Hintergrund
Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine hat der Europäischen Union schmerzlich gezeigt, wie groß die Abhängigkeit zu Russland bei Kohle, Öl, Gas und Uran ist. Die Zahlen sind ernüchternd. Bis zu Kriegsbeginn importierte die EU 50% ihres fossilen Bedarfs aus Russland. Und das kostet Milliarden – jede Woche. Anders gesagt: Seit Kriegsbeginn hat die EU über 50 Milliarden Euro nach Russland für eben jene Energieträger überwiesen.
Das will die EU-Kommission ändern. Während die jeweiligen Wirtschafts- oder Energieminister*innen unter hohem Druck ihre nationale Abhängigkeit bereits jetzt versuchen zu reduzieren, sitzt der EU das beschlossene Kohle- und Öl-Embargo der EU im Nacken und zwingen sie, ihren Plan auch durchzuziehen. Gleichzeitig will sie rasch aus der russischen Gas-Abhängigkeit aussteigen und die Erneuerbaren stärken. Der Plan der Kommission dafür lautet “RePowerEU”. Dieser soll am 18. Mai 2022 vorgestellt werden. Im Vorfeld haben EU-Energieminister*innen in einem Brief an die EU-Kommission und Michael Bloss unter anderem einen Solar-Act für den Booster bei Produktion und Ausbau der Solarenergie gefordert.
Der Plan der EU-Kommission gliedert sich wie folgt (unten finden Sie den Leak als Dokument):
- Vorschlag zum beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren
- Eine Solar-Strategie
- noch zur Debatte, ob es eine Solarpflicht oder einen Wiederaufbauplan der EU-Solarindustrie gibt,
- noch zur Debatte, wie das finanziert werden soll,
- es sollen präzise Ziele zum Ausbau der Solarenergie beschlossen werden, die aber nach heutigen Informationen noch viel zu niedrig sind.
- Ein Energiesparplan
- Um den Gasverbrauch zu senken, will die Kommission
- Energie sparen
- Die Lieferkette diversifizieren
- mehr Erneuerbare ausbauen
- neue Infrastruktur
- Ein Wasserstoffplan mit zwei delegierten Rechtsakten
- Ein Aktionsplan für Biomethan
- Eine internationale Energiestrategie
Das sieht konkret wie folgt aus
- Die Kommission will bis 2028 über 300 GW an Photovoltaikanlagen installieren. Das wäre doppelt so viel wie heute aber viel weniger als der 1 Terawatt den die Industrie bis 2030 zu schaffen glaubt.
- Dies will sie mit einer “European Solar Rooftop Initiative” schaffen und die Mitgliedsländer dazu auffordern, mehr in Wärmepumpen, Geo- und Solarthermie zu investieren, sowie eine Solarpflicht für Neubauten soll eingeführt werden.
- Zudem soll eine “EU Solar Industry Alliance” geschaffen werden.
- Die EU-Kommission will einen Vorschlag für eine Gesetzesinitiative zum Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit im Binnenmarkt schaffen. Mit Blick auf Solarzellenproduktion aus bspw. Xinjiang, wo Uiguren unterdrückt werden, würde das in letzter Konsequenz eine Rückkehr der Solarindustrie bedeuten.
- Die EU-Kommission will in neuen Analysen (Impact Assessments) ihre sogenannten “Fit for 55” -Vorschläge von Juli 2021 prüfen, ob sich das verbindliche Ziel in der Energieeffizienz-Richtlinie von 9% auf mindestens 13% erhöhen lässt (EED).
- Die EU-Kommission will im Zuge der Richtlinie über erneuerbare Energien das Ausbauziel bis 2030 von 40% auf 45% erhöhen (RED II).
- Im Zuge der EPBD-Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäude soll es ein Subventionsverbot für fossile Heizkessel bis 2025 geben und die jährliche Mindestquote zur Energieeinsparung soll von 1,5 auf 2% steigen.
- Zudem sollen die Genehmigungsverfahren zum Ausbau der Erneuerbaren in der Energie-Richtlinie beschleunigt werden (Ebenfalls EPBD).
- Die EU-Kommission will zwei Delegierte Rechtsakte über die Definition und Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff vorstellen.
- Die EU-Kommission will den Gas-Preis notfalls deckeln bzw. den Mitgliedsländern diesen Schritt erlauben. Spanien und Portugal haben dies bereits getan. Sie sagt aber auch selbst, dass dieser Schritt “erhebliche Summen” kosten wird.
- Die EU-Kommission will eine “EU Energy Platform”, um Einkauf von Gas, LNG und Wasserstoff zu bündeln.
- Bis 2028 oder 2030 soll es eine Steigerung der Biomethanproduktion auf 35bcm geben.
- Die EU-Kommission will den Innovation Fund bis Herbst verdoppeln. Das Geld soll aus dem ETS kommen.
- Laut EU-Kommission sollen dadurch rund 100 Milliarden Euro eingespart werden (80 Milliarden Gas, 12 Milliarden Öl und rund 2 Milliarden Kohle)
Ist das genug, um aus der Gas-Falle herauszukommen?
Jaein. Die EU-Kommission hat richtig erkannt, dass die Abhängigkeit zum fossilen Gas – vor allem aus Russland – ein extrem teures und geopolitisches Problem ist. Nationale Alleingänge der letzten Jahre, wie bei Nord Stream 2, zeigen, wieso zu lange aufs falsche Energie-Pferd gesetzt wurde.
Im März hat der IPCC eine erhebliche Verringerung des Gesamtverbrauchs fossiler Brennstoffe gefordert, wenn wir das 1,5-Grad-Klimaziel noch einhalten wollen. Das Risiko globaler verlorener Vermögenswerte in Reserven und Infrastruktur fossiler Brennstoffe wurde bis 2050 auf über ein bis vier Billionen US-Dollar geschätzt. Wir sind also in eine Ära strukturell hoher Preise und anhaltender Risiken im Zusammenhang mit der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen eingetreten. Das zeigt sich auch wie folgt:+
Seit dem 24. Februar liegt der Tages-Vorpreis an Europas wichtigsten Gasgroßhandelsmarkt, der niederländischen Title Transfer Facility (TTF), bei durchschnittlich 112 Euro pro Megawattstunde (MWh). Im gleichen Zeitraum im Jahr 2021 lag der Durchschnittspreis bei 19 €/MWh – was einem Anstieg von 490% entspricht.
In der Folgenabschätzung der EU-Kommission für das Fit For 55-Klimapakets wurden Gaspreise für 2025 und 2030 verwendet, die jetzt 270% bzw. 70% unter den aktuellen Marktpreisen für diese Jahre liegen. Bei diesen höheren Preisniveaus könnte Gas die EU im Jahr 2025 zusätzlich 120 Milliarden kosten.
Die durchschnittlichen Gaskosten für 2022 liegen derzeit voraussichtlich bei 98 €/MWh. Wenn die Preise so hoch bleiben, könnte Gas die EU im Jahr 2025 zusätzlich 315 Milliarden Euro und im Jahr 2030 250 Milliarden Euro kosten.
Die oben genannten Einsparungen im “RePowerEU”-Paket wollen zwar die Abhängigkeit zu Russland um zwei Drittel senken, aber die langfristigen Einsparungen beim Gas verlieren dadurch zum Teil ihren Fokus. Was fehlt:
- ein Solar-Act mit einer Solarpflicht, dem Wiederaufbau der europäischen Solarproduktion und eine konkrete Finanzierung dessen sowie dem Ziel innerhalb der Renovierungswelle, 70 Millionen Solardächer bis 2030 zu etablieren. Das geht mit:
- der Verankerung der Solarpflicht in der Richtlinie für erneuerbare Energien und die Richtlinie für Energieeffizienz.
- der Finanzierung des Wiederaufbaus der europäischen Solarproduktion durch die “Wichtigen Projekts von Gemeinsamen Europäischen Interesse“ (IPCEI).
- eine klare Finanzierung des gesamten Solarplans durch den “European Renewable Energy Financing Mechanism” sowie eines Mandats für die EIB zur Finanzierung der Installation von erneuerbaren Energien sowie die Produktion von Solar- und Windkraft zu unterstützen.
In einem Brief der EU-Energieminister*innen an die Kommission wird dies unter anderem gefordert. Ziel muss es sein, den Ausbau der Erneuerbaren und Stärkung der Energieeffizienz zu fokussieren. Nur so können wir aus der Gas-Falle kommen und Europas Energiesouvernität aufbauen.