Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, erklärt zur Bewerbung Ursula von der Leyens als Präsidentin der Europäischen Kommission:
Statt einem Rückbau beim Klimaschutz haben wir einen Ausbau erreicht. Die designierte Kommissionspräsidentin bekennt sich zu 90 Prozent CO2-Reduktion bis zum Jahr 2040. Das ist ein Grüner Erfolg der demokratischen Parteien in Europa.
Das Ende von neuen fossilen Verbrennern bis 2035 ist festgeschrieben und wurde von Ursula von der Leyen heute bestätigt. Damit ist die Kampagne der FDP und der CSU gescheitert. Das Ziel muss jetzt klar sein: Die Automobilindustrie zukunftsfest machen, damit preiswerte E-Autos auch aus Europa kommen.
E-Fuels werden immer ein Nischenprodukt im Straßenverkehr sein. Wir brauchen echte Lösungen für Europas Autohersteller.
Von der Leyens Programm für Europa
Heute stellt die nominierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr Programm für die nächsten 5 Jahre vor, um eine Mehrheit der Abgeordneten im Parlament für einen Wiederwahl zu gewinnen. Diese sogenannten politischen Gestaltungsrichtlinien, die political guidelines, enthalten diese wichtigen Punkte zu Klima, Energie und Industrie.
Klima
Klimaziel - bis 2040 sollen 90% der Emissionen reduziert werden
Von der Leyen verpflichtet sich, ein neues Klimaziel für 2040 vorzulegen, das 90% CO2 Minderung mit dem Basisjahr 1990 vorsieht. Dieses Ziel hat der Rat der Klimawissenschaft der EU so vorgeschlagen. Das heißt, sie verpflichtet sich, dass bis 2035 der Stromsektor nahezu vollkommen dekarbonisiert ist und nur wenige Prozessemissionen in der Industrie weiterbestehen. Das ist ein wichtiges Signal, da es bedeutet, dass der Green Deal nicht nur aufrechterhalten bleibt, sondern beim Klimaschutz noch mehr passieren muss, als die bereits beschlossenen Gesetze vorsehen.
Die Reform des Klimaschutzgesetzes wird Anfang 2025 offiziell vorgeschlagen und muss dann vom Parlament und von den Mitgliedstaaten verhandelt werden. Die EU muss 2025 ihr neues Ziel unter dem Pariser Klimaabkommen einreichen, die Verhandlungen müssen also zügig verlaufen.
Klares Bekenntnis, den Green Deal nicht aufzuweichen
Von der Leyen bestätigt, dass die Gesetze, die unter dem Green Deal bereits beschlossen wurden, nicht wieder aufgemacht werden. Das heißt, bis 2030 müssen CO2 Emissionen in der EU um 55% gesenkt werden, 42,5% der Energie in der EU wird aus Erneuerbaren kommen und die EU wird ihren Energieverbrauch im Vergleich zu Hochrechnungen um knapp 12% verringern. Neue Gebäude müssen ab 2030 so gebaut werden, dass sie keine Vorort-Emissionen aus fossilen Energieträgern mehr haben. Mindestens 16% der Gebäude mit der schlechtesten Leistung pro Mitgliedstaat sollen bis 2030 renoviert werden.
Es wird erwartet, dass durch den Ausbau von Erneuerbaren und die Umsetzung der Gebäuderichtlinie tausende lokale grüner Arbeitsplätze in der Bau-, Renovierungs- und erneuerbaren Industrie entstehen und so KMUs und die Wirtschaft insgesamt gestärkt werden.
Was fehlt, ist ein klares Bekenntnis zum Ende der fossilen Energien. Nur in einem Zwischensatz wird erwähnt, dass wir uns von den Fossilen “weiter wegbewegen müssen”.
Verbrenneraus
Von der Leyen bekennt sich zu dem Ziel, dass neue PKWs ab 2035 klimaneutral sein werden, so wie es vergangene Legislatur beschlossen wurde. Dies dient der Planungssicherheit für die Automobilindustrie.
Aus der breit angelegten Kampagne, das Verbrenneraus zurückzunehmen ist jetzt ein kleiner Änderungsantrag im Jahr 2026 geworden, wenn das Gesetz sowieso überarbeitet werden sollte. Die Änderung soll einen bereits existierenden Erwägungsgrund zur Rolle von klimaneutralen E-Fuels in den Gesetzestext aufnehmen.
In der großen Bestandsflotte, die nach 2035 noch in großen Mengen auf Europas Straßen unterwegs sein wird, könnten E-Fuels eine Rolle spielen. Allerdings werden E-Fuels in Neuwagen, wenn überhaupt nur punktuell zum Einsatz kommen. Es handelt sich hier um eine Nischenlösung.
Von der Leyen kündigt also lediglich eine gezielte Änderung des Gesetzes in 2026 an, um den Verkauf von Autos mit Verbrenner-Motoren, die ausschließlich mit klimaneutralen E-Fuels betankt werden, auch nach 2035 zu erlauben.
Eine solche Ausnahme der generellen Regelung wird bereits seit 2023 aufgrund des Erwägungsgrundes von der Kommission und den Mitgliedstaaten geprüft. Bisher ist es allerdings nicht gelungen, eine solche Ausnahme für E-Fuel Motoren so zu gestalten, dass sie legal auch anwendbar wäre.
E-Kraftstoffe und fossile Kraftstoffe sind im Betrieb kaum zu unterscheiden, es müsste also durch Detektoren sichergestellt werden, dass Neuwagen nach 2035 nicht mit konventionellen fossilen Brennstoffen betankt werden, sondern ausschließlich mit E-Fuels.
E-Fuels emittieren CO2, wenn sie verbrannt werden. Sie könnten also nur dann als “klimaneutral” eingestuft werden, wenn das CO2, das bei ihrer Verbrennung freigesetzt wird, vorher aus der Atmosphäre entnommen wird. Sogenannte Direct Air Capture Anlagen, die CO2 aus der Luft filtern, sind sehr energieintensiv und momentan nicht annähernd wirtschaftlich tragbar. Aktuell liegt der Preis von einer entnommenen Tonne CO2 bei $600-$1000. Während der CO2-Preis im europäischen Emissionshandel in den letzten Monaten eher bei 70 Euro lag. Das heißt, CO2 aus der Luft zu filtern ist momentan weit davon entfernt, eine wirtschaftliche Aktivität zu sein, und macht die Produktion von klimaneutralen E-Fuels völlig unerschwinglich.
Ein Auto mit E-Fuels zu betreiben, benötigt fünf mal soviel Energie wie das gleiche Auto elektrisch antreiben. Bei dieser Rechnung ist die Energie, die für die CO2 Entnahme aus der Luft benötigt wird, noch nicht mit einberechnet.
Zudem ist die aktuelle Produktion von E-Fuels weltweit noch sehr begrenzt. Es gibt zwar viele Projekte in Planung, aber nur wenige, die bereits E-Fuels produzieren. Die EU hat ambitionierte Ziele für E-Fuels im Luft-und Seefahrt Sektor, in denen E-Fuels die einzige Methode der Dekarbonisierung darstellen. Die momentan sehr begrenzten Volumina an E-Fuels wäre also besser in diesen Sektoren oder in Gebrauchtwagen genutzt.
Erneuerbare
Der Erneuerbaren-Ausbau boomt, der Anteil der erneuerbaren Energien der gesamten Stromerzeugung erreichte 45% 2023. Wind und Solarenergie treiben dieses Wachstum an, mit einem 18% igen Anstieg der Solarstromerzeugung. Die Stromerzeugung aus Sonne und Wind hat 2023 zum ersten Mal die Stromerzeugung aus Gas und Kohle überholt.
Die zusätzlichen erneuerbaren Erzeugungskapazitäten in der EU haben den Bedarf an Gas im Winter reduziert und damit die Preise gesenkt und die Versorgungssicherheit verbessert.
Hohe Energiepreise tragen maßgeblich zur Inflation bei und erhöhen die Lebenshaltungskosten gerade für Geringverdiener*innen. Auch sind hohe Energiepreise ein wichtiger Faktor, der die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Industrien im globalen Wettbewerb behindert.
Um die Preise dauerhaft niedrig zu halten und eine Unabhängigkeit von autokratischen Staaten zu erlangen und damit Versorgungssicherheit garantieren zu können, muss Europa den Ausbau der Erneuerbaren dringend noch beschleunigen. Auch der Bau der notwendigen Stromtrassen und Speicherkapazitäten muss dringend europäisch vorangetrieben werden.
Hierzu steht fast nichts in den politischen Gestaltungsrichtlinien für die nächsten Jahre. Keine zusätzlichen Maßnahmen zum Ausbau oder zur Planung von Infrastruktur. Das ist eine nicht zu vernachlässigende Unterlassung.
Industrie
Um die Chancen, die die Transformation hin zur Klimaneutralität bietet, überall in Europa nutzen zu können, braucht es eine mutige und strategische europäische Industriepolitik.
Von der Leyen möchte ein Gesetz zur Dekarbonisierung der der energieintensiven Industrie in den ersten 100 Tagen vorschlagen, den “Industrial Decarbonisation Accelerator Act,” der sowohl Investments in die Transformation der energieintensiven Unternehmen begünstigen soll, also auch grüne Leitmärkte schaffen und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Sie bleibt hier aber vage, ohne klare Aussagen zu treffen, wo Investitionen herkommen sollen und wie stabile Leitmärkte geschaffen werden können.
Eine neuer Fonds für Wettbewerbsfähigkeit soll aufgesetzt werden, der sogenannte “European Competitiveness Fonds”, allerdings fehlen Angaben zur Größenordnung oder Design eines solchen Fonds.
Von der Leyen verspricht außerdem ein neues Gesetz zur Kreislaufwirtschaft vorzulegen, den “Circular Economy Act”. Dieser soll einen Markt für Sekundärrohstoffe in der EU schaffen. Ein wichtiger Schritt hin zu einer ressourcenschonenden Wirtschaft und mehr Unabhängigkeit.
Die Europäischen Regelungen für öffentliche Ausschreibungen sollen dahingehend verändert werden, dass in manchen strategischen Sektoren, europäische Produkte Vorrang haben. Eine Art “Buy European” Gesetz also. Was fehlt ist hier ein klares Bekenntnis zur Stärkung der Nachhaltigkeits-und sozialen Kriterien in öffentlichen Ausschreibungen, die neben den Preiskriterien eine stärkere Gewichtung bekommen müssen.
Wichtige gemeinsame Projekte (IPCEI) sollen beschleunigt und vereinfacht werden. Außerdem sollen in Zukunft europäische Mittel aus dem neuen Wettbewerbsfonds für deren Finanzierung eingesetzt werden.
Um Synergien zu schaffen und internen Wettbewerb zu reduzieren, braucht es mehr europäische Koordinierung. Von der Leyen schlägt hierfür keine wirklichen Lösungen vor. Statt einen Vizepräsidenten für Industriepolitik, möchte sie einen Vizepräsidenten für Implementierung, Vereinfachung und interinstitutionelle Beziehungen ernennen.