Was die Kommission für die Autoindustrie bereit hält

Schon bevor die EU-Kommission ihren Gesetzesvorschlag zur Abschwächung der CO2-Flottengrenzwerte für Pkw auf den Tisch gelegt hat, ist die Diskussion darum in vollem Gange. Die 2021 beschlossene Absenkung der Grenzwerte für 2030 und das Neuzulassungsverbot von Pkw mit Verbrennungsmotoren für 2035 war ein Meilenstein im Rahmen des Green Deals. Die Grenzwerte sind eines der wichtigsten Klimaschutzinstrumente für den Verkehrsbereich. Dies gilt umso mehr angesichts der geplanten Verschiebung des ETS2-Beginns. Zugleich bieten sie Investitionssicherheit für Bürger:innen und Unternehmen - und für letztere auch einen Anreiz, im internationalen Wettbewerb um die Elektromobilität nicht noch weiter hinter China zurückzufallen.


Auf Druck der Automobilindustrie hat die Europäische Kommission jedoch die eigentlich für 2026 vorgesehene Überprüfung der entsprechenden Verordnung vorgezogen und will ihren Vorschlag nun voraussichtlich am 10. Dezember gemeinsam mit Entwürfen für den Industrial Accelerator Act, den Battery Booster und der Initiative on Greening Corporate Fleets vorlegen. Es ist klar, dass sie dabei Aufweichungen der CO2-Flottengrenzwerte vorschlagen wird - wie weit sie dabei jedoch letztlich gehen wird, ist noch offen.

Welche Änderungen werden diskutiert?

 

  1. Weiterbetrieb von sog. “hocheffizienten Verbrennern” auch nach 2035Dieser Vorschlag stammt von der Ministerpräsidentenkonferenz im Oktober und wurde von Friedrich Merz in seinem Brief an Ursula von der Leyen aufgegriffen. Der Begriff "hocheffiziente Verbrenner” existiert wissenschaftlich nicht und ist irreführend. Selbst modernste Verbrenner sind an physikalische Grenzen gebunden und werden nie so effizient sein wie E-Autos: Bei Benzin- und Dieselautos kommt in realen Fahrten nur etwa ein Fünftel bis ein Drittel der Energie tatsächlich auf der Straße an – der Rest geht als Wärme verloren (Serrano-Guevara et al. 2025; Albatayneh et al. 2020). Elektroautos nutzen dagegen rund zwei- bis dreimal so viel der eingesetzten Energie, weil ihr Antrieb viel einfacher ist und kaum Wärmeverluste hat. Auch unter Einbezug der Energie für die Batterieherstellung, bleibt das E-Auto insgesamt das effizienteste Antriebssystem (Kosai et al. 2018). 
  2. Weiterbetrieb von Plug-in-Hybriden (PHEV) auch nach 2035 - mit beschönigten KlimabilanzenAuch hier kommt der Druck vor allem aus Deutschland. Denn PHEV werden vor allem im Premium-Segment verkauft, sodass deutsche Autohersteller damit besonders viel Gewinn machen, während sie gleichzeitig die CO2-Bilanz ihrer Flotte aufbessern können.
    Allerdings ist die Klimabilanz von PHEVs in der Realität weitaus schlechter als auf dem Papier: PHEVs stoßen im Durchschnitt nur 19 % weniger CO2 pro km aus als Benzin- und Dieselfahrzeuge (T&E).Die Realemissionen von PHEVs waren 2023 fast 5-mal höher als in den Testangaben (s. T&E). Die Lücke wird hauptsächlich durch falsche Annahmen über den Anteil des elektrischen Fahrens (sog. “Utility Factor (UF)) verursacht, der zu einer drastischen Unterschätzung der PHEV-Emissionen führt: Er ging von einem elektrischen Anteil von 84 % im Zeitraum 2021-2023 aus, während reale Daten zeigen, dass dieser nur 27 % beträgt. Laut aktueller Gesetzeslage steigt der UF 2025 und 2027 schrittweise an, um die Fehleinschätzung zu korrigieren - selbst damit wären die Realemissionen 2027/28 noch 18 % höher als die offiziellen Zahlen (T&E).
    Trotzdem vertritt der VDA die Position, dass diese Lücke zwischen Realität und Angaben auf dem Papier bestehen bleiben soll. Dies würde den Übergang zur klimaneutralen Mobilität verlangsamen, da die Automobilhersteller 45 % BEVs verkaufen müssten, statt 58 % nach den derzeitigen Vorschriften. Autohersteller, die sich auf PHEVs konzentrieren, könnten den BEV-Absatz sogar auf nur 32 % begrenzen (T&E).
    Diese Lücke zwischen Realität und Testwerten bedeutet auch versteckte Benzinkosten für Fahrer von PHEV in Höhe von rund 500€ zusätzlich pro Jahr. Das liegt daran, dass die PHEV-Motoren selbst im Elektromodus  durchschnittlich 3 Liter Benzin pro 100 km verbrauchen, weil die Elektromotoren in PHEVs schwächer sind als die von BEV und bei höheren Geschwindigkeiten oder starken Steigungen der Verbrennungsmotor zugeschaltet werden muss (T&E). PHEV haben also per Design ökologische und ökonomische Nachteile gegenüber BEV und sollten daher auch aus Verbraucherschutzgründen nach 2035 nicht weiter zugelassen werden. 
  3. Anrechnung von Biokraftstoffen auf die ZielerreichungDer Druck zur Anrechnung von Biokraftstoffen auf die Zielerreichung kommt vor allem aus Italien - aber auch Friedrich Merz hat diese Forderung des VDA in seinem Brief an Ursula von der Leyen bekräftigt. Es scheint sehr wahrscheinlich, dass die Kommission eine Aufweichung in diese Richtung vorschlagen wird - die Details sind jedoch noch in zwei wesentlichen Aspekten unklar:
    1. Art der Biokraftstoffe: Besonders problematisch wäre eine Anrechnung von sog. “traditionellen” Biokraftstoffen (auch “Kraftstoffe der ersten Generation”), die aus Nahrungsmittelpflanzen wie Mais, Getreide oder Raps hergestellt werden. Ihre Klimabilanz ist katastrophal - die weltweite Produktion von Biokraftstoffen stößt 16 % mehr CO2 aus als die fossilen Kraftstoffe, die sie ersetzen (T&E). Zudem ist gut belegt, dass sie in der Vergangenheit 20–30 % zu Preisschocks beigetragen haben (Cerulogy). Hinzu kommt, dass im Durchschnitt 3.000 Liter Wasser benötigt werden, um 100 km mit Biokraftstoffen zu fahren (T&E). Weiterhin sind traditionelle Biokraftstoffe äußerst ineffizient: Es bräuchte nur 3 % der Fläche, die derzeit für ihren Anbau genutzt wird, um die gleiche Energiemenge mit Sonnenkollektoren zu erzeugen (T&E).  “Fortschrittliche” Biokraftstoffe werden aus nicht-essbaren Rohstoffen hergestellt und konkurrieren somit nicht mit der Nahrungsmittelproduktion. Trotzdem ist auch ihre Klimabilanz sehr fraglich. Je nachdem, um welche Kraftstoffe es sich handelt und ob auch Verdrängungseffekte einbezogen werden, kann die Klimabilanz z.B. im Fall von HV100 trotzdem schlechter als die fossiler Kraftstoffe sein (ifeu). Zudem ist ihr Potenzial extrem begrenzt. Ihr realer Anteil am Kraftstoffmarkt lag 2023 bei ca. 0,45–0,55 % (BLE); selbst wenn alle nachhaltig nutzbaren Reststoffe in der EU mobilisiert würden, könnten sie nur etwa 7-8 % des Kraftstoffbedarfs decken (ICCT) und werden vor allem in Bereichen gebraucht werden, wo es keine technologisch verfügbaren Alternativen gibt. Nicht zuletzt ist die Klassifizierung von Kraftstoffen, insbesondere von Importen, sehr betrugsanfällig - die Zertifizierung ist international kaum zu überwachen und es gab schon etliche Betrugsvorwürfe (T&E und SZ-Recherche).
    2. Art der Anrechnung: Die Automobilindustrie möchte den Anteil von Biokraftstoffen am gesamten Kraftstoffmix erhöhen und diesen auf ihre Ziele anrechnen lassen (sog. Carbon Correction Factor). Es wäre jedoch besser, Anrechnungen für Biokraftstoffe nur für Fahrzeuge zuzulassen, die nachweislich ausschließlich mit Biokraftstoffen betrieben werden können. Dies würde bedeuten, dass nur diejenigen Fahrer für diese teuren Kraftstoffe bezahlen würden, die sie auch wirklich nutzen wollen – und nicht die Allgemeinheit. (Fortschrittliche Biokraftstoffe sind etwa 4- bis 10-mal teurer als fossile Kraftstoffe und etwa 7- bis 15-mal teurer als Strom in Elektroautos. (ICCT 2023; IEA Bioenergy 2022; IEA WEO; EU ACER; Fraunhofer ISE 2023).) Darüber hinaus wäre die Einrichtung der erforderlichen zusätzlichen Tankinfrastruktur kostspielig, sodass ihre praktische Relevanz wahrscheinlich begrenzt wäre. 
  4. Umstellung von Emissionen am Auspuff auf eine Lebenszyklusanalyse Derzeit sind die Emissionen am Auspuff die maßgebliche Grundlage für die Flottengrenzwerte. Pkw mit Verbrennungsmotoren - unabhängig von dem Kraftstoff, mit dem sie betankt werden - können niemals 0 g CO2 am Auspuff erreichen. Deshalb übt die Verbrenner-Industrie Druck dahingehend aus, dass die Emissionen des gesamten Lebenszyklus in die Betrachtung aufgenommen werden: BEVs in Ländern mit CO2-intensivem Strommix würden so „schmutzig“ gerechnet, Verbrenner mit „grünem Kraftstoff“ würden „sauber“ gerechnet. Die Kommission arbeitet derzeit an einer Methodologie für eine solche Lebenszyklusanalyse; klar ist aber, dass sie sehr komplex und hochbürokratisch wäre, schließlich müssten Hersteller den CO2-Fußabdruck jedes einzelnen Bauteils angeben - umfassend kontrollierbar wäre das für die Behörden nicht und damit auch betrugsanfällig. Darüber hinaus würde die internationale Vergleichbarkeit verloren gehen, weil die EU die einzige Region der Welt wäre, die LCA anstelle von Tank-to-Wheel in der Fahrzeugregulierung nutzt. 
  5. Privilegierungen für “local content” und kleine PkwInsbesondere Frankreich fordert sog. “Super credits”, d.h. Boni innerhalb des Flottengrenzwerte-Systems für Pkw, die mit innereuropäischen Materialien hergestellt wurden. Dem hat sich auch Friedrich Merz angeschlossen. In der Regel wird dies verknüpft mit “grünen” (klimaneutralen) Anteilen. Das Ziel ist, Absatzmärkte z.B. für die schwächelnde Stahlproduktion in Europa zu stärken oder im Fall der Batterieproduktion überhaupt erst zu schaffen. Im Fall der Verknüpfung mit klimaneutral produzierten Grundstoffen sind solche Anreize grundsätzlich auch eine gute Idee - allerdings würden sie auch durch verpflichtende Quoten erreicht. Die Verrechnung im Rahmen der Flottengrenzwerte kann zu einer Doppelzählung (z.B. im Verkehrs- und Industriesektor) führen; selbst die Wirtschaftsvereinigung Stahl warnte davor. Letztlich würde die Anrechnung bedeuten, dass die Verkehrsemissionen weniger stark sinken als notwendig.
    Ähnliches gilt für Privilegierungen für kleine Autos: Grundsätzlich ist es sinnvoll, dieses Segment zu stärken, um BEV für alle Menschen auch für Menschen mit geringem Einkommen erschwinglich zu machen. Auch hier sollte jedoch vermieden werden, dass es zulasten der Umweltstandards geht.

 

Wie kommt die europäische Automobilindustrie aus der Krise?

Die europäische und insbesondere die deutsche Automobilindustrie befindet sich in einer strukturellen Krise, die durch Managementversagen der Konzerne, unzureichende nationale Verkehrspolitik, die aktuell technologische Überlegenheit der chinesischen Autohersteller und die US-amerikanische Handelspolitik ausgelöst wurde. Ein Aufweichen der CO2-Flottengrenzwerte würde diese Krise jedoch nur weiter vertiefen, weil die europäische Industrie im internationalen Wettbewerb um die Elektromobilität noch weiter zurückfallen würde.
Was es stattdessen braucht, sind Maßnahmen, die die Nachfrage (vor allem nach kleinen) BEV anreizen. Die Initiative zu den Green Corporate Fleets ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Die Bundesregierung hätte zudem mit der Umgestaltung der Kfz–Steuer in ein Bonus-Malus-System und gezielte Kauf- und Leasing-Anreize für kleine E-Autos und der Abschaffung des Dieselprivilegs weitere Maßnahmen in der Hand. Darüber hinaus sind günstigere öffentliche Ladestromtarife erforderlich, da nicht alle Menschen die Möglichkeit haben, ein E-Auto bei sich am Haus zu laden. Um langfristig unabhängig von China zu werden, braucht es zudem eine Ansiedelung von Batterieproduktion in Europa.