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Vorstellung der neuen EU-Kommission

Michael Bloss, klima- und industriepolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament zur Vorstellung der Kandidat*innen für die neue EU-Kommission:

“Unwetterkatastrophen, die Dörfer wegspülen, Dürren, die die landwirtschaftliche Existenz bedrohen und eine Wirtschaft, die bei Innovation und Klimatechnologien anderen Kontinenten hinterherläuft. Die Herausforderungen für diese Kommission sind enorm, und die neue Truppe von von der Leyen ist nicht hinreichend darauf ausgerichtet.

Der Green Deal ist bei Teresa Ribera in guten Händen und die Energiewende bei Dan Jørgensen auch. Ob das Kollegium mitzieht und welche Möglichkeiten diese Kommissare haben, ihre Ideen umzusetzen, ist unklar, weil es keine klare Teamstruktur gibt. Damit sind Chaos und Konflikte vorprogrammiert.

Der Draghi-Bericht fordert eine europäische Industriepolitik aus einem Guss, von der Leyen sieht jedoch zwei Vizepräsidenten-Köche und mehrere Hilfskräfte aus der Schaar der Kommissare vor. Ob das Gericht danach schmackhaft sein wird, ist zumindest fraglich.

Der neue und alte Klimakommissar Hoekstra muss jetzt liefern. Jetzt hat er die Mittel in der Hand, sein Versprechen, die fossilen Subventionen auch in den Mitgliedstaaten zu beenden, umzusetzen. Daran werden wir ihn messen! Dem italienischen Kandidaten Fitto von den Fratelli ein Vizepräsidentenamt und die Verteilung von EU-Fördergeldern zu überlassen, ist ein Skandal.  

Dieses Team braucht eine kluge Aufstellung und klare Strategie, damit es an der Weltspitze mitspielen kann. Nur so kann der Green Deal weitergehen!"

 

Die Analyse

Heute hat von der Leyen ihr neues Regierungskabinett, die neuen Exekutiven, Vizepräsident*innen und Kommissar*innen vorgestellt. Die Kandidat*innen waren zuvor von ihren jeweiligen Mitgliedstaaten nominiert worden. Sie müssen sich jetzt in Anhörungen in den Ausschüssen des Europäischen Parlamentes behaupten. Die Anhörungen sind für Anfang November geplant. Jede*r Kandidat*in braucht entweder die Zustimmung der Koordinator*innen der Fraktionen, die eine ⅔ Mehrheit ihres jeweiligen Ausschusses repräsentieren, oder sie müssen sich einer Abstimmung in den Ausschüssen stellen, in der sie eine einfache Mehrheit erreichen müssen.

 

Allgemeine Struktur:

Die Kommissionspräsidentin hat die Struktur ihres Kabinetts stark verändert. Letztes Mandat gab es drei exekutive Vizepräsident*innen denen jeweils eine Gruppe von Vizepräsident*innen und Kommissar*innen untergeordnet waren. Dieses Mal hat sie sechs exekutive Vizepräsident*innen designiert, die jeweils alle die Kontrolle über mindestens ein Generaldirektorat übernehmen.  Es gibt jedoch keine klare Struktur, welche Kommissar*innen mit welchen exekutiven Vizepräsident*innen zusammenarbeiten sollen. Von der Leyen nennt das mehr Flexibilität, es könnte allerdings auch zu mehr Unklarheit und weniger Kohäsion führen. Die Rolle der Vizepräsident*innen, denen nicht direkt eine Generaldirektion untergeordnet war, wurde abgeschafft. Diese Vizepräsident(innen) hatten in der Vergangenheit die schwierige Rolle, zwar ein Profolio zu besetzen, jedoch nicht das Personal zugeordnet zu haben, die Gesetzesvorschläge zu erarbeiten.

Raffaele Fitto, der der extrem rechten Regierungspartei Italiens Fratelli d’Italia angehört, hat von der Leyen die prominente Rolle des Exekutiv-Vizepräsident für Kohäsion und Reformen zugedacht. Damit wird er verantwortlich für die Auszahlung der milliardenschweren Corona-Aufbau-und Resilienszfazilität “Next Generation EU” und den Kohäsionsfonds, die immerhin ⅓ des formellen EU Budgets sind. Die rechstextreme italienische Regierungschefin Meloni hatte von der Leyen nicht mit ihrem Votum im Rat unterstützt.

Insgesamt sind nur vier Sozialdemokrat*innen im neuen Kabinett vertreten, obwohl die Sozialdemokraten im EU-Parlament die zweitstärkste Kraft sind, daneben haben die Liberalen auch fünf Posten, obwohl sie im EU-Parlament lediglich fündt stärkste Kraft sind. Es gibt kein*e grün*e Kommissar*in, obwohl die Grüne Fraktion im EU Parlament von der Leyen die nötigen Stimmen für ihre Wiederwahl im Juli verschafft hat. Mit der Kommissionspräsidentin sind die Konservativen mit zwölf Kabinettsmitgliedern stark überrepräsentiert.

 

Industrie:

Statt eine*n mächtige*n Kommissar*in für die europäische Industriepolitik einzusetzen, hat von der Leyen diese wichtige Aufgabe zwischen vier Zuständigen aufgeteilt. Teresa Ribeira als erste Exekutive Vizepräsidentin für die Transition hin zu einer sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft, Stéphane Séjourné, Exekutiver Vizepräsident für Wohlstand, industrielle Strategie, Valdis Dombrovskis als Kommissar für Wirtschaft und Produktivität, Implementierung und Vereinfachung, und schließlich Maroš Šefčovič, der als Kommissar für Handel und wirtschaftliche Sicherheit agieren soll. Wir sind also weit davon entfernt, eine gemeinsame europäische Industriepolitik zu sehen, die aus einem Guss ist, denn jede*r dieser Politiker*innen hat eigene Vorstellungen, wie eine zukunftsgewandte Wirtschaftspolitik auszusehen hat.

Theresa Ribeira ist eine spanische Sozialdemokratin, die momentan die erste Vizepräsidentin der spanischen Regierung ist. Sie wird das Wettbewerbsportfolio übernehmen. Ihre Aufgabe wird es sein die Regelungen zur Staatsbeihilfe als Instrument für die Dekarbonisierung und Modernisierung der europäischen Industrie einzusetzten, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Welt zu etablieren. Sie hat über die letzten Jahre mehrfach ihren Einsatz für eine schnellen Wandel hin zu 100% Erneuerbarer Energie bewiesen, und als Energieministerin Spaniens den Ausbau der Erneuerbaren massiv vorangetrieben. Sie ist eine Verfechterin des Klimaschutzes und hat sich bei der COP28 stark dafür eingesetzt, den Phase-out von fossilen Energie einzuläuten.

Als Exekutive Vizepräsidentin für die Transition hin zu einer sauberen, gerechten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft werden ihr die Kommissare für Energie, Klima und Besteuerung, und Umwelt zuarbeiten.

 

Stéphane Séjourné: Exekutiver Vizepräsident für Wohlstand und eine europäische Industriestrategie. Er war bisher Außen- und Europaminister Frankreichs und davor Vorsitzender der Liberalen im Europaparlament. Er ist ein enger Vertrauter des französischen Präsidenten Macron. Er wird für den “Clean Industrial Deal” maßgeblich zuständig sein und die mächtige Generaldirektion für Industrie, KMUs und den Binnenmarkt verantworten.

 

Energie

Dan Jørgensen: Kommissar für Energie und Wohnen. Der dänische Sozialdemokrat hat eine gute Erfolgsbilanz sowohl in Energiepolitik als auch in Klimapolitik, da er beide Portfolios bereits als nationaler Minister besetzt hat. Es gibt also Anlass zur Vermutung, dass er die Energiepolitik der nächsten Jahre auf eine klimaneutrale und 100%-Erneuerbaren Linie bringt. Als Däne kann er auf eine Erfolgsgeschichte in Sachen Erneuerbaren Ausbau zurückschauen. Er hat sich in der Vergangenheit dagegen ausgesprochen, Atomenergie als “grüne Energie” einzustufen. Das Wohnungswesen mit dem Energieportfolio zu einen, ist eine weise Entscheidung, da Gebäude für 40% der Energieemissionen der EU verantwortlich sind. Energiepreise, insbesondere beim Wohnen, zu senken wird eine der Hauptaufgaben von Dan Jørgensen.

 

Klima:

Wopke Hoekstra: Der Niederländer soll sein Klimaportfolio, das er vom mächtigen Exekutiven Vizepräsident Frans Timmermans zum Ende des letzten Mandats geerbt hat, beibehalten. In seiner Rolle als Klimakommissar hat er versprochen, einen Gesetzesvorschlag für eine 90% Reduktion er Treibhausgasemission der EU bis 2040 zu erarbeiten. Auch hat er sich für den phase-out von Subventionen für Kohle, Öl und Gas ausgesprochen. In Zukunft soll er auch die Steuerpolitik der EU übernehmen. Damit hat er alle Instrumente in der Hand, die Fiskalpolitik der EU auf klimaneutral umzustellen. Mit dem Steuerungsportfolio wird er auch das EU-Instrument für CO2-Abgaben an den Außengrenzen, den sogenannten CBAM, übernehmen. Somit werden der EU interne Emissionshandel und sein Gegenstück für den internationalen Warenverkehr in eine politische Hand gegeben. Das ist ein guter Anfang für mehr Kohärenz zwischen den Instrumenten.

 

Geschlechterparität & politische Zugehörigkeiten

  • <35% Frauen (9 / 26)

  • 12-16 EPP

  • 4 Renew

  • 4-6 S&D

  • 1 ECR