Michael Bloss, industrie- und klimapolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, kommentiert den heute vorgestellten Zehn-Punkte-Plan des Verbands der Automobilindustrie e.V. (VDA):
Das ist ein skandalöser Frontalangriff der Automobilindustrie auf den Klimaschutz. Sang und klanglos wird die Idee vom klimafreundlichen Fahren beerdigt, während fossile Verbrenner bis in alle Ewigkeit das Klima verschmutzen. Obwohl die meisten fossilen Hybridfahrzeuge ihren Elektroantrieb kaum nutzen, sollen diese per Definition als klimaneutral deklariert werden. Der Verweis auf E-Fuels und Aggrar-Kraftstoffe ist eine Scheinlösung, die vor allem für Verbraucherinnen und Verbraucher teuer wird. Mit fragwürdigen Tricks sollen Bürgerinnen und Bürger erneut betrogen werden. Kurzfristigen Profit stellen die Automanager über Klimaschutz und langfristige Erfolgsperspektiven für die Branche.
Die Abkehr vom Elektroauto kommt zur Unzeit: Die Verkaufszahlen steigen in diesem Jahr deutlich. Dennoch versuchen die Hersteller, dieses Comeback der E-Mobilität zu sabotieren – und gefährden damit die Planungs- und Investitionssicherheit.
Die „Verbrenner-für-immer“-Strategie wird der Sargnagel für die deutsche Automobilwirtschaft. Ohne konkurrenzfähige und bezahlbare Elektroautos drohen Volkswagen und Co. die Übernahmen durch chinesische Hersteller. Hunderttausenden Beschäftigten in der Branche wird damit der Boden unter den Füßen entzogen.
VDA fordert eine Abschwächung des Klimaschutzes
Wissenschaftlich und ökonomisch ist längst klar: Die Zukunft der Automobilindustrie liegt in der Elektromobilität. Diese Erkenntnis spiegelt sich auch in dem Kompromiss wider, der 2022 auf EU-Ebene geschlossen wurde: Ab 2035 werden keine neuen Pkws mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen.
Ein heute veröffentlichtes Papier des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA) sieht nun vor, die zugrundeliegende CO2-Flottengrenzwerte-Verordnung für Pkw an entscheidenden Stellen abzuschwächen. Das ist deshalb so problematisch, weil die Verordnung mehrere wichtige Funktionen erfüllt: Sie trägt dazu bei, die Emissionen im Verkehrssektor zu senken, Investitionssicherheit für die Automobilindustrie zu bieten und Verbraucher:innen vor einer Kostenfalle zu schützen. Denn der langfristige Weiterbetrieb von Verbrennern mit klimaneutralen Kraftstoffen ist eine Scheinlösung: Das Angebot wird absehbar so begrenzt sein, dass die Kosten um ein Vielfaches höher sein werden als die eines E-Pkw.
Was fordert der VDA konkret?
Der Zehn-Punkte-Plan des VDA beinhaltet ein Bekenntnis zu den Klimazielen - dies steht jedoch in starkem Widerspruch zu dem Paket an Vorschlägen zur Abschwächung der CO2-Flottengrenzwerte-Verordnung. Der VDA fordert, die für 2026 geplante Überprüfung schon auf das Jahr 2025 vorzuziehen und dabei folgende Verschlechterung der Standards einzuführen:
I. Den Neuzulassungsstopp ab 2035 kippen:
- Zielmarke von 100% auf 90% absenken: Ab 2035 gilt eine Zielmarke von 100% für die Zulassung emissionsfreier Pkw. Das bedeutet, dass nur noch neue E-Pkw zugelassen werden können. Für bereits zugelassene Fahrzeuge hat dies keine Auswirkungen. Der VDA fordert nun, diese Zielmarke auf 90% abzusenken.
- Zielmarke durch Rechentricks zusätzlich absenken: In Kombination mit einem weiteren VDA-Vorschlag läge die Zielmarke für 2035 sogar noch deutlich unter 90%: Zurzeit werden die Emissionen von Pkw mit Verbrennungsmotoren vollständig als fossile Emissionen behandelt. Der VDA will nun, dass die Beimischung alternativer Kraftstoffe auf die Zielmarke für die Zulassung emissionsfreier Pkw angerechnet wird (sog. emission correction factor). Dies würde dazu führen, dass die Zielwerte abgeschwächt werden, weil sie auch mit einem höheren Anteil Verbrenner erreicht werden können.
- Ausnahme für “klimaneutrale” Pkw mit Verbrennungsmotor schaffen: Der VDA fordert, dass Pkw, die nur mit klimaneutralen Kraftstoffen betankt werden, als emissionsfreie Fahrzeuge eingestuft werden sollen. Dies knüpft an den Prüfauftrag an die Kommission an, den die FDP 2022 in die Verordnung hinein verhandelt hat. Bis heute ist jedoch völlig unklar, wie in der Praxis sichergestellt werden könnte, dass Fahrzeuge tatsächlich nur mit klimaneutralen Kraftstoffen betankt werden.
II. Die Zielwerte 2025 bis 2030 aufweichen:
- Fahrzeuge mit den höchsten Emissionen nicht berücksichtigen: Die Flottengrenzwerte beruhen auf einem System, bei dem alle fünf Jahre die Grenzwerte verschärft werden. Der VDA fordert für die nächsten Zyklen einen „zweijährigen Phase-in“. Das wurde bereits 2020 gemacht: Damals wurden nur 95% der Fahrzeuge einbezogen; d.h. die 5% der Fahrzeuge mit den höchsten Emissionen wurden nicht in die Berechnung einbezogen. Dadurch würden die Ziele abgeschwächt.
- Schwellenwerte anheben und Schlupflöcher wieder einführen: Seit der Einführung der CO2-Flottengrenzwerte-Verordnung wird Herstellern ein zusätzlicher Bonus gewährt, wenn sie einen bestimmten Anteil an E-Pkw oder Plug-in-Hybriden mit geringen Emissionen (bis 50g CO2/km) auf den Markt bringen: Ihr Zielwert wird um bis zu 5% gesenkt. Dieses Schlupfloch (sog. “ZLEV-Benchmark-System”) läuft 2029 aus. Der VDA will nun nicht nur erreichen, dass es über diesen Zeitraum beibehalten wird, sondern auch, dass der Schwellenwert angehoben wird. Das bedeutet, dass auch Plug-in-Hybride mit Emissionen über 50 g CO2/km (und im Extremfall sogar kleine Pkw mit Verbrennungsmotoren) auf die Zielerreichung angerechnet werden könnten und damit indirekt die Ziele schwächen.
III. Die Emissionen von Plug-in-Hybriden ignorieren:
- Eine erwiesen falsche Berechnungsmethode beibehalten: Plug-in-Hybride sind Pkw, die neben einer Batterie auch einen Verbrennungsmotor haben und daher in beiden Modi fahren können. Für die Klimawirkung ist entscheidend, wie häufig die Fahrzeuge im Verbrennermodus fahren. In der Zulassungsverordnung ist für Plug-in-Hybride ein sog. Utility Factor festgelegt. Bei der gesetzlichen Berechnung wurde der verbrennungsmotorische Anteil aufgrund der Anwendung einer unrealistischen Methode immer chronisch unterschätzt. Die Verordnung sieht nun vor, dass ab 2025 eine andere Berechnungsmethode gelten soll, die näher an den realen Emissionen liegt. Der VDA fordert nun, dies auszusetzen.
- PHEV als emissionsfreie Pkw deklarieren: Der VDA fordert, für Plug-in-Hybride mit großer elektrischer Reichweite eine neue Fahrzeugkategorie zu schaffen und sie unabhängig von der Betankung auch nach 2035 als emissionsfreie Fahrzeuge zuzulassen. Das würde bedeuten, dass Emissionen, die beim Betrieb im Verbrennermodus entstehen, schlicht ignoriert würden.
Wie geht es jetzt weiter?
Nach dem erst kürzlich verabschiedeten Vorschlag zur Abschwächung der Zielwerte für 2025 bis 2027 stellen die VDA-Forderungen einen weiteren - und weitaus größeren - Angriff auf die CO2-Flottengrenzwerte-Verordnung dar. Politisch relevant könnten diese im Rahmen der Überprüfung der Verordnung werden, die gesetzlich eigentlich für das Jahr 2026 vorgesehen ist. Die EU-Kommission hat allerdings im Rahmen des Aktionsplans für die Automobilindustrie angekündigt, die “Arbeiten zur Vorbereitung der geplanten Überarbeitung der Verordnung zu beschleunigen”. Immerhin soll sie auf einer faktenbasierten Analyse beruhen. Die Diskussion um die Verteidigung der Klimavorgaben nimmt also gerade erst Fahrt auf.
Zu dem Plan des VDA geht es über diesen LINK.