Startschuss für die Rückwärtskoalition

Michael Bloss, industrie- und klimapolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, kommentiert den Koalitionsvertrag der Union und SPD:

Der Koalitionsvertrag ist ein Bremsklotz für europäische Klimapolitik. Mit der vorgeschlagenen Einführung von dubiosen internationalen CO2-Zertifikaten wird der Emissionshandel zur Lotterie. Planbarkeit und Investitionssicherheit für die Modernisierung der Industrie bleiben damit auf der Strecke und das Klimaziel wird ausgehöhlt.

Die Rückwärtskoalition ebnet den Weg in die fossile Vergangenheit. Gasförderung in Deutschland wird ermöglicht, Kohle soll bis 2038 das Klima verschmutzen und für das Ende von Benzin und Diesel gibt es kein Konzept. Stattdessen soll CCS die Antwort auf alles sein. Damit verabschiedet sich Deutschland aus seiner europäischen Verantwortung und untergräbt Europas gemeinsamen Klimakurs. Ein fatales Signal! Wer beim Klimaschutz bremst, bremst Europas Zukunft.

Aus dem Koalitionsvertrag wird klar, Friedrich Merz ist der Mann der fossilen Vergangenheit, ohne den Blick für die Belange der jungen Generation.


Die Rückschrittskoalition gefährdet die Zukunft des europäischen Projekts

Auf Deutschland entfallen 24% des BIP und 22% der Emissionen der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Der Bundesregierung kommt damit eine enorme Verantwortung zu, die klimapolitische, ökonomische und sicherheitspolitische Zukunft der EU mitzugestalten. Der heute veröffentlichte Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD macht deutlich, dass die Bundesregierung dieser Verantwortung nicht nachkommt. Sie geht nicht nur zu langsam voran, sondern macht in wichtigen Bereichen sogar Schritte zurück in die fossile Vergangenheit:

 

Die Große Koalition will die Klimapolitik auf EU-Ebene zurückdrehen

  1. 2040er-Klimaziel: Auf EU-Ebene fehlt bislang ein Klimaziel bis 2040. Die EU-Kommission hat sich jedoch für eine Emissionsreduktion von 90% gegenüber 1990 ausgesprochen. Obwohl dieses EU-Ziel deutlich hinter den Emissionsreduktionen, die das deutsche Klimaschutzgesetz ohnehin vorgibt, zurückbleibt, will die Große Koalition den Kommissionsvorschlag von 90% nicht unterstützen. Stattdessen sollen bis zu drei Prozent durch Emissionsminderungen im Ausland gedeckt werden. Damit würde die EU keinen fairen Beitrag zum Pariser Abkommen leisten; der wissenschaftliche EU-Klimarat hatte diesen als mindestens 90% Emissionsreduktion innerhalb der EU zusätzlich zu Emissionsreduktionen im Ausland definiert.
  2. ETS I: Zusätzlich zur Anrechnung auf das Klimaziel sollen Emissionsminderungen im Ausland auch im ETS 1 “abgebildet” werden. Zu Beginn des ETS wurde der Markt schon einmal mit solchen Zertifikaten geflutet - mit der Folge, dass der Preis jahrelang auf einem Niveau verharrte, der keine Anreize für eine Dekarbonisierung bot.

  3. Verbrenner-Aus: Es besteht wissenschaftlicher Konsens, dass E-Pkw die kostengünstigste und energieeffizienteste Option im Rahmen der Antriebswende darstellen. Trotzdem wollen CDU/CSU und SPD weiterhin auf Technologieoffenheit setzen und Modelle wie Plug-in-Hybride und Range Extender fördern, die weiterhin auf die Verbrennertechnologie setzen. Dieser Ansatz ist nicht mit den europäischen CO2-Flottengrenzwerten vereinbar.

  4. Europäische Gebäuderichtlinie: Die europäische Gebäuderichtlinie setzt wichtige Anreize für Sanierungen im Gebäudebereich. Obwohl die Große Koalition noch über ein Jahr Zeit hat, um die Richtlinie national umzusetzen, kündigt sie bereits an, diese europäische Frist verlängern zu wollen und “Spielräume ausschöpfen” zu wollen. Damit verschleppt sie wichtige Maßnahmen, um Verbraucher*innen vor Hitzewellen und hohen Energiepreisen zu schützen und lädt alle Mitgliedsstaaten ein, dasselbe zu tun.

 

Deutschland kommt seiner klimapolitischen Verantwortung nicht nach

Auch wenn Klimapolitik teilweise europarechtlich determiniert ist, hat Deutschland weiterhin eine nationale Verantwortung, Emissionen zu reduzieren. Auch dieser kommt sie jedoch nicht nach:

  1. Gebäudeenergiegesetz: Die Große Koalition will das “Heizungsgesetz abschaffen”. Dieses bietet jedoch wichtige Anreize für den Umstieg auf klimaneutrales Heizen und schützt damit nicht nur das Klima, sondern auch Verbraucher:innen vor Kostenfallen.

  2. Fossile Technologien statt Erneuerbare: Statt auf einen konsequenten Einsatz erneuerbarer Technologien in allen Sektoren will die Große Koalition CCS in großem Stil einsetzen - auch in den Bereichen, in denen es klimaneutrale Alternativen gibt (z.B. in der Stahlindustrie oder bei Gaskraftwerken). Zudem soll konventionelle Gasförderung im Inland erlaubt und der Kohleausstieg bis 2038 hinausgezögert werden.

  3. Keine Fortschritte im Verkehrsbereich: Die Antriebs- und Mobilitätswende kommt viel zu langsam voran. Abgesehen von Kaufprämien für E-Pkw findet sich jedoch keine konkrete Maßnahme im Koalitionsvertrag, um die Emissionen in diesem Sektor zu reduzieren.

  4. Fortführung fossiler Subventionen: Die Große Koalition will die Subventionierung des Agrardiesels wieder einführen und die Pendlerpauschale erhöhen.

 

Die volkswirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Konsequenzen der rückwärtsgewandten Klimapolitik sind fatal

  1. Die Bundesregierung riskiert EU-Strafzahlungen in Milliardenhöhe: Die aktuellen Projektionsdaten zeigen, dass Deutschland seine Verpflichtungen aus der europäischen Klimaschutzverordnung nicht einhält. Bis 2030 wird voraussichtlich eine Gesamtlücke von 226 Mio. t CO2-Äq entstehen. Diese dürften mit den Plänen aus dem Koalitionsvertrag noch weiter anwachsen. Damit drohen sprunghaft ansteigende CO2-Preise und hohe Strafzahlungen. Diese Gelder fehlen für Investitionen in klimaneutrale Technologien in Deutschland.

  2. Die fehlende Investitionssicherheit gefährdet die europäische Wirtschaft: Die große Koalition verschleppt den konsequenzen Umstieg auf klimaneutrale Technologien und schafft keine Investitionssicherheit bei Unternehmen und Verbraucher:innen. Dadurch droht Deutschland in wichtigen Schlüsselindustrien wie der Batterie- und Speichertechnologie und der Produktion von Photovoltaikanlagen weiter zurückzufallen.

  3. Festhalten an Kohle-, Öl- und Gasimporte bedeutet ein teures Verlustgeschäft für die gesamte Gesellschaft: Jedes Jahr verliert Deutschland ca. 80 Milliarden Euro an fossile Unternehmen. Durch einen konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien und ihre Nutzung auch im Industrie-, Verkehrs-, und Gebäudebereich könnte Deutschland seine Energieabhängigkeit bis 2045 um 85 % reduzieren. Statt dies zu tun, verzögert die Große Koalition den Ausstieg aus Kohle und Gas.

  4. Festhalten an fossilen Energien zementiert die energiepolitische Abhängigkeit von oftmals autokratischen Regimen: Die starke Abhängigkeit von Russland führte zu der fossilen Energiepreiskrise infolge des Kriegs in der Ukraine. Inzwischen sind die USA der größte Lieferant für Öl und LNG - was der EU mit der Unberechenbarkeit Trumps nun abermals zum Verhängnis werden könnte. Auch aus sicherheitspolitischen Gründen ist der im Koalitionsvertrag vorgezeichnete Weg daher fatal.