Die Büchse der Pandora ist geöffnet

Michael Bloss, industrie- und klimapolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, kommentiert den Aktionsplan der EU-Kommission für die Automobilindustrie:

Dieses Green Deal Gesetz abzuwickeln ist das Ticket in die Verbrenner-Vergangenheit. Die EU-Kommission öffnet damit die Büchse der Pandora, denn die EVP will mehr als nur ein paar Stellschrauben drehen, sie will das Verbrenner-Aus komplett kippen. Die Rechten stehen schon bereit, um mit ihnen gemeinsam den Green Deal auf den Schrottplatz zu fahren.

Die Vorhaben der Kommission sind rückwärtsgewandt und gefährlich. Während andere Länder längst Strategien für den Ausbau der Elektromobilität weiter vorantreiben, verweigert die Kommission sehenden Auges die internationalen Entwicklungen. Die Autobranche braucht Planungssicherheit, keine Zickzack-Politik. Wir müssen dringend modernisieren, statt den Anschluss an die Welt zu verlieren. Die EU-Kommission darf nicht zur Innovationsbremse werden, sonst riskiert sie die Zukunft der Automobilindustrie und die Existenzen unzähliger Beschäftigter.

Ein klares Bekenntnis zur E-Mobilität und verbindliche Vorgaben für grüne Unternehmensflotten sind der Schlüssel für eine zukunftsfähige Industrie. Wer jetzt die Zielvorgaben für das Verbrenner-Aus aufweicht, verspielt Europas Platz im Weltmarkt.

 


Eine Analyse des Aktionsplans im Überblick

 

Der Automobilsektor trägt mit einer Wertschöpfung von einer Billion Euro maßgeblich zur europäischen Wirtschaft bei, stellt ein Drittel der privaten Investitionen in Forschung und Entwicklung und sichert direkt sowie indirekt die Beschäftigung von 13 Millionen Europäern. Im Nutzfahrzeugbereich dominieren europäische Lkw-Hersteller mit einem Marktanteil von über 40 % weltweit. Diesen Sektor gilt es zu modernisieren, global wettbewerbsfähig zu sein und damit die Verkehrsemissionen zu senken.  

Fünf Säulen des Aktionsplans für den Automobilsektor:

  • Innovation & Digitalisierung

  • Harmonisierung der Regeln für Fahrerassistenzsysteme und autonomes Fahren in der EU

  • Forschung an Batterietechnologien für die gesamte Wertschöpfungskette

  • Finanzierung von Forschungsvorhaben über EU-Förderungen und private Mittel

  • Fokus auf Cybersicherheit in der Forschung

 

Wie funktionieren die aktuellen europäischen CO2-Flottengrenzwerte?

Erstmals wurden 2012 EU-weite Flottengrenzwerte eingeführt (in den USA bereits 1978), nachdem eine freiwillige Selbstverpflichtung der Pkw-Hersteller gescheitert war.

Ein Flottengrenzwert bedeutet, dass der Durchschnitt der Emissionen aller in einem Jahr in der EU zugelassenen Fahrzeuge diesen Wert nicht überschreiten darf. Jedes einzelne neue Fahrzeug muss diesen Grenzwert also nicht zwingend einhalten. Die Emissionen werden am Auspuff gemessen.

  • Flottengrenzwert 2020 bis 2024:
    PKWs: 95 g CO2/km
    Lieferwagen: 147 g CO2/km

  • Flottengrenzwert 2025 bis 2034:
    PKWs:  93,6 g CO2/km (2025-2029) und 49,5 g CO2/km (2030-2034)
    Lieferwagen: 153,9 g CO2/km (2025-2029) und 90,6 g CO2/km (2030-2034)

  • Flottengrenzwert ab 2035 für PKWs und Lieferwagen: 0 g CO2/km (Verbrenneraus)

  • Unternehmen, die die Flottengrenzwerte für 2025 einhalten (Dataforce Daten):

    • Geely (Volvo, Polestar usw)

    • SAIC Group (MG)

  • Unternehmen, die die Flottengrenzwerte für 2025 knapp verfehlen:

    • Toyota (105 g/km)

    • BMW (106 g/km)

    • Hyundai Motor Group (108 g/km)

  • Unternehmen, die die Flottengrenzwerte für 2025 deutlich verfehlen:

    • VW (123 g/km), Grund ist die verspätete Einführung des ID3

    • Ford (125 g/km)

    • Stellantis (113 g/km)

    • Renault-Nissan-Mitsubishi (114 g/km)

Unternehmen, die die vorgeschriebenen Flottengrenzwerte nicht einhalten, sind verpflichtet, Strafzahlungen zu leisten. Die daraus resultierenden Einnahmen fließen in die Förderung zusätzlicher Dekarbonisierungsmaßnahmen im Automobilsektor.

 

Saubere Mobilität - Gefahr für das Verbrenneraus

Das plant die EU-Kommission:

  • CO2- Flottengrenzwerte für PKWs und Lieferwagen,

    • Die Kommission wird im März 2025 eine gezielte Änderung der Verordnung zu CO2 Flottengrenzwerten vorschlagen, um ein Banking und Borrowing über drei Jahre zu ermöglichen. Wenn ein Hersteller den Flottengrenzwert für 2025 nicht erreicht, kann er durch Übererfüllung des Flottengrenzwertes in 2026 und 2027, die Verfehlung in 2025 ausgleichen, ohne dass Strafzahlungen fällig werden.

    • Die EU-Kommission steht weiterhin hinter dem Verbrenneraus 2035, also dem Flottengrenzwert 0 g CO2/km ab 2035

    • Reviews wird vorgezogen für Q3-Q4 2025: Die EU-Kommission beschleunigt die Vorbereitung des Reviews der Verordnung zu Flottengrenzwerten, die im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren für 2026 vorgesehen ist.

  • Ankurbeln der Nachfrage an Elektroautos

    • Leitlinien für staatlich subventionierte Leasingangebote für einkommensschwache Haushalte werden geplant. Diese sollen von den Mitgliedstaaten mit Mitteln aus dem Europäischen Klimasozialfonds finanziert werden können.

    • Gesetzesvorschlag zur Elektrifizierung der Dienstwagenflotten: Bis Ende 2025 soll ein Vorschlag vorgelegt werden, der eine verpflichtende Elektrifizierung von Dienstwagenflotten vorsieht. Da Dienstwagen derzeit 60 % der Neuzulassungen ausmachen, könnte dies die Nachfrage nach Elektroautos in Europa erheblich steigern.

    • Mautbefreiung (Eurovignette) für emissionsfreie LKWs (Q2 2025).

    • Empfehlungen an Mitgliedstaaten für weitere, z.B. steuerliche Anreize zum Kauf von Elektroautos.

  • Verbesserung der E-Ladeinfrastruktur

    • Beschleunigten Ausbau, insbesondere für LKWs entlang von Hauptverkehrsadern.

    • Schnellere Genehmigung von Netzanschlüssen für Ladestellen.

    • Fokus auf bidirektionales, smartes Laden, um die Autobatterien als netzdienliche Speicher zu nutzen.

    • Vereinfachung der Nutzung der Ladeinfrastruktur für Verbraucher*innen mit Fokus auf Preistransparenz.

 

Grüne Analyse des Plans der EU-Kommission:

Den gesetzgeberischen Kern des Plans machen Maßnahmen rund um das Elektroauto aus.

  • Positiv: Die Elektrifizierungsziele für Dienstwagenflotten werden vorangetrieben, und es gibt verstärkte Anstrengungen, die Batterieproduktion in Europa zu etablieren.
  • Negativ: Die Öffnung der CO₂-Flottengrenzwerte birgt erhebliche Risiken, die sich wie folgt darstellen:

    • Großes Risiko und Ungewissheit:
      Unternehmen benötigen vor allem Planungssicherheit. Regulatorische Änderungen erschweren die strategische Ausrichtung und verstärken interne Konflikte zwischen den einzelnen Produktsparten großer Konzerne.

    • Unwägbarkeiten im gesetzgeberischen Prozess: Es bleibt unklar, ob eine gezielte Anpassung der Flottengrenzwerte zur Einführung von Banking and Borrowing zeitnah von Rat und Parlament verabschiedet wird oder ob weitere Änderungsanträge zu anderen Gesetzespassagen eingebracht werden.

    • Beschleunigte Verfahren sind eine Gefahr für faktenbasierte Gesetzgebung. Die EU-Kommission darf keine Abkürzungen in der Vorbereitung des angekündigten Reviews machen und muss, wie im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vorgesehen, eine Folgenabschätzung (impact assessment) vorlegen, damit politisch Entscheidungen zum Verbrenneraus auf der Grundlage von einer umfassenden Analyse der vorhandenen Technologien, ihrer Effizienz und Kosten, sowie aktuellen Marktprognosen insbesondere dem globalen Wettbewerb gefällt werden und faktenbasiert über die Umsetzung der EU-Klimaziele im Verkehrssektor entschieden wird.

    • Die Autolobby erhöht den Druck und fordert weiterhin die Zulassung von Range Extenders (Elektroautos mit kleinem Verbrennungsmotor) und Plug-in-Hybriden (Verbrennermodelle mit zusätzlicher Batterie) über 2035 hinaus. Damit stellt sie das geplante Verbrenner-Aus ab 2035 infrage. Spätestens mit der angekündigten Überprüfung wird eine Debatte losgetreten, die den Modernisierungskurs der europäischen Automobilindustrie gefährden könnte und damit Erreichung der EU-Klimaziele in Gefahr gebracht.

 

Weitere Vorhaben der EU-Kommission im Aktionsplan:

Wettbewerbsfähigkeit und resiliente Lieferketten:

  • Europäischer Battery Booster, mit Vorgaben über Europäische Komponenten für Batterien und Elektroautos, Rohstoffe und Veredelung, Kreislaufwirtschaft, Europäische Fertigung.


Soziales und Skills:

  • Das Transition Observatory überwacht die Entwicklung der Beschäftigungszahlen im Automobilsektor in verschiedenen Regionen. So kann frühzeitig mit gezielten Weiterbildungs- und Umschulungsangeboten sowie Anreizen für die Ansiedlung neuer Unternehmen reagiert werden.

  • Erweiterung des Europäischen Globalisierungsfonds, um den Verlust von Arbeitsplätzen durch Globalisierung mit EU-Mitteln abzufedern.

  • Stärkung der Aus- und Weiterbildungsangebote im Rahmen von ESF+, Erasmus+ und Skill Partnerships innerhalb der Union of Skills.


Globale Prioritäten:

  • Diversifizierung von Rohstoffquellen.

  • Sicherung von Marktzugängen in in Drittstaaten.

  • Nutzen der handelspolitischen Instrumente gegen unfaire Handelspraktiken und Dumping von Drittstaaten, insbesondere China, bei Elektroautos.

  • Anziehen ausländische Investitionen in EU-Produktionsstätten.