Staatliche Beihilfen: Heizen unsere Billionen das Klima an?

Insgesamt wurden bislang von den Mitgliedsstaaten der EU mit Stand 3. Juni 2,88 Billionen Euro an staatlichen Beihilfen im Rahmen der Rettungsmaßnahmen genehmigt.

In ihrer am 8. Mai veröffentlichten Mitteilung über den befristeten Rahmens für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19, bestätigt die EU Kommission, dass es keine verpflichtenden grünen Kriterien für nationale staatliche Beihilfen gibt. Der Mitteleinsatz wird dem Mitgliedsland selbst überlassen. In der Erklärung der Kommission heißt es:

Darüber hinaus steht es den Mitgliedstaaten frei, nationale Maßnahmen zu konzipieren, die weiteren politischen Zielen entsprechen, wie etwa einer wirksameren Förderung des ökologischen und des digitalen Wandels ihrer Volkswirtschaften oder der Verhinderung von Betrug, Steuerhinterziehung oder aggressiver Steuerumgehung.

Damit hat Vestager die Verantwortung der nationalen Ebene überlassen. Der befristete Rahmen gilt bis Ende 2020. Die bislang freigegebenen 2,88 Billionen Euro können in alle Richtungen fließen. Selbst wenn einige Länder die Unternehmen enger an die Klima-Zügel nehmen, kann dies durch kontraproduktive Maßnahmen anderer konterkariert werden. Der Europäische Green Deal läuft so Gefahr, von nationaler Ebene durchlöchert zu werden.

Auch die 750 Milliarden aus dem Recovery Fund in Zuständigkeit der Kommission sind nicht grün. Zwar ist das “do not harm”-Prinzip vorgesehen und auch sollen 25 Prozent in Klimainvestitionen laufen, doch weder ist das “do not harm”-Prinzip per Gesetz verankert worden, noch sind die 25 Prozent Klimainvestitionen annähernd ausreichend. Das Europäische Parlament fordert hier mindestens 30 Prozent.

Hinzu kommt, dass die Europäische Zentralbank bereits zwischen Mitte März und Mitte Mai 2020 circa 7,6 Milliarden Euro in Anleihen von fossilen Energien (beispielsweise E.ON) gesteckt hat – aufgrund der Corona-Krise.

Warum Konditionalitäten von Seiten der EU so wichtig sind, zeigt die Bundesregierung in ihrem jetzt vorgestellten Konjunkturpaket. Dies hat lediglich ein grünes Mäntelchen, wie ich in einem Thread bei Twitter zusammengefasst habe.

Margrethe Vestager rechtfertigt derweil den Verzicht auf grüne Kriterien mit dem Verweis auf die EU Verträge (Artikel 107), die als Grundlage für die Entscheidung für staatliche Beihilfen im Corona-Zusammenhang gelten. Um genau zu sein: Die Kommission wird nur eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen, um dem Beihilfeantrag stattzugeben, oder nicht. So wird ein Dividendenverbot begründet. Kann ein gerettetes Unternehmen Dividenden zahlen, war die staatliche Beihilfe nicht notwendig.

Umwelt-, Sozial- oder Klimabedingungen werden im Verhältnismäßigkeitstest nicht angelegt. Eine Differenzierung zwischen grünen Unternehmen und anderen, wie sie die Union für die Klassifikation von nachhaltigen Investitionen in der sogenannten Taxonomie festgelegt hat, sind im geltenden Notfallartikel nicht verankert. Die angewandte Einschränkung auf die Behebung einer ernsthaften Störung in der Wirtschaft ist ungeeignet um globale Störungen wie den Klimanotfall oder die Biodiversitätskrise zu berücksichtigen.

Diese Situation verdeutlicht die Regulierungslücke im europäischen Rechtsrahmen. Zentrale Grundlagen wie das Europäische Klimagesetz, welches die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens mit einem Datum für die Klimaneutralität der Union, die Anpassung der Klimaziele für 2030 und die Anpassung öffentlicher und privater Finanzierungsmittel an die Klimaziele adressiert, ist noch in den Verhandlungen. Mehr dazu hier. Auch wenn im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments schon Berichtsentwürfe vorliegen, wird ein Abschluss erst mit Ende des Jahres erwartet.

Rechtlich verpflichtet haben sich die Mitgliedstaaten in Artikel 2(b) des Pariser Klimaabkommens bereits vor über fünf Jahren zu etwas anderem. Seit dem gilt für jeden Mitgliedsstaat, dass  “…die Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung.” Wie an den nationalen Rettungspaketen ersichtlich, wird diese Verpflichtung derzeit noch nicht erfüllt.

Bis auf weiteres werden Billionen Gelder freigegeben und die Schulden der Mitgliedsländer steigen. Investitionsvolumina, die in den nächsten Jahren nicht mehr aufgrund von hohen Staatsschulden, wirtschaftlichen Krisen und damit fehlenden Steuereinnahmen zu erwarten sind. Insgesamt wird damit in Infrastrukturen investiert, die schon jetzt angesichts der Klimakrise und Wirtschaftlichkeit keine Zukunft mehr haben aber für die nächsten Jahrzehnte gestärkt werden. Bei den Rettungspaketen die auf EU Ebene und in vielen Fällen auf nationaler Ebene auch noch einer parlamentarischen Kontrolle unterliegen, muss also noch dringend korrigiert werden.

Es gilt also: Wo ein Wille, da ein Weg. Der Bezug auf das Pariser Klimaabkommen, das die EU und alle ihre 27 EU Mitgliedsländer ratifiziert haben, ist nicht nur überlebenswichtig sondern auch bindend.

Hintergrundinfos zu den bekannten Rettungsmaßnahmen

Die 2,3 Billionen Euro (Stand Mitte Mai) sind bislang so nach Ländern aufgeteilt:

  • 47% Deutschland,
  • 18% Italien,
  • 16% Frankreich,
  • 4% Estland,
  • 4% Großbritannien,
  • 2,5% Belgien,
  • 2,5% Polen,
  • alle anderen <1,5%

Ausgewählte Beihilfen der Länder

Zahlreiche Branchen haben aufgrund der besonderen Umstände, von denen einige gerechtfertigt sind, eine Reihe von Unterstützungen beantragt und erhalten. Das Ganze läuft in der Regel in einem Tempo ab, in denen Debatten untergehen und keine Zeit für Einspruch bleibt. Der Begriff “Coronawashing” kann hier durchaus verwendet werden, um aufzuzeigen, welche Länder wie in schmutzige und veraltete Technologien investieren. Die ganze Übersicht zur Freigabe von staatlichen Beihilfen gibt es hier.

Deutschland

Großunternehmen können in Deutschland auf den rund 600 Milliarden Euro gefüllten Wirtschaftsstabilisierungsfond zugreifen, was dann am Ende jeweils von der Europäischen Union genehmigt werden müssen.

  • 9 Milliarden für die Lufthansa unter folgenden Bedingungen
    • Laut Finanzministerium: “Die Lufthansa verpflichtet sich zur Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen einschließlich einer Erneuerung ihrer Flotte. Es sind weitgehende Vergütungsbeschränkungen für den Konzernvorstand, die Vorstände der Konzerngesellschaften sowie das Management vorgesehen.”
  • Würde Deutschland Umweltauflagen, ähnlich dem der französischen Air France, auflegen, wären folgende Flugverbindungen nicht mehr im Angebot:
  1. Die Strecke Stuttgart - Frankfurt sowie Stuttgart - Frankfurt (Flughafen), die der ICE in rund zwei Stunden zurücklegt
  2. Die Verbindung von Düsseldorf nach Frankfurt mit einer Fahrzeit von einer Stunde und vierzig Minuten
  3. Gleiches gilt für die Strecke München - Nürnberg, auf der der ICE rund eine Stunde unterwegs ist.
  • 2,5 Milliarden für die sogenannte Innovationsprämie, die auch Plug-In Hybride mit einbezieht. Zusammen mit der gesenkten Mehrwertsteuer ist das eine Abwrackprämie durch die Hintertür. Plug-In Hybride gelten als aufgehübschte Verbrenner, weshalb die Niederlande diese Förderung schon seit rund vier Jahren nicht mehr ausgeben.

Frankreich

  • 7 Milliarden Euro für Air France. Immerhin muss die Firma folgende Umweltauflagen erfüllen:
    • Inlandsflüge sollen gestrichen werden, sofern die Strecke auch in weniger als 2,5 Stunden mit dem Zug zurückgelegt werden könne
  • 8 Milliarden Euro für Renault
    • 7.000 Euro pro E-Autos
    • 5 Milliarden sollen direkt an Renault gehen.
      • Fokus auf E-Mobilität

Niederlande

  • Ca. 2 - 4 Milliarden Euro für KLM (ist mit Air France verbunden)
    • ohne Umwelt-Bedingungen

Dänemark und Schweden:

  • 137 Millionen Euro an die Fluglinie SAS / SAS Schweden.
  • ohne Umwelt-Bedingungen

Italien

Italien gibt 25 Milliarden Euro in der Corona-Krise aus, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.

  • 500 Millionen für Air Italia. Damit wird ein endloser Kampf um die Rettung beendet und die Firma verstaatlicht, die seit 2002 keine Gewinne mehr erzielte. Umweltauflagen sind nicht bekannt.

Belgien

Spanien

200 Milliarden will Spanien investieren. Das entspricht 20 Prozent der spanischen Wirtschaftsleistung. Aber bislang sind die Hilfen nur soziale Auflagen geknüpft (im Grunde die Beibehaltung der Arbeitsplätze für die vorübergehenden Beurlaubungen und ein Verbot der öffentlichen Hilfe für Unternehmen mit Hauptsitz in Steueroasen).

Zahlreiche Lobby-Angriffe auf den Green Deal

  • European Community Shipowners Association will keine neuen Emissionsreduktionsziele für die Schifffahrt.
  • Airlines for Europe und International Air Transport Association fordert u.a. ein Moratorium für neue Steuern auf Flugkraftstoffe. Dabei ist dies eines der Fundamente für den Green Deal. In diesem Interview begrüßt Kommissarin Vălean diesen Vorschlag bereits und halte die Klima- und Umweltbedingungen an die öffentlichen Mittel zu knüpfen für derzeit falsch.
  • Eurogas: Wirtschaftsverbände fordern die Kommission auf, sie davon zu überzeugen, die Unterstützung der Gasinfrastruktur, einschließlich der Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, zu einem wichtigen Bestandteil der Strategie zur Rückgewinnung nach der Korona zu machen. Sie verwenden Elemente des Europäischen Green Deal, der besagt, dass die EU Gas „dekarbonisieren“ sollte, um für ihren Vorschlag zu argumentieren.
  • European Plastics Converters fordert die Kommission auf, die EU-Richtlinie für Einwegkunststoffe zu verschieben und zu überdenken. EuPC behauptete, dass Kunststoffprodukte notwendig seien, um „Hygiene, Sicherheit sowie Schutz vor Kontamination zu gewährleisten“, und argumentierte ferner, dass diese Produkte während dieser Krise der öffentlichen Gesundheit für Materialien wie „Schutzausrüstung, Medizinprodukte und Medizin“ unerlässlich seien.

Pressekontakt

Herr Bloss steht für Interview oder Hintergrundgespräche gerne zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich an

Nicki Hoffmann
Referent Öffentlichkeitsarbeit und Presse
+32 470 17 11 27
nicki.hoffmann@europarl.europa.eu