Ohne Investitionen keine Zukunft für Europa

Michael Bloss, klima- und industriepolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, kommentiert die Draghi-Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union. Der Draghi- Bericht wurde heute vorgestellt. Darin enthalten sind 70 Vorschläge um die Wirtschaft Europas zu stärken.

Wir müssen endlich beginnen in die Zukunft zu investieren, sonst geht die Wirtschaft in Deutschland und Europa den Bach runter. Der Weckruf von Mario Draghi wiederholt, was der Weltwährungsfonds und beinahe alle Wirtschaftswissenschaftler*innen schon festgestellt haben: Ohne Investitionen verliert Europa und Deutschland den Anschluss an China und die USA.

Der Bericht hat eine deutliche Botschaft an Deutschland: Das dogmatische Festhalten an der Schuldenbremse durch CDU und FDP ist die größte Wachstumsbremse für die deutsche Wirtschaft. Wenn Wasser durchs kaputte Dach rein tropft, muss man das Dach reparieren, nicht weiter sparen, sonst geht das Fundament kaputt. So ist es mit der europäischen Wirtschaft. Wettbewerbsfähigkeit heißt, Geld in die Hand nehmen und die kaputten Schienen, Strom- und Wärmenetze, Brücken ausbessern.

Damit die Energiekosten sinken, müssen wir weg von Kohle, Öl und Gas. Die Abhängigkeit vom Gas treibt Wohnkosten in die Höhe und schadet sowohl dem Stahlwerk als auch dem Handwerksbetrieb. Die günstigeren Preise von heimischen Erneuerbaren müssen endlich bei den Bürger*innen ankommen und das gelingt nur, wenn wir uns konsequent vom Gas verabschieden.

Wirklich beeindruckend ist das Werk Draghis allerdings nicht. Die konkreten Vorschläge entpuppen sich zum Teil als ungeeignete Ideen aus der Mottenkiste. Mini-Atomkraftwerke, um die Energiekosten zu senken oder E-Fuels für die Automobilindustrie sind realitätsfremd und helfen nicht weiter. Von den neuen Kommissarinnen erwarte ich Ideen dazu, wie Sonnen- und Windkraft ausgebaut werden können und Europa endlich genug eigene Batterien produziert, damit die europäische Autoindustrie den Anschluss an die E-Mobilität wiederfindet.

 

Die Analyse

Mario Draghi wurde letztes Jahr von Kommissionspräsidentin von der Leyen beauftragt, einen Bericht zum Stand der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zu schreiben. Der Ökonom ist ehemaliger Premierminister Italiens und war Chef der Europäischen Zentralbank zwischen 2011 und 2019. Sein heute erschienener Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit Europas folgt auf den Enrico Letta Bericht, der von den Staats- und Regierungschefs Europas in Auftrag gegeben und bereits im April diesen Jahres vorgestellt wurde. Draghi’s Bericht kommt in einem wichtigen Moment, indem die neue “Regierung” der EU geformt wird. In zwei Tagen, am Mittwoch den 11. September soll von der Leyen die Kandidati*innen für ihr neues Regierungskabinett, die europäischen Kommissar*innen vorstellen. Beide Berichte sollen wegweisend für die neue Legislatur Periode sein. Der Draghi Bericht in ist zwei Teile aufgeteilt: Eine Wettbewerbsstrategie für die EU und eine ausführliche Analyse von zehn Wirtschaftssektoren nebst konkreten Handlungsvorschlägen für jeden Sektor.


Eine Wettbewerbsstrategie für Europa:

Strategische Investitionen in unsere Wirtschaft

Der Bericht unterstreicht die Notwendigkeit, jährlich 800 Milliarden zusätzliche Investments in die europäische Wirtschaft zu mobilisieren, sowohl durch die Vervollständigung der Kapitalmarktunion als auch durch mehr und besser genutzte europäische Gelder. Zum Vergleich: China hat 2023 eine ähnliche Summe allein in den Cleantech-Sektor investiert.

Klar wird laut des Berichts: Es braucht mehr gemeinsames Geld braucht, und die Nutzung von EU-Geldern muss zielgerichteter und einfacher gestaltet werden, um unsere europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Zu diesem Zweck spricht sich der Bericht nachdrücklich für gemeinsame Schulden aus und erläutert, wie diese die Kapitalkosten auf dem internationalen Markt senken und internationale Investments in die europäische Wirtschaft anziehen könnten. Allerdings wird keine konkrete Zahl oder Größenordnung für solche gemeinsamen Schulden genannt. Vielmehr konzentriert sich der Bericht auf sektorspezifische EU- Finanzierungsprogramme, die gezielt privates Kapital in europäische Projekte lenken sollen.

 

Europa muss die Transition zu einer klimaneutralen und sozial gerechten Gesellschaft als Chance nutzen

Der Bericht erkennt zwar die Chancen, Europas Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen durch Eigenproduktion von sauberen Strom zu ersetzen, allerdings zählt er hier genauso auf Atomenergie wie auf Erneuerbare. Er verdeutlicht die technologische Vorreiterrolle Europas in sauberen Technologien wie Windenergie, Elektrolyseuren und alternativen Kraftstoffen. Mehr als ⅕ von sauberen und nachhaltigen Technologien werden in Europa entwickelt. Doch fehlt es an den nötigen Investitionen, sodass die Produktion solcher Technologien oft ins Ausland, vor allem in die USA, verlagert wird.

Schließlich betont der Bericht die Notwendigkeit, einheitliche Weichen in Europa zu stellen und die Dekarbonisierung gemeinsam anzugehen. Was es braucht, ist also ein zusammenhängendes und umfassendes Konzept, um unsere Wirtschaft klimaneutral umzustellen. Bisher bemängelt der Bericht ein zweierlei fragmentiertes Vorgehen: Zum einen verfolgt jeder Mitgliedstaat seine eigene Industriestrategie und tritt damit individuell gegenüber Drittstaaten auf. Zum anderen ist die europäische Gesetzgebung fragmentiert, ohne einen klaren Plan darüber, wie alle Sektoren zur Dekarbonisierung beitragen sollen. Zudem fehlt eine Einigkeit darüber, welche Ressourcen und Technologien notwendig sind, um den Übergang zu einer klimaneutralen, widerstandsfähigen und sozial gerechten Gesellschaft zu ermöglichen.

Draghi rät davon ab, Europa pauschal nach außen abzuschotten, wie es die USA zuweilen tut. Bei manchen Technologien könnte das die Kosten für die Energiewende beispielsweise drastisch steigern und es könnte außerdem harte Gegenmaßnahmen von internationalen Wettbewerbern wie China auslösen, gegen welche die europäische Wirtschaft schlechter gewappnet ist als die amerikanische. Draghi warnt gleichzeitig auch vor übermäßiger Naivität und empfiehlt, jeden Sektor individuell und gezielt zu prüfen, um dort, wo es nötig ist, Handelsbarrieren einzusetzen, die den Schutz der lokalen Wirtschaft sicherstellen.

 

Detailanalyse einzelner Wirtschaftssektoren

Im Bericht werden die folgenden zehn Wirtschaftssektoren analysiert: Energie, kritische Rohstoffe, Digitalisierung und Spitzentechnologie, energieintensive Industrie, saubere Technologien, den Automobilsektor, Verteidigung, Raumfahrt, Pharmaindustrie und Transport. In meiner Analyse werde ich mich auf die Bereiche Energie und den Automobilsektor konzentrieren.

 

Energie

Hohe und volatile Energiepreise stellen eine massive Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit Europas dar. Die Gaspreise liegen hier drei- bis fünfmal höher als in den USA, und auch die Stromkosten sind aktuell zwei- bis dreimal so hoch wie in den USA und China.

Der Bericht macht den Mangel an Energieressourcen in der EU als Hauptursache aus. Allein im Jahr 2023 beliefen sich die fossilen Energieimporte der EU auf satte 416 Milliarden Euro – Gelder, die wesentlich besser in Infrastruktur, Bildung oder Forschung investiert gewesen wären. Hohe Steuern und Netzentgelte sind ein weiterer Grund für die hohen Preise. Im Jahr 2022 wurden in der EU insgesamt rund 200 Milliarden Euro an Steuern und Netzentgelten erhoben.

Der Bericht erkennt zwar die Vorteile der Dekarbonisierung, schlägt jedoch keine konkreten Maßnahmen zur Beschleunigung der aktuellen Pläne vor. Er sieht auch die Notwendigkeit für massive Investments nicht nur im Netzausbau, sondern auch in der Beschleunigung von Produktionskapazitäten. Gleichzeitig wird der mögliche Nutzen neuer Atomkraftwerke erwähnt, allerdings ohne eine umfassende Kosten-Nutzen-Analyse bereitzustellen. Besonders die im Vergleich zu erneuerbaren Energien deutlich höheren Kosten von Atomkraft werden kaum thematisiert.

 

Automobilsektor

Obwohl Europa historisch eine starke Vorreiterrolle im Automobilsektor innehat, zeigt der Bericht klar, dass diese Position zunehmend in Gefahr gerät. Zwischen 2017 und 2022 sank die Anzahl exportierter Fahrzeuge um 16 %. Gleichzeitig drängt China verstärkt auf den europäischen Markt und war 2022 bereits für 14 % der importierten Autos verantwortlich. Besonders auffällig ist dabei der Anstieg des Marktanteils chinesischer Fahrzeuge im Bereich der Elektroautos: 2023 machten chinesische Modelle 15 % der in Europa verkauften Elektroautos aus.

Der Bericht nennt mehrere Gründe für diese Entwicklung: Eine fragmentierte EU Gesetzgebung, die der Bericht als nicht immer Zielführend bemängelt und eine zu langsame Transition des Sektors hin zu mehr softwaregesteuerten, intelligenten und elektrischen Fahrzeugen. Dem gegenüber steht Chinas hoch koordinierte Strategie, die gesamte Wertschöpfungskette zu berücksichtigen, um zum globalen Marktführer im Bereich Elektrofahrzeuge zu werden. Statt jedoch konkrete Maßnahmen zur Beschleunigung dieser dringend nötigen Transition in Europa vorzuschlagen, fokussiert sich der Bericht stark auf die Vorzüge alternativer Kraftstoffe, was die zentrale Herausforderung der Elektrifizierung des Sektors nur unzureichend adressiert.