Michael Bloss hat den renommierten Wissenschaftler Dr. Felix Matthes vom Öko-Institut e.V. gebeten zu berechnen, wie viel Deutschland und die gesamte Europäische Union pro Jahr für Importe von fossilen Energieträgern ausgeben und wie sich diese Kosten über die letzten Jahre entwickelt haben.
Dazu kommentiert Michael Bloss, klima- und industriepolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament:
» Kohle-, Öl- und Gasimporte sind ein teures Verlustgeschäft für die gesamte Gesellschaft. Jedes Jahr verlieren wir ca. 80 Milliarden Euro an fossile Unternehmen. Es ist höchste Zeit, diesen Abfluss zu stoppen und die Mittel stattdessen in die heimische Wirtschaft zu lenken. So könnten wir Strom, Elektromobilität und andere klimafreundliche Alternativen bezahlbarer machen und gleichzeitig die Wertschöpfung in Deutschland stärken.
Das Deutschlandticket oder der Ausbau der Erneuerbaren wäre mit diesen Geldern problemlos finanzierbar. Allein die gesamten Investitionen für den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland lagen 2023 bei 37 Milliarden Euro, weniger als die Hälfte der jährlichen Kosten für fossile Energieimporte. Wenn wir uns aus der Abhängigkeit dieser fossilen Importe befreien, entsteht ein enormer finanzieller Spielraum für Zukunftsinvestitionen.
Für die Europäische Union sind die Importe ein Verlustgeschäft von schwindelerregenden 315,8 Milliarden Euro jährlich, die statt in die eigene Wirtschaft in den Import von Kohle, Öl und Gas fließen. Geld, das für die Modernisierung des europäischen Stromsystems oder der Infrastruktur fehlt. Diese Ausgaben übersteigen den EU-Haushalt von etwa 166 Milliarden Euro bei weitem. Zudem entsprechen sie fast 40 % der Summe, die laut Mario Draghi jährlich notwendig wäre, um die grüne und digitale Transformation Europas voranzutreiben und gleichzeitig die Verteidigungsfähigkeit zu stärken.«
Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie
Die Zahlen der Studie sind beeindruckend: Für Deutschland alleine betrug die Rechnung im Jahr 2023, 80.7 Milliarden Euro*. Zum Vergleich: Die gesamten Investitionen für den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland lagen 2023 bei 37 Milliarden Euro, weniger als die Hälfte der jährlichen Kosten für fossile Energieimporte.
Für die EU 27 belief sich die Rechnung für 2023 auf 315.8 Milliarden, die statt in die eigene Wirtschaft in den Import von Kohle, Öl und Gas fließen. 315 Milliarden entsprechen knapp dem Doppelten des EU-Haushalts und fast 40% der 800 Milliarden, die laut Mario Draghi jährlich fehlen, um die digitale und grüne Transformation der europäischen Wirtschaft voranzutreiben sowie die Verteidigungsfähigkeit zu stärken.
Stellen wir uns vor, 80 Milliarden wären sinnvoller investiert: Mit 80 Milliarden Euro könnten 10.000 riesige Onshore-Windräder mit einer Leistung von jeweils 5 MW oder 26.000 kleinere Onshore-Windräder mit je 2 MW gebaut werden.
Zur Veranschaulichung dieser Dimension: Ende 2024 gab es in Deutschland insgesamt 28.766 Onshore-Windenergieanlagen.
Oder denken wir an die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs: Das Deutschlandticket kostet nur einen Bruchteil dieser Summe, nämlich lediglich 3 Milliarden Euro jährlich. Ein 9-Euro-Ticket könnte für etwa 9,2 Milliarden Euro pro Jahr finanziert werden.
Deutschland
Gemessen am Gesamtenergieverbrauch, importiert Deutschland zwischen 65% und 67% seines Bedarfs. Das liegt vor allem daran, dass nahezu der gesamte Verbrauch von fossilen Energieträgern durch Importe gedeckt wird. Bis zu 97% des Ölverbrauchs und 95% des Gasverbrauchs müssen importiert werden. In den letzten 4 Jahren (2021-2024) hat Deutschland durch Energieeinsparung und den massiven Ausbau von heimischen Erneuerbaren die Menge an Energieimporten um ein Fünftel (20 Prozent) reduziert.
Trotz des drastischen Rückgangs der Importmenge gibt es nur wenig Veränderung in den Kosten der Importe, wenn man die Jahre 2021 und 2024 vergleicht. Die Preise für Öl und Gas liegen weiterhin über dem Vorkrisenniveau 2021. Allerdings sind die Importkosten im Vergleich zum Krisenjahr 2022 wieder rückgängig. Im Jahr 2022 zahlte Deutschland für Nettoimporte von fossilen Energieträgern 137,3 Milliarden Euro, während für das Jahr 2024 mit ungefähr 70 Milliarden Euro gerechnet werden kann.
Europäische Union
Auch für ganz Europa gilt, dass fast alle fossilen Energieträger importiert werden müssen: 95-96% des Mineralölbedarfs werden von Importen gedeckt. Auch bei Gas liegt der Netto-Importanteil bei knapp 90%. Für die EU sind die Importmengen zwischen dem Vorkrisenjahr 2021 und 2024 nicht maßgeblich zurückgegangen.
Was jetzt passieren muss
Die hohe Abhängigkeit von Energieimporten führt nicht nur dazu, dass wir die Kriegskassen von Putin füllen, sie setzt uns auch volatilen internationalen Preisen aus, die die Inflation antreiben und der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft massiv schaden. Statt jährlich Milliardensummen an fossile Energieimporte zu verlieren, müssen Deutschland und Europa unsere Energieversorgung selbst in die Hand nehmen und diese in den Ausbau des ehimischen Energiesystems und industrielle Transformation stecken.
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Heimische Erneuerbare müssen schneller ausgebaut werden, alle Mitgliedstaaten sollten hierfür die europäische Gesetzgebung zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren umsetzen. Außerdem sollten wir auf EU Ebene Gelder für den Ausbau von Erneuerbaren zur Verfügung stellen und den bereits existierenden “renewable energy financing mechanisms” voll nutzen.
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Um den Erneuerbaren Strom auch dahin zu bekommen, wo wir ihn brauchen, müssen wir dringend unser Stromnetz ausbauen, flexibler gestalten und Speicher an den richtigen Stellen zwischenschließen. Dafür sollten die Maßnahmen, die im europäischen Marktdesign 2019 beschlossen und 2023 überarbeitet worden sind schleunigst und vollständig umgesetzt werden. Zum Beispiel muss endlich das Recht auf einen Smart Meter überall durchgesetzt werden, sodass Verbraucher*innen Strom dann nutzen können, wenn besonders viel Strom produziert wird und die Preise dadurch stundenweise sehr niedrig sind. Außerdem sollte die Industrie dafür belohnt werden, einen Teil ihres Energiebedarfs zu drosseln, wenn gerade wenig Energie produziert wird. Mit Bi-direktionalem Laden, sollten E-Auto Nutzer*innen ihre Autobatterie gegen vergütung dem Stromsystem als Speicher zur Verfügung stellen können.
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Der Industrie müssen wir unter die Arme greifen, damit sie ihre Prozesse überall wo möglich elektrifiziert. Nur so können wir sicherstellen, dass unsere Industrie auf Dauer Zugang zu zuverlässiger und billiger Energie hat. Allerdings geht es hier um große Vor- Investitionen, die zumindest mit öffentlichen Garantien unterstützt werden sollten. Auch müssen wir sicherstellen, dass Unternehmen, die diesen Schritt gehen, einen zeitigen Stromanschluss bekommen und nicht durch lange Wartezeiten verunsichert werden.
Zur Methodik der Studie
Die genannten Zahlen beziehen sich auf Netto-Importe von Kohle, Öl und Gas, das heißt, die Importe abzüglich der Exporte. Dabei wurden die Kosten bzw. Einnahmen aus Stromimporten und -exporten sowie aus der Kernenergie herausgerechnet, um die Zahlen ausschließlich für fossile Energieträger darzustellen.
Für Deutschland 80.7 Milliarden entspricht:
Spalte Nettoimporte 2023: gesamt 83.0 Milliarden - 2.3 Strom
Für die EU 315.8 Milliarden entspricht:
Spalte Netto-Importrechnung für 2023 gesamt 318.9 Milliarden - 1.4 Strom - 1.7 Kernenergie.
Dr. Felix Matthes hat sowohl Brutto-Importe als auch Exporte aus jeweils Deutschland und der EU berücksichtigt und konnte so verlässliche Zahlen zu den Netto-Importen ermitteln.
Da zu diesem Thema keine öffentlich zugänglichen, aufbereiteten Daten vorliegen, stützte Dr. Matthes seine Recherche auf mehrere verschiedene Datensätze, darunter:
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die jährlichen Energiebilanzdaten von Eurostat für die EU-27;
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die monatlichen Energiedaten von Eurostat für feste, flüssige und gasförmige Energieträger sowie Strom für die EU-27;
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die monatlichen Außenhandelsdaten von Eurostat für die EU-27;
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die Daten des World Energy Outlook des Energy Institute für die LNG-Einfuhren nach Europa;
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die Energiebilanzen der AG Energiebilanzen (AGEB) für Deutschland bis 2022 sowie die Auswertetabellen der AGEB für den Zeitraum bis 2023;
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die Außenhandelsdaten für Erdgas und Rohöl des Statistischen Bundesamtes;
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die monatlichen Energiemarktdaten des BDEW für Strom und Erdgas;
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die monatlichen Energiedatenübersichten von en2x für Mineralöl und Mineralölprodukte;
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die Strommarktdaten von Entso-E für die grenzüberschreitenden Stromlieferungen;
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Informationen aus diversen Branchen-Informationsdiensten zur Komplettierung der Daten;
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für die Lieferungen von Kernbrennstoffen in die EU-27 die Daten der Euratom SupplyAgency;
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abweichend von den Eurostat-Außenhandelsdaten (wegen offensichtlicher Inkonsistenzen) eine eigene Schätzung für den Wert der aus der EU-27 exportierten Mineralölprodukte (auf Basis des Energieträger-Mengengerüstes).
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stündliche Daten für kommerzielle grenzüberschreitende Stromlieferungen sowie der für die entsprechenden Stunden an der Strombörse EPEX Spot festgestellten Spotmarktpreise ermittelten Wertgrößen für den Im- und Export von Strom;
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der auf Grundlage des Anteils der deutschen Kernenergiestromerzeugung ermittelte Wert der Kernbrennstoffimporte.