Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Greens/EFA und Verhandlungsführer für die Grünen im Umweltausschuss, kommentiert die COP27 in Scharm el-Scheich, Ägypten:
Diese Klimakonferenz darf kein Desaster werden. Schaffen wir keinen Durchbruch beim Ende der fossilen Subventionen, Klimazielen, die das Pariser Klimaabkommen wirklich einhalten oder der Klimafinanzierung für besonders von der Klimakrise stark betroffenen Ländern, wird das ein Scheitern mit Ansage. Klimakommissar Frans Timmermans ist hier gefragt, der aber wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheint.
Wie beim Corona-Wiederaufbaufonds brauchen wir einen Schulterschluss beim Ausbau der Erneuerbaren und Energieinfrastruktur. Dazu zähle ein milliardenschweres Investitionsprogramm in den Standort "Made in Europe" bei den massiven Investitionen in Solar- und Windindustrie und in grünem Stahl und Zement. Der finanzielle Doppelwumms für die EU werde die Bürgerinnen und Bürger, kleine und mittlere Unternehmen entlasten und ist der Weg in die klimaneutrale Wirtschaft. Dies vor der Klimakonferenz bekannt zu geben, wäre ein notwendiges Zeichen in Zeiten, in denen nationale Interessen einmal mehr die weltweite Klimakrise überschatten.
Forderungen der Grünen im EU-Parlament
- Einrichtung einer Loss and Damage-Facility, wie sie auch die Entwicklungsstaaten fordern.
- Hier blockieren die EU-Mitgliedsländer und werden aller Voraussicht nach der EU-Kommission kein Mandat dafür geben.
- Die Erhöhung der Klimaziele auf mindestens 65 Prozent bis 2030.
- Mit REPowerEU und dem aktuellen Verhandlungsstand beim Fit for 55-Klimapaket sind wir bereits bei deutlich über 55 Prozent. Eine Zielerhöhung hätte starken Symbolwert und wäre technisch ohne Probleme umsetzbar.
- Einen EU-Energiefonds, der unter anderem die Erhöhung der Ziele finanzieren wird.
Was ist die COP eigentlich und was wurde letztes Jahr erreicht?
Die „Conference of the Parties“ (COP) ist die globale Klimakonferenz, bei der die Länder der Welt globale Maßnahmen für mehr Klimaschutz diskutieren und beschließen. 195 Vertragsstaaten, welche die UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) 1992 in Rio de Janeiro unterzeichnet haben kommen auf der alljährlich von den Vereinten Nationen (UN) ausgerichteten Konferenz zusammen. Dieses Jahr ist Ägypten das Gastgeberland, die COP27 wird vom 7. bis 18. November in Scharm al-Scheich stattfinden.
Zwei COPs, waren bisher wegweisend für den globalen Klimaschutz: Aus der 3. COP in Japan ging das Kyoto-Protokoll hervor, eine erstmalige Verpflichtung der Industrienationen, vorrangig aus dem globalen Norden, zu völkerrechtlich verbindlichen Zielwerten für den Ausstoß und die Begrenzung von Treibhausgasen. Ein weiterer Durchbruch in der internationalen Klimapolitik wurde 2015 auf der 15. COP in Paris erreicht. Mit dem Pariser Klimaabkommen verpflichten sich die Staaten auf eine Begrenzung der Erderwärmung möglichst unter 2°C. Seitdem geht es alljährlich um die Frage, wie genau dieses Ziel erreicht werden kann.
Die letztjährige 26. COP in Schottland endete mit dem Klimapakt von Glasgow. Darin sind u.a. festgehalten:
- Das erneute Bekenntnis zu den Pariser Klimazielen,
- die Einleitung des globalen Kohleausstiegs,
- die Verpflichtung zur Beendigung von “inefficient fossil fuel subsidies”, sowie
weitere Vereinbarungen zur Reduzierung der internationalen Abholzung, Finanzierung fossiler Brennstoffe in Übersee, Senkung der Methanemissionen, - sowie das Ende des Verbrennungsmotors.
Wo stehen wir mit den globalen Emissionen: Der aktuelle NDC-Report gibt Auskunft
In Scharm el-Scheich soll es nun verstärkt darum gehen, die Glasgow-Ziele in konkrete Maßnahmen zu gießen, wenn sich im November die Staaten der Welt in Ägypten treffen. Dabei sind die Regierungen seit Paris dazu verpflichtet mindestens im 5-Jahrestakt, im Vorfeld einer Klimakonferenz, den nationalen Emissions-Bericht, die sogenannten NDCs (National Determined Contributions), einzureichen. Hier zeigt sich, was an den Zielvorgaben und Versprechungen der Regierungen konkret dran ist.
Mit der aktuellen globalen Klimapolitik steuern wir auf eine globale Erwärmung um 2,5 bis 2,9 Grad hin. Mit den NDCs bedacht, also den Zielen bzw. Versprechen der Regierungen, wären es 2,4 Grad. Angesichts der katastrophalen Folgen von nur aktuell 1,2°C Erwärmung, müssen die Ziele also ehrgeiziger werden.
Für die EU-Klimapolitik schrammen wir laut Climate Action Tracker an einem 2 Grad-Ziel vorbei. Für die 27. Auf der Klimakonferenz muss also nachgelegt werden.
Welche Rolle spielt das Fit For 55-Klimapaket der EU-Kommission?
Für das Nachlegen des europäischen Reduktionsziels ist das Fit for 55-Klimapaket der größte Hebel. Am 25. Oktober werden die EU-Umweltminister*innen der EU das Mandat für die COP geben. Hier stellt sich die Frage: Wird es eine Zielerhöhung für 2030 geben? In einem Schreiben aus dem August hieß es noch: Ziele können nur erhöht werden, wenn die Verhandlungen zum Fit for 55-Paket abgeschlossen sind. Es bahnt sich also keine Erhöhung an, denn die Verhandlungen zum gesamten Paket sind noch lange nicht beendet.
- Beim EU-Emissionshandel (ETS), dem wichtigsten Klima-Hebel der EU, hat gerade erst der erste politische Trilog begonnen. Ergebnis: Nichts. Bis Ende des Jahres werden sich die Verhandlungen ziehen, für die COP bedeutet das: es wird keine Zielerhöhungen geben. Der zweite Trilog ist erst am 10. November geplant.
- Für die Social Climate Fund und den CO2-Grenzausgleich (CBAM) bedeutet das zwangsläufig: kein Ergebnis vor der COP, denn sie sind eng mit dem ETS verzahnt.
- Bei den CO2-Standards für Pkws, der Landnutzung (LULUCF) und bei der Lastenaufteilung zwischen den Mitgliedsländern (Effort Sharing) scheinen Deals zum greifen nahe.
- Kommt es zum Ende der Verhandlungen vor der COP, könnte die EU theoretisch ihre Ziele erhöhen. CAN Europe hat bereits durchscheinen lassen: Mit LULUCF und REPowerEU wäre eine Lohnerhöhung auf 60 Prozent theoretisch machbar.
Welchen Einfluss hat die Energiekrise auf die COP27?
Bislang haben es die Regierungen weltweit versäumt, ihre Energieversorgung von fossilen Brennstoffen auf Erneuerbare umzustellen. Im Gegenteil: Gerade erleben wir einen globalen Goldrausch, ausgelöst durch Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Auf den Märkten reißen sich die Staaten und Unternehmen um Kohle und Öl, aber vor allem: Erdgas. So hat die britische Premierministerin Liz Truss vor erst kürzlich ein Moratorium aufgehoben, das seit 2019 keine neuen Bohrungen für Fracking-Gas mehr zuließ, während auch in Deutschland der Ruf nach heimischem Fracking lauter wird. 2021 haben sich die fossilen Subventionen der OECD-Staaten im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.
Zwar unterzeichneten noch in Glasgow mehrere EU-Mitgliedstaaten eine Erklärung zur internationalen öffentlichen Unterstützung des Übergangs zu sauberer Energie. Doch wir schlittern mitten hinein in ein weiteres kohlenstoffreiches Jahrzehnt – und das, obwohl wir gerade jetzt die Weichen für die CO2-Neutralität stellen müssten. In der Konsequenz scheint das im Pariser Abkommen festgelegte 2-Grad-Limit – und darüber müssen wir sprechen, denn 1,5 ist längst vom Tisch - in weite Ferne gerückt. Auch mit Blick auf den globalen Stromsektor, einen der größten Emittenten, kristallisiert sich ein weiteres zentrales Problem heraus, das in der COP27 aufgegriffen werden muss: Die Renaissance der Kohle.
Denn die Kohleverstromung stieg bereits 2021 (!) um 9,0 Prozent, auf ein neues Allzeithoch von insgesamt 36 Prozent der globalen Stromerzeugung, Tendenz für 2022 trotz Glasgower Klimapakets: steigend. Der Krieg in der Ukraine hat nun viele Mitgliedsländer dazu veranlasst, Kohleverstromung kurzfristig zu verlängern und als billige Alternative zu Gas nutzbar zu machen. Putin hat die Pläne der EU zunichtegemacht, die billiges russisches Gas als "Brücke" zwischen hochgradig umweltschädlicher Kohle und grünen erneuerbaren Energien einsetzen wollten.
Zudem haben sich beim Glasgower Klimapakt zur Erklärung zum Kohleausstieg China, Indien und die USA – die Top 3 der Kohlenationen – nicht verpflichtet.
Hoffnungsvoll stimmt einzig der Anteil der Erneuerbaren, denn Wind- und Solarenergie erzeugten 2021 zum ersten Mal mehr als ein Zehntel (10,3 Prozent) des globalen Strombedarfs, d.h. der globale Anteil hat sich in sechs Jahren gegenüber 2015 verdoppelt. Hier müssen wir in Scharm el-Scheich ansetzen und die Erneuerbaren voranbringen. Als Europäische Union haben wir mit REPowerEU neue Ziele zum Ausbau vorgelegt. 45 Prozent Erneuerbare bis 2030 sind ein erster Schritt.
Wo stehen wir bei der Beendigung der fossilen Subventionen?
Ein weiteres zentrales Thema für die diesjährige COP in Scharm el-Scheich: Das Ende der fossilen Subventionen. Tatsächlich verpflichtete sich die EU wiederholt, die öffentliche Finanzierung fossiler Brennstoffe auslaufen zu lassen, jedoch sind wir davon weit entfernt. Der IWF beziffert die Summe der 2020 global gezahlten Subventionen für Produktion und Verbrennen fossiler Energieträger mit 11 Millionen US Dollar pro Minute, das sind aufs Jahr gerechnet 5.9 Billionen Dollar. Kürzlich konnten sich die europäischen Energieminister:innen darauf einigen, Übergewinne abzuschöpfen und an Europas Bürger:innen auszuzahlen. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, aber nur ein Tropfen auf dem 11 Billionen Dollar heißen Stein und kein Ende der fossilen Subventionen. Diese werden laut Investigate Europe auf 137 Milliarden pro Jahr (Zahlen 2020) geschätzt. Mit einem Preisdeckel für Gas uvm. sind wir hier vermutlich bei deutlich mehr.
Wo stehen wir bei Loss & Damage Verhandlungen und was ist von Scharm el-Scheich zu erwarten?
“Der Unterschied zwischen 2 und 1,5 Grad bedeutet für uns das Todesurteil”, meinte der maledivische Umweltminister nach der COP26 in Glasgow. Die Malediven stehen beispielhaft für die Regionen und Menschen, die von der Klimakrise am heftigsten getroffen sind, obwohl sie am wenigsten dazu beigetragen haben. Seit Jahren wird über eine angemessene finanzielle Entschädigung dieser Staaten verhandelt. Die Frage nach Kompensation ist dabei schon längst keine ideologische mehr, sondern mittlerweile auch eine rechtliche.
Beispielsweise haben sich Bewohner*innen der Torres-Strait-Inseln im Pazifik vor Kurzem das Recht auf Entschädigung vom australischen Staat erstritten. Es erscheint also kaum verwunderlich, dass die Forderungen nach Reparation immer lauter werden. Im Vorfeld haben zahlreiche afrikanische Regierungen die Industrieländer an ihre Verantwortung erinnert. Auch das Gastgeberland Ägypten kündigte an, dass finanzielle Unterstützung der Entwicklungsländer bei der diesjährigen COP ganz oben auf der Tagesordnung stehen muss.
Lange wurde schon in Glasgow verhandelt, wie sehr der Norden in die Pflicht genommen werden kann, es sperrten sich v.a. die USA und die EU. Die Verhandlungen beim Thema Loss & Damage sind dabei langwierig und zäh, denn zum einen steht die Frage im Raum, wie viel die Staaten konkret zahlen müssen. Führt man sich die Kosten der Flutkatastrophe von Ahrweiler mit über 3 Milliarden Euro vor Augen - eines einzigen durch die Klimakatastrophe verstärkten Ereignisses - bekommt man eine Dimension davon, um wie viel Geld es hier geht und tatsächlich fordern die betroffenen Staaten Billionen. Zum anderen muss festgehalten werden, für welche Ereignisse überhaupt entschädigt werden soll. Denn wie soll man festellen wie viel Anteil die Klimakrise an den Extremwetterereignisse hat um ihnen einen konkreten Reparationspreis aufzudrücken?
Aber auch politisch ist die Debatte heikel, denn zu den Empfängernationen gehört China, dessen historische Emissionen zwar gering sind. Als größter CO2-Emittent mit Abstand stellt sich aber die Frage, inwieweit nicht auch China in die Pflicht genommen werden sollte. Jedoch und trotz aller Schwierigkeiten in den Verhandlungen haben die Industrieländer 2009 angekündigt, von der Klimakrise besonders betroffene Staaten ab 2020 mit jährlich 100 Milliarden US-Dollar Klimafinanzierung zu unterstützen. Dieses Vorhaben ist jedoch gescheitert. Erste ehrgeizige Schritte hat nun Dänemark unternommen und einen Fonds mit 100 Millionen Euro für Entschädigungszahlungen im nationalen Haushalt angelegt.
Wird Scharm el-Scheich ein Erfolg?
"In Scharm el-Scheich müssen wir Fortschritte bei den in Glasgow eingegangenen Verpflichtungen sehen", sagte EU-Kommissar Frans Timmermans dem Guardian. Und Timmermanns hat recht, wir müssen, und zwar jetzt oder nie. Dies wird auf der diesjährigen COP27 wohl so schwer wie noch nie. Denn nicht nur die Energiekrise und die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, sondern auch diplomatische Konflikte überschatten die Verhandlungen. Der Konflikt in Taiwan hat eine drastische Verschlechterung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen zur Folge, während Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine Russlands Außenbeziehungen auf Niveau des Kalten Kriegs zurückwirft.
Doch wir erleben auch globales Momentum beim Thema fossile Subventionen. Dieses gilt es auf der COP in Ägypten zu nutzen, denn mit der Beendigung der Subventionen und dem konsequenten Ausbau der Erneuerbaren kann uns die Energiewende gelingen. Kohle mag als billiger Ausweg aus der gegenwärtigen Energiekrise erscheinen, doch eine Renaissance müssen wir um jeden Preis verhindern. Dabei kommt der EU eine Sonderrolle zu, die wir nutzen müssen, auch beim schwierigen Thema nach Kompensationszahlungen. Denn am Ende können wir der Klimakrise nur gemeinsam und global ein Ende setzen, und dafür muss jedes Land am selben Strang ziehen.