EU-CO2- Handel: Auftakt zum Verhandlungsfinale

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen und Verhandlungsführer für die Grünen im EU-Parlament zu den Verhandlungen zwischen EU-Parlament und Mitgliedsstaaten zum EU- Emissionshandel:

Die Mitgliedstaaten müssen sich endlich konstruktiv in die Verhandlungen einbringen, denn der Europäische Grüne Deal steht auf der Kippe! Die Frage, die verhandelt wird, lautet: Setzt sich die fossile Allianz durch und der Klimaschutz wird so zum Opfer der Energiekrise? Oder schaffen wir es, Europa voranzubringen, die Industrie zu modernisieren und für gerechten Klimaschutz zu sorgen.

Den Bürgerinnen und Bürger flattern gerade unglaublich hohe Strom- und Gasrechnungen ins Haus. Die Energiepreise weiter zu erhöhen, steht unter dem Vorbehalt eines starken Klimasozialfonds, der die höheren Kosten ausgleicht. Es darf beim CO2-Preis keine Ausnahmeregelungen für die fossile Industrie geben, wenn die Bürgerinnen und Bürger den CO2-Preis bezahlen müssen.

Es muss das Prinzip gelten, wer sauber wird, bekommt Unterstützung, wer fossil bleibt, muss einen hohen CO2-Preis bezahlen. Wir müssen ein gerechtes europäisches Klimainstrument schaffen, dass neuen Schwung in die europäische Klimawirtschaft bringt und die Gesellschaft zusammenhält.

Hintergrund vom 7. Dezember 2022

  • Die Reform des EU-Emissionshandels (ETS) ist das Herzstück des europäischen Green Deals. Der EU-Emissionshandel deckt ca. 40 % aller EU-Emissionen ab, nämlich die Energiewirtschaft und die Industrie. 2021 umfasste der Emissionshandel 3 312 Millionen Tonnen CO2.
  • Wie funktioniert der Emissionshandel? Im ETS werden Berechtigungsscheine zum CO2-Ausstoß (CO2-Zertifikate) gehandelt. Es wird eine absolute Anzahl an Zertifikaten festgelegt. Diese müssen ersteigert werden und können dann von den Martkteilnehmenden weiter gehandelt werden. So entsteht ein CO2-Preis, der aktuell bei 87 Euro pro Tonne liegt.
  • Am 16. bis 18. Dezember ist es soweit: Die Reform des EU-Emissionshandels soll in einem zweitägigen Kraftakt fertig verhandelt werden und mit ihm die beiden Gesetze, die unzertrennlich mit ihm verknüpft sind: der Klimasozialfonds und der CO2-Zoll.


Was wird verhandelt:

  • Der EU-Emissionshandel (Emission Trading System oder ETS)
  • Der CO2-Zoll (Carbon border adjustment mechanism oder CBAM)
  • Der Klimasozialfonds (KSF)
  • Die Finanzierung vom Ausbau der Erneuerbaren im Rahmen von REPowerEU


ETS: runter mit den Emissionen, rein in die Klimawirtschaft

  • Der ETS ist nicht nur der stärkste Hebel zur Reduktion der europäischen Treibhausgasemmissionen, sondern erzeugt auch Einnahmen in Milliardenhöhe.
    Seit der Einführung des ETS im Jahr 2005 wurden die Emissionen in den abgedeckten Sektoren um fast 43% reduziert.
  • Mitgliedstaaten haben durch die Versteigerungen von Zertifikaten im Zeitraum zwischen 2013 und 2021, 88,5 Milliarden Euro eingenomen. Gleichzeitig wurden im gleichen Zeitraum Zertifikate im Wert von 98,5 Milliarden Euro umsonst an die Industrie gegeben.
  • Um Emissionen zu senken, muss die Anzahl von Emissionszertifikaten reduziert werden. Im Energiesektor müssen alle Zertifikate auf dem Markt erstanden werden, es gibt keine freien Zuteilungen. Daher wurden Emissionen im Energiesektor auch am stärksten reduziert. Um nun sicherzugehen, dass nur noch emissionsarme Energie lukrativ ist, müssen insgesamt weniger Zertifikate zur Verfügung stehen und entsprechend der Zertifikatedeckel (Cap) abgesenkt werden. Überschüssige Zertifikate müssen aus dem Markt genommen werden (rebasing) und der sogenannte lineare Reduktionsfaktor (LRF), der die jährliche Reduktionsrate an Zertifikaten festlegt, erhöht werden, damit die Anzahl an Zertifikaten abnimmt. Dies würde den Preis für die Zertifikate ansteigen lassen und so den Kohleausstieg in Europa besiegeln.
  • Ende der freien Zuteilungen: Um eine moderne, international konkurrenzfähige und klimaneutrale Wirtschaft in Europa voranzutreiben, muss die Verschmutzungsparty endlich aufhören. Unternehmen dürfen keine kostenlosen Zertifikate mehr erhalten. Die Abschmelzung der sogenannten freien Zuteilungen soll schrittweise erfolgen. Bis 2030 müssen die freien Zuteilungen an die Industrie halbiert werden.
  • Gelder für die Klimawirtschaft: Gleichzeitig brauchen Unternehmen Unterstützung bei der Dekarbonisierung ihrer Produktionsprozesse. Das EU-Parlament setzt sich stark für einen richtigen Klimainvestionsfonds aus den Einnahmen des ETS ein. So soll Geld in die Industrie zurückfließen, um ambitionierte Dekarbonisierungsprojekte und Technologiefortschritt zu finanzieren. Das Parlament möchte auf diesem Weg um die 76,3 Milliarden Euro der industrie für ihre Dekarbonisierung zur Verfügung stellen (unter der Annahme von einem CO2- Durschnittpreis von 70 Euro). Unternehmen die keine Anstalten machen, sich umzustellen, sollen den vollen Preis für ihre Verschmutzung zahlen.  Der Rat möchte einen sehr viel kleineren Fonds, der nur circa 30,98 Milliarden Euro enthalten würde.
  • Die Ausnahmen: Die Stahlindustrie hat bereits für Sondergenehmigungen lobbyiert und wird bis 2030 weiterhin umsonst verschmutzen können. In den anstehenden Verhandlungen müssen weiteren Schlupflöchern der Riegel vorgeschoben werden. Nur dann kann der Emissionshandel richtig funktionieren und die Investitionssignale senden, die eine moderne und klimaneutrale Industrie jetzt dringend braucht.
  • Inflation Reduction Act: Die USA unterstützt den Umbau zur klimaneutralen Wirtschaft massiv. Die EU muss nun nachziehen und die heimische Klimaindustrie fördern. Der Rat befürchtet, dass es in diesem Zusammenhang vor der WTO Konflikte um den geplanten europäischen CO2-Zoll geben könnte und möchte stattdessen über 2030 hinaus auf freie Zuteilungen setzen. Aber anstatt den Status Quo zu finanzieren, sollten wir eher in die klimaneutrale Industrie der Zukunft investieren. Um dafür die entsprechenden Anreizen zu setzen, müssen die freien Zuteilungen reduziert und der Innovation Fonds aufgestockt werden.

Der CO2-Zoll: Premiere für den globalen Klimaschutz

  • Mit der sogenannten CO2-Grenzabgabe (CBAM) soll die Wettbewerbsfähigkeit von Produkten, für deren Produktion ein CO2 Preis im Rahmen des ETS gezahlt wurde, mit Produkten aus Drittstaaten, die keiner vergleichbaren Klimaschutzmaßnahme unterliegen, gesichert werden.
    Importeure sollen also die gleiche Anzahl an Zertifikate kaufen, die europäische Produzenten für ein vergleichbares Produkt innerhalb des ETS kaufen müssen. So wird grüne Industrie global wettbewerbsfähig. Außerdem schaffen wir so auch außerhalb der EU Anreize, Produktionsweisen zu dekarbonisieren, um die Produkte günstiger auf dem EU-Binnenmarkt anbieten zu können.
  • Betroffene Sektoren: Die Kommission hatte vorgeschlagen, mit nur fünf Sektoren anzufangen: Stahl, Aluminium, Zement, Düngemittel und Elektrizität. Das Parlament hingegen möchte, dass gleich mehr Sektoren mit dem CBAM vor Ökodumping geschützt werden. Plastikprodukte und organische Chemikalien sowie Wasserstoff und Ammoniak sollen auch dem CO2-Zoll unterliegen. Außerdem will das Parlament, dass ab dem 1. Januar 2030 alle Sektoren, die unter den ETS fallen, auch vom CO2-Zoll gedeckt sind. Auch indirekte Emissionen sollen beim CO2-Zoll eingerechnet werden, um für Produzenten im Ausland den Anreiz zu schaffen, mehr Erneuerbare für die Produktion zu nutzen. Der Rat möchte den CO2-Zoll vorerst nicht ausweiten und lediglich eine unverbindliche Möglichkeit für spätere Ausweitung festschreiben.
  • Zeitplan: Mit der Einführung des CO2-Zolls sollen freie Zuteilungen gekürzt werden. Je früher wir also den CO2-Zoll einführen, desto schneller werden wir die freien Zuteilungen los. Sowohl der Rat als auch das Parlament sehen eine schrittweise Einführung vor. Allerdings will das Parlament bereits 2032 alle freien Zuteilungen stoppen und den CO2-Zoll voll eingeführt haben. Der Rat lässt sich hierfür bis 2036 Zeit. Außerdem will der Rat bis 2030 nur 30% der freien Zuteilungen reduzieren, während das Parlament auf 50% besteht.


ETS2: Energiepreise hoch in Krisenzeiten? Nur wenn es gerecht zugeht!

  • Die Kommission hat einen zweiten Emissionshandel für Transport und Gebäude (ETS2) vorgeschlagen, der ab 2026 eingeführt werden soll;
  • Die Bedenken: Die Grünen standen diesem zweiten Emissionshandel immer kritisch gegenüber, da er vor allem in Zeiten der Energiekrise die ärmsten Haushalte am meisten belastet, diese können sich nicht einfach ein Elektroauto kaufen oder das Haus renovieren, um die Emissionen beim Heizen zu reduzieren.
  • Die Verhandlungssituation: Das Parlament will, dass erst nur Gewerbe in diesen zweiten Emissionshandel aufgenommen und erst ab 2029 und nach einem neuen Gesetzesverfahren eventuell auch private Haushalte einbezogen werden. Der Rat möchte 2027 den zweiten ETS für alle einführen.
  • Der Klimasozialfonds: Um die sozialen Folgen des zweiten Emissionshandels abzufedern, soll ein neuer Klimasozialfonds eingerichtet werden. Dieser soll sowohl für direkte Zahlungen an Bürger*innen als auch für strukturelle Investitionen, wie zum Beispiel die Wärmedämmung von Sozialbauten, zur Verfügung stehen.
  • Ein starker Klimasozialfonds ist absolut notwendig, wenn der zweite Emissionshandel auch für Privathaushalten gelten soll. Er muss bereits mindestens zwei Jahre, bevor die zusätzlichen Kosten auf die Menschen zukommen, greifen. Bürger*innen soll es möglich sein in Wärmedämmung zu investieren oder ihr Auto mit einem Elektrofahrrad zu ersetzen, sodass sie den CO2-Preis später gar nicht erst zu spüren bekommen.
  • Die Mitgliedstaaten wollen die Mittel im Klimasozialfonds halbieren. Das ist völlig inakzeptabel. Es braucht mindestens 72,2 Milliarden bis 2030, wie es auch die Kommission vorgeschlagen hatte, und jeder Euro in dem Fonds muss mit einem Euro in den Mitgliedstaaten kofinanziert werden, sodass am Ende die doppelte Summe zur Abfederung des zweiten Emissionshandels zur Verfügung steht.
  • Die Einnahmen aus dem ETS2: Nur 25% der Einnahmen aus dem zweiten Emissionshandel sollen in den Klimasozialfonds fließen, 25% fließen in das europäische Budget und 50% der Einnahmen gehen an die Mitgliedstaaten. Mitgliedstaaten werden also erhebliche Summen aus dem zweiten ETS einnehmen. Auch diese Mittel sollten sie ganz darauf verwenden, die bedürftigsten Haushalte zu unterstützen, öffentlichen Transport verbessern und günstiger zu gestalten, sowie Fernwärmenetze zu dekarbonisieren. Die Mitgliedstaaten hingegen wollen die Finanzierung fossiler Projekte aus dem Klimasozialfonds ermöglichen. Auch das ist völlig inakzeptabel für das Parlament, denn nur wirklich nachhaltige Klimalösungen sollten durch dieses Klimainstrument finanziert werden.
  • Mehr als Kompensation: Für die Grünen ist es klar, wenn wir Haushalte in dieser Krise zusätzlich belasten, brauchen wir nicht nur ein Kompensationsinstrument sondern einen echten Klimasozialfonds, der die Menschen in dem Wandel hin zu einer klimaneutralen Lebensweisen frühzeitig und umfangreich unterstützt.
  • Notbremse in Krisenzeiten: Klar ist auch, dass der zweite Emissionshandel nicht für Haushalte in Kraft treten kann, wenn die Heiz-und Transport Preise weiterhin so hoch bleiben wie sie es im Moment sind. Hier ist keine zusätzliche Belastung möglich.
    Öl-uns Gaslieferanten direkt zur Kasse: Das Parlament fordert, dass 50% des CO2-Preises von Öl-und Gaslieferanten direkt bezahlt werden und nicht an die Endverbraucher*innen weitergeben werden dürfen.
  • Klimagerechtigkeit: Es ist schlichtweg unfair, Bürger*innen belasten während die Tankstellen und Heizöllieferanten ihre Mehrkosten an Endverbraucher*innen abwälzen. Das gleiche gilt für die freien Zuteilungen an die Industrie: wenn Bürger*innen den vollen CO2-Preis zahlen müssen, müssen das die Industrieunternehmen auch.


Wie der REPower Vorschlag mit Einfluss auf die Verhandlungen nimmt

  • Als Antwort auf den Russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, treibt die EU ihre Energiewende stärker voran, um schneller aus der unerträglichen Energieabhängigkeit gegenüber Putin herauszukommen. Dazu hat die Kommission im Mai REPowerEU vorgestellt. Dieser Plan geht in Richtung 100% Erneuerbare und hat viele gute Aspekte.
  • Finanzierung: Der Kommissionsvorschlag sieht allerdings vor,  dafür den Emissionsstaubsauger, die Markstabilitätsreserve im Emissionshandel anzuzapfen. So wollte die Kommission 20 Millarden Euro aus dem Verkauf von Zertifikaten gewinnen, die eigentlich gelöscht werden sollten. Bei heutigen Preisen hätte das bedeutet, zusätzlich ungefähr 250 Millionen Tonnen mehr CO2 im ETS zu behalten und zum Ausstoß in die Atmosphäre freizugeben. Das ist der falsche Weg, um den Ausbau der Erneuerbaren zu finanzieren: Die Energiewende darf nicht auf Kosten des Klimaschutzes passieren
  • Die Verhandlungssituation: Das Parlament will deswegen, dass die 20 Milliarden Euro stattdessen aus dem Verkaufserlös von Emissionsrechten, die sonst erst später (zwischen 2026 und 2030) versteigert worden wären, genommen werden. Während der Rat den Innovationsfonds heranziehen, also den Fonds der für die Dekarbonisierung der Industrie vorgesehen ist. Ginge es nach dem Rat, würde dieser Fonds so sogar noch im Vergleich zum heutigen Stand verkleinert werde. Die Kommission und das Parlament wollen diesen Fonds eigentlich massiv aufstocken, damit auch Gelder für europäische Differenzverträge zur Verfügung stehen und damit endlich Schwung in die Dekarbonisierung der Industrieprozesse kommt.

Wie geht es weiter?

  • Am Samstag, 10. Dezember, legt der Rat  seine Verhandlungsposition für die Trilogverhandlungen mit dem Parlament fest.
  • Von Freitag, 16. Dezember, bis zum Sonntag, 18. Dezember, findet die voraussichtlich finale Verhandlungsrunde zwischen Rat und Parlament im sogenannten Jumbo-Trilog in Brüssel statt.
  • Wenn es im Trilog zu einer politischen Einigung kommt, muss diese noch jeweils vom Rat und vom Europäischen Parlament formell bestätigt werden.
    Die Plenarabstimmung über das Trilogergebnis im Parlament könnte im Februar 2023 stattfinden.