Michael Bloss, zuständiger Berichterstatter der Grünen im Europäischen Parlament analysiert den Brief von Bundeskanzler Friedrich Merz an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen:
Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, kommentiert dazu:
Das ist ein Totalschaden für die E-Mobilität. Die Bundesregierung verschafft dem Verbrennungsmotor de facto einen Freifahrtschein – auf Kosten von Innovation, Klimaschutz und der heimischen Industrie. So entsteht kein Zukunftsmarkt, sondern Chaos und Unsicherheit. Das schwächt den Standort Europa und gefährdet Arbeitsplätze.
Die Forderungen aus dem Brief würden die europäische Gesetzgebung komplett entkernen. Die Sozialdemokratie hat offensichtlich nichts durchgesetzt, sondern den Klimaschutz verraten.
Gemeinsam mit dem von der EU-Kommission gestern vorgeschlagenen CO₂-Preisdeckel im Verkehrssektor bedeutet das faktisch das Ende wirksamer Klimapolitik im Verkehr. Diese Bundesregierung sendet das fatale Signal: Klimaschutz spielt für sie keine Rolle mehr.
Schnellanalyse des Briefes
Effizienzmythen: Der „hocheffiziente Verbrenner“ ist eine Illusion
In dem Brief von Bundeskanzler Friedrich Merz zu den CO₂-Flottengrenzwerten der EU wird der Begriff des „hocheffizienten Verbrennungsmotors“ ins Spiel gebracht, doch dieser Begriff ist wissenschaftlich nicht definiert und führt in die Irre. Selbst modernste Otto- und Dieselmotoren stoßen an physikalische Grenzen.
Aktuelle wissenschaftliche Studien zeigen sehr deutlich: Verbrennungsmotoren verschwenden den größten Teil der Energie, die im Kraftstoff steckt, während Elektroautos diese Energie viel effizienter nutzen. In realen Fahrten kommt bei Benzin- und Dieselautos nur etwa ein Fünftel bis ein Drittel der Energie tatsächlich auf der Straße an – der Rest geht als Wärme verloren (Serrano-Guevara et al. 2025; Albatayneh et al. 2020). Elektroautos nutzen dagegen rund zwei- bis dreimal so viel der eingesetzten Energie, weil ihr Antrieb viel einfacher ist und kaum Wärmeverluste hat. Praktische Vergleichsfahrten zeigen zusätzlich, dass E-Autos im Alltag etwa 70 % weniger Energie brauchen als vergleichbare Verbrenner (Braun & Rid 2017). Und selbst wenn man die Energie für die Batterieherstellung mitrechnet, bleibt das E-Auto insgesamt das effizienteste Antriebssystem (Kosai et al. 2018).
Plug-in-Hybride: Die CO₂-Schummelei auf vier Rädern
Auch bei Plug-in-Hybriden (PHEV) zeigt sich ein deutlicher Widerspruch zwischen Theorie und Praxis. Daten von Tausenden von Fahrzeugen belegen, dass PHEVs im Durchschnitt nur 19 Prozent weniger CO₂ pro Kilometer ausstoßen als konventionelle Benzin- und Dieselfahrzeuge. Diese Diskrepanz bleibt auch bei der Betrachtung des gesamten Lebenszyklus bestehen (ICCT). Zum Vergleich: Batterieelektrische Fahrzeuge verursachen bis zu 73 Prozent weniger Emissionen als Benziner. Der Klimanutzen von BEVs ist also mehr als doppelt so hoch wie der von PHEVs, die nur 30 Prozent weniger Emissionen aufweisen.
Zudem will die Koalition am sogenannten Utility Factor (UF) schrauben, der bei Plug-in-Hybriden den angenommenen Anteil elektrisch gefahrener Kilometer festlegt - natürlich zugunsten der Verbrenner. Derzeit wird der UF mit 84 Prozent für den Zeitraum 2021 bis 2023 angesetzt. Die Daten zeigen jedoch, dass der reale Anteil der Nutzung des Elektromotors nur bei 27 Prozent liegt. Die derzeitige Berechnung verzerrt die Realität massiv und verhindert eine längst überfällige Korrektur. Eine Beibehaltung dieses Werts würde den Hochlauf der Elektromobilität deutlich ausbremsen. Hersteller müssten nur 45 Prozent batterieelektrische Fahrzeuge verkaufen, statt 58 Prozent nach aktueller Berechnung. Wer sich strategisch auf PHEVs konzentriert, könnte sogar mit einem BEV-Anteil von nur 32 Prozent durchkommen.
E-Fuels und Biokraftstoffe: Teuer, ineffizient, klimaschädlich
Die Beimischung von E-Fuels wird häufig als Lösung für klimaneutrale Mobilität dargestellt, doch die Realität sieht anders aus. Unter Berücksichtigung der Gesamtbetriebskosten kostet der Betrieb eines Fahrzeugs mit E-Fuels über fünf Jahre rund 10.000 Euro mehr als ein batterieelektrisches Fahrzeug. Auch beim Betrieb von Gebrauchtwagen mit E-Fuels liegt der Mehraufwand bei etwa 10.000 Euro (T&E). Hinzu kommt: Synthetische Kraftstoffe setzen bei der Verbrennung vergleichbar viele CO₂-Emissionen frei wie fossile Kraftstoffe. Nur wenn sie mit 100 Prozent erneuerbarem Wasserstoff und aus der Luft abgeschiedenem CO₂ (Direct Air Capture) hergestellt werden, könnten sie klimaneutral sein. Solche Verfahren existieren bisher jedoch nicht im marktfähigen Maßstab (T&E).
Noch dramatischer ist die Klimabilanz traditioneller Biokraftstoffe. Die globale Produktion von Biokraftsroffen stößt laut T&E im Durchschnitt 16 Prozent mehr CO₂ aus als die fossilen Kraftstoffe, die sie ersetzen sollen. Zudem werden rund 3.000 Liter Wasser benötigt, um 100 Kilometer mit Biokraftstoffen zurückzulegen. Angesichts zunehmender Wasserknappheit durch die Klimakrise ist das ein massives Problem. Darüber hinaus tragen Biokraftstoffe erheblich zur Verteuerung von Agrar- und Lebensmittelpreisen bei, mit Beiträgen von 20 bis 30 Prozent zu früheren Preisschocks und langfristigen Preisaufschlägen im ein- bis zweistelligen Prozentbereich.
Regelwirrwarr: Fuel-Crediting und die Aufweichung der Flottenziele
Ein weiteres Einfallstor für Greenwashing ist die Idee, Emissionen durch die Anrechnung von Kraftstoffen in den CO₂-Flottengrenzwerten zu kompensieren. Das sogenannte Fuel-Crediting untergräbt die klare Trennung zwischen Fahrzeug- und Kraftstoffregulierung. Während die Flottengrenzwerte die Effizienz, Antriebstechnologie und Elektrifizierung von Neuzulassungen regeln, werden Emissionen auf Kraftstoffseite über RED (Renewable Energy Directive) und FQD (Fuel Quality Directive) reguliert. Fuel-Crediting würde beides vermischen, mit erheblichen Folgen. Es droht eine systematische Doppelzählung der gleichen CO₂-Einsparung in zwei Regelsystemen. Gleichzeitig entstehen neue Schlupflöcher und Betrugsanreize, da die Emissionsfaktoren entlang komplexer Lieferketten schwer kontrollierbar sind, etwa durch gefälschte Angaben bei angeblich recyceltem Frittieröl („Used Cooking Oil“).
Noch absurder ist der Vorschlag, die Emissionen der gesamten Pkw-Flotte, also inklusive des Bestands, in die Flottenregulierung einzubeziehen. Die CO₂-Flottengrenzwerte dienen gezielt der Steuerung von Neuzulassungen, um die Verkehrswende voranzutreiben. Eine Verwässerung dieses Instruments würde den klimapolitischen Kompass der EU verlieren lassen.
Keine Ausreden: Das 2030er-Ziel ist machbar, wenn man es politisch will
Die Forderung nach einer Flexibilisierung des CO₂-Ziels für 2030 verkennt die Realität. Die technischen Kapazitäten sind vorhanden, was fehlt, ist die politische Gestaltung der Nachfrage - zum Beispiel über die Begrünung von Unternehmensflotten, ein Bonus-Malus-System bei der Kfz-Steuer oder Kaufboni für Menschen mit geringem Einkommen. Wer jetzt die Regulierung aufweicht, riskiert nicht nur das Erreichen der Klimaziele, sondern auch die Zukunftsfähigkeit der europäischen Autoindustrie.