Ein Energie-Preisschock mit Ansage – was die EU jetzt machen muss & macht

Michael Bloss, Berichterstatter für den EU-Emissionshandel und klimapolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament kommentiert das Maßnahmenpaket der EU Kommission zur Energiekrise:

Dieser Preisschock kam mit Ansage und ist ein Ergebnis einer fahrlässigen Energiepolitik, die mit Milliardenprojekten auf Kohle oder Gas gesetzt hat. Allen voran Deutschland hat mit Nord Stream 2 die EU erpressbar gemacht und parallel blockierten immer wieder CDU und CSU im EU-Parlament den Ausbau von Sonne- und Windkraft.

Wer sich einseitig auf russisches Gas verlässt und den Ausbau der Erneuerbaren ausbremst, spielt mit dem Feuer. Dieses Spiel müssen jetzt die europäischen Bürger*innen mit teuren Energiepreisen bezahlen. Wir müssen jetzt zweigleisig fahren, um rasch die Energiearmut zu lindern und uns mit den Erneuerbaren Energien unabhängig vom Politikpoker Russlands zu machen.

Es ist gut zu bewerten, dass die Kommission Direkthilfen für einkommensschwache Haushalte und Betriebe vorschlägt.

Gleichzeitig aber will die EU Kommission den Geldhahn für neue Gas-Projekte öffnen. Das lässt uns direkt in eine neue Gasfalle tappen und schafft lediglich neue Investitiontsruinen. Die Gelder werden bei den Erneuerbaren dringend gebraucht. Bis 2040 müssen wir in der EU auf 100% Erneuerbare Energien kommen, was gut für den Geldbeutel der Bürger*innen ist und die Industrie entlastet. Parallel müssen Zusatzmaßnahmen wie beispielsweise eine  Solarpflicht im Zuge der Renovierungswelle geschaffen werden.

Hintergrund

Die Energiepreise sind in den letzten Monaten EU-weit erheblich gestiegen und werden voraussichtlich mindestens bis zum Ende der Heizperiode (bis April 2022) hoch bleiben. Heute hat die EU Kommission ihre Maßnahmen zur Eindämmung dieser Entwicklung vorgestellt. Am 21. und 22. Oktober werden die EU-Staats- und Regierungschef*innen darüber beraten.

Toolbox in der Übersicht

Länder sind sich nicht einig, ob tiefgreifende EU-Reformen erforderlich sind, um sich vor zukünftigen Preisschocks zu schützen. Spanien, Italien und Tschechien gehören zu denjenigen, die eine EU-Intervention anstreben, während die Niederlande und Deutschland vorsichtig sind, in die Märkte einzugreifen. Die Kommission wird im Dezember ein Gas Paket vorstellen, welches hier mehr Details liefern wird.

Mit der Toolbox hat die Kommission sofortige und mittelfristige Maßnahmen zur Bewältigung der Gaspreise vorgeschlagen. Die Sofortmaßnahmen konzentrieren sich insbesondere auf schutzbedürftige Verbraucher*innen, kleine und mittlere Unternehmen und energieintensive Industrien.

Die Kommission hat die Notwendigkeit von mehr erneuerbaren Energien und Energieeffizienz verdoppelt, um mittelfristig die Preise zu senken, schlägt jedoch keine höheren Ziele vor, die zu einem schnelleren Übergang führen und dazu beitragen würden, die Abhängigkeit von flüchtigen und klimaschädlichen fossilen Gasen zu verringern. Die Grünen fordern eine vollständige Umstellung auf 100 % erneuerbare Energien bis 2040, was zu geringeren Preisen für Bürger und Industrie führen würde.

Im Folgenden finden Sie einen Überblick über die kurz- und langfristigen Vorschläge:

Sofortmaßnahmen zum Schutz von Verbraucher*innen und Unternehmen

  • Sofortige Einkommensunterstützung für Verbraucher*innen, die von der Energiearmut betroffen sind. Zum Beispiel durch Gutscheine oder Teilzahlungen von Rechnungen, die mit Einnahmen aus dem EU-Emissionshandelssystem unterstützt werden können;
  • Genehmigung eines vorübergehenden Zahlungsaufschubs für Rechnungen;
  • Einführung von Schutzmaßnahmen zur Vermeidung von Netzabschaltungen;
  • Vorübergehende, gezielte Steuersenkungen für sozial schwache Haushalte; Beihilfen für Unternehmen oder Branchen im Einklang mit den EU-Beihilfevorschriften;
  • Verbesserung der internationalen Beziehungen im Energiebereich, um die Transparenz, Liquidität und Flexibilität der internationalen Märkte zu gewährleisten;
  • Untersuchung möglicher wettbewerbswidriger Verhaltensweisen auf dem Energiemarkt und Aufforderung an die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA), die Überwachung der Entwicklungen auf dem Kohlenstoffmarkt zu verstärken;
  • Erleichterung eines breiteren Zugangs zu Stromabnahmeverträgen für erneuerbare Energien und deren Unterstützung durch flankierende Maßnahmen.

Mittelfristige Maßnahmen für ein dekarbonisiertes und nachhaltiges Energiesystem

  • Intensivierung der Investitionen in erneuerbare Energien, Renovierungen und Energieeffizienz, sowie Beschleunigung der Auktionen für erneuerbare Energien und Genehmigungsverfahren;
  • Entwicklung von Energiespeicherkapazitäten, um den wachsenden Anteil erneuerbarer Energien zu unterstützen, einschließlich Batterien und Wasserstoff.
  • Erwägung einer Überarbeitung der Verordnung über die Versorgungssicherheit, um eine bessere Nutzung und Funktionsweise der Gasspeicherung in Europa zu gewährleisten;
  • Untersuchung der möglichen Vorteile einer freiwilligen gemeinsamen Beschaffung von Gasvorräten durch die Mitgliedstaaten;
  • Einrichtung neuer grenzüberschreitender regionaler Gasrisikogruppen, die die Risiken analysieren und die Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung ihrer nationalen Präventiv- und Notfallpläne beraten;
  • Stärkung der Rolle der Verbraucher auf dem Energiemarkt, indem sie in die Lage versetzt werden, den Versorger zu wählen und zu wechseln, ihren eigenen Strom zu erzeugen und sich Energiegemeinschaften anzuschließen.

Wie entstand der jetzige Gaspreis?

Der Anstieg der Energiepreise ist in erster Linie auf die stark gestiegenen Erdgaspreise und nicht wie angenommen auf den Anstieg der CO2-Preise im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems zurückzuführen (hier war vor allem die Kohleverstromung teurer). Die Erdgaspreise haben andere Gründe.

Auf der Nachfrageseite veranlasste die weltweite wirtschaftliche Erholung im Jahr 2021 die asiatischen Länder, insbesondere China, dazu, erhebliche zusätzliche Mengen an LNG zu kaufen, um ihre sich erholende Wirtschaft anzukurbeln und eine Wiederholung der Situation des letzten Winters zu vermeiden, als China nicht über ausreichende Gasreserven verfügte. Die Nachfrage nach Gas ist auch aufgrund der vorübergehend ungünstigen Bedingungen gestiegen, mit denen die nicht-fossilen Energieerzeuger konfrontiert waren: niedrigere Wasserstände in spanischen und schwedischen Wasserkraftwerken und eine geringere Windkraftleistung als üblich in Europa.

Auf der Angebotsseite war die LNG-Produktion aus Katar und Australien geringer, während Russland (Gazprom) die Pipelinekapazitäten für die Versorgung Europas mit Erdgas deutlich unterausgelastet hat. Formal hält Gazprom seine vertraglichen Verpflichtungen ein, liefert aber deutlich weniger Gas als üblich über die Pipelines. Ein solches Verhalten kurz vor Beginn der Heizsaison nährt den Verdacht, dass Russland auf diese Weise Druck auf Europa ausübt, damit es die Nord Stream-2-Pipeline akzeptiert. Die mangelnde Bereitschaft von Gazprom, die europäische Gasnachfrage zu befriedigen, hat zu einer deutlichen Verringerung der Gasreserven in den europäischen Gasspeichern geführt:

  • Derzeit liegen die Reserven bei 71-72 %, während sie in den letzten zehn Jahren bei etwa 90 % lagen.
  • In einigen Speichern - z. B. Astora in Deutschland oder Bergermeer in den Niederlanden - ist der Belegungsgrad alarmierend niedrig, z. B. nur 19 % in Astora, das über 25 % der gesamten Erdgasspeicherkapazitäten in Deutschland verfügt.
  • Diese ungewöhnliche Taktik von Gazprom veranlasste die IEA zu der Warnung, dass Gazprom mehr tun sollte, um die europäische Nachfrage zu decken, wenn es als verlässlicher Partner angesehen werden will.

Die Rolle des EU-Emissionshandels (ETS) bei dem jüngsten Energiepreisanstieg ist gering. Zwar ist der ETS-Preis im Jahr 2021 deutlich gestiegen - von rund 30 Euro pro Tonne CO2 auf rund 60 Euro pro Tonne -, doch wird dieser Anstieg durch die Auswirkungen des Anstiegs der Erdgaspreise auf die Energierechnungen in den Schatten gestellt. Die spanische Zentralbank schätzt, dass nur etwa 20 % des Anstiegs der Großhandelspreise für Strom (die sich im ersten Halbjahr 2021 fast verdoppelt haben) auf den Anstieg der CO2-Preise im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems zurückgeführt werden können.

Wer ist von den steigenden Preise am meisten getroffen?

Energiearmut in ganz Europa ist ein großes Problem: In vielen EU-Ländern, darunter:

  • Bulgarien (30,1%),
  • Litauen (26,7%),
  • Zypern (21,0%), ist der Anteil der Menschen hoch, die angaben, dass sie es sich nicht leisten könnten, ihr Zuhause ausreichend warm zu halten.
  • Portugal (18,9%),
  • Griechenland (17,9%)
  • und Italien (11,1%).

Dieser Preisanstieg wird sozioökonomische Auswirkungen haben.