel Gas einsparen. Bisher gibt es dazu keine Anreize. Wer besonders viel Gas einspart, muss die Möglichkeit bekommen, seine Industrie zum Teil weiter mit Gas zu versorgen.