Michael Bloss, Mitglied des Industrieausschusses der Greens/EFA im EU-Parlament kommentiert den Industrie-Bericht:
Wir können Europa sicher aus der Coronakrise führen und die Klimakrise abwenden. E-Autos und Windkraft bauen sich aber nur, wenn wir klar in die Zukunft investieren, anstatt Kohlemeiler künstlich am Leben zu halten. Wir brauchen klare Regeln. Dann brummt der Jobmotor Nummer Eins – Klimaschutz.
Wir haben uns mit dem Green Deal für die Marktführerschaft in der Spitzentechnologie bei Erneuerbaren Energien, Stahl und der Produktion von Elektroautos entschieden. Dieser Bericht ist ein erster Schritt dafür.
Die im März veröffentlichte Strategie greift hier noch zu kurz, und ist von der Coronakrise überrollt worden. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier nächstes Jahr weiterarbeiten. Das Klima und die Wirtschaft können sich in diesen schwierigen Zeiten keinen Durchhänger leisten.
Hintergrund
Die EU Kommission veröffentlichte am 10. März 2020 ihre Industriestrategie. Ursprünglich hatte das Parlament beabsichtigt, im Vorfeld einen Bericht zur Strategie der Kommission beizusteuern. Politische Differenzen, Zuständigkeitsfragen und die Coronakrise machten hier einen Strich durch die Rechnung.
Bereits jetzt steht fest: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine Aktualisierung der Industriestrategie (Q2 2021) angekündigt, um die Auswirkungen der Coronakrise und des European Green Deals einfließen zu lassen. Der Eigenitiniativ-Bericht (INI) kommt also genau richtig und gibt Aufschluss darüber, wie sich das EU-Parlament die industrielle Transformation hin zur Klimaneutralität vorstellt.
Der ehemalige italienische Minister für wirtschaftliche Entwicklung und jetzige EU-Abgeordneter für die S&D, Carlo Calenda, leitet diesen Bericht und die Verhandlungen.
Was steht in dem Bericht und wann steht er zur Abstimmung?
Der Bericht, über den am 15. Oktober im ITRE abgestimmt wurde, und nun dem Plenum des EU Parlaments vorliegt, kommentiert die Strategie der Kommission zur Bewältigung der Covid-Krise und des Wiederaufschwungs und unterscheidet dabei zwischen zwei Phasen:
- Phase 1: der Wiederaufschwung nach der Coronakrise
- Phase 2: auf den Wiederaufbau und Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft.
Der Bericht betont die Notwendigkeit, dem grünen und digitalen Übergang Vorrang einzuräumen und gleichzeitig die langfristige Wettbewerbsfähigkeit sowie die gesellschaftliche und wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in beiden Phasen zu stärken, was sich wiederum in der von der Kommission geplanten Aktualisierung der Strategie widerspiegeln soll. Die Abstimmung findet am 25. November ab 13.00 Uhr statt.
Ist der Bericht ein Anstoß für den Klimaschutz und damit den European Green Deal?
Die Aufgabe ist groß: 2050 müssten wir allerspätestens klimaneutral sein. Das betrifft alle Bereiche unseres Lebens. Das bedeutet im Klartext, nicht nur eine notwendige Renovierungswelle für private Gebäude, Umstieg auf klimafreundliche Mobilität und ein Boost für Wind- und Solaranlagen, sondern auch dass jetzt jede Investition in die Industrie für die nächsten Jahre dauerhaft die Eckpfeiler dafür setzt, wie sie Treibhausgase einsparen und die Effizienzgewinne einfahren können.
Diese Analyse findet innerhalb der politischen Gruppen Zustimmung, doch aus Grüner-Sicht brauchen wir neben Zielen auch neue Instrumente, die die Industrie fördern, aber auch fordern. Hier gibt es noch keine politische Einigung, und die Mehrheitsverhältnisse beschränken sich in zu vielen Bereichen auf Gemeinplätze.
Was ist enthalten?
Die Analyse des EP stellt fest:
- Die Industrie steht vor einer Transition zu Klimaneutralität, aber auch ins digitale Zeitalter. In der letzten Strategie von 2017 war von Klimaneutralität noch keine Rede.
- Notwendig für eine klimaneutrale Industrie sind massive Investitionen. Als Treiber werden Energieeffizienz, ein Boost der Erneuerbaren, und ein Umstieg auf Kreislaufwirtschaft gesehen.
- Die Strategie fordert ein, dass zukünftige Industrie-Investitionen kompatibel mit den Klimazielen sein müssen. Maßgeblich ist hier die EU-Taxonomie, die den Rahmen für ökologisch nachhaltige Investitionen aufzieht. Die Kommission hat erst letzte Woche die entsprechende delegierte Rechtsakte vorgelegt, in der Atomenergie nicht als Teil der grünen Investments gesehen werden.
- Drängt auf einen raschen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und die Notwendigkeit, ein hocheffizientes und klimaneutrales Energiesystem zu weltweit wettbewerbsfähigen Preisen für die Industrie zu schaffen.
- Forderung nach substanzieller Finanzierung für eine europaweite Renovierungswelle, die tiefgreifende thermische Gebäudesanierungen und den Austausch ineffizienter und auf fossilen Brennstoffen basierender Heiz- und Kühlsysteme beschleunigt.
Was fehlt?
- Wir brauchen eine Strategie für 100 Prozent Erneuerbare Energien. Das schafft auch einen neuen Industriezweig der Fertigung in Europa. Der Bericht deutet das an, lässt aber die Türen für fossile Projekte sperrangelweit auf.
- Wie das geht, hat das DiW Berlin ausgerechnet.
- Ohne 100 Prozent Erneuerbare erreichen wir keinen klimaneutralen – sogenannten grünen – Wasserstoff.
- Die Strategie schiebt die Frage der Zukunft von Gas auf die lange Bank. Im Bericht wird Gas auf Betreiben konservativer Kräfte eine Übergangsrolle bis 2050 zu gerechnet. Aus Grüner Sicht ist dies zu lange, und riskiert neue stranded assets zur Folge zu haben.
- Die Grüne Forderung einer Eingrenzung der Industrieinteressen für eine unabhängiges Monitoring der Investitionspläne ist an der konservativen Blockade gescheitert. Das bereits von der Kommission vorgesehene Industrieforum soll um einen Dialog mit einer ausgewogenen Vertretung aller relevanten wissenschaftlichen Experten, Organisationen und Interessengruppen, einschließlich der Zivilgesellschaft, der Verbraucherorganisationen und der Gewerkschaften, ergänzt werden, um die Fortschritte der einzelnen Industriesektoren auf EU-Ebene im Hinblick auf die bis spätestens 2050 zu erreichenden Klimaneutralitätsziele kontinuierlich zu überwachen. Dies steckt in Sachen Transparenz und Unabhängigkeit massiv hinter den Möglichkeiten.
- Spezifische Instrumente für den Umbau des Binnenmarkts hin zur klimaneutralen Industrie für klimaneutrale Produkte wie Carbon Contracts for Difference, Ressourcen-Beiträge, ökologischer Produkt-Fußabdruck fehlen. Hier wird im Rahmen der für 2021 angekündigten Maßnahmen des Kreislaufaktionsplans noch viel Arbeit anstehen.
Wie erreichen wir eine klimaneutrale Wirtschaft?
Der Think Tank Agora Energiewende zeigt zusammen mit dem Wuppertaler Institut auf, wie es geht.
Aktuell läuft die EU Kommission gefahr, sich einseitig bis 2030 auf Energieeffizienzzielen zu verlassen. Mit Hinblick auf den Recovery Fund und den Milliarden-Konjunkturpaketen der Mitgliedsländer werden in den nächsten Jahren Hunderte Milliarden Euro in Projekte fließen, die über Jahrzehnte Bestand haben werden. Kurz und knapp: Es braucht es bis 2030 den dringenden Durchbruch von klimaneutralen Technologien. Vor allem drei Sektoren sind hier besonders wichtig:
- Chemie
- Stahl
- Zement
Diese Schlüsselsektoren benötigen vor allem grünen Wasserstoff und müssen ihre Produktionsanlagen umbauen, um grünen Stahl, Power-to-Heat oder CCS einsetzen zu können. Die ganze Studie gibt es hier.
Welche Auswirkungen hat der Bericht?
Der am Mittwoch vom EU-Parlament zu verabschiedende Bericht kommt in einer Phase, in der die Kommission selbst in den intensiven Vorbereitungen für die neuen sektoralen Reformen wie dem EU ETS im Jahr 2021 steht, gleichzeitig aber noch die Verhandlungen um das milliardenschwere COVID-Paket und den Mehrjährigen Finanzrahmen nicht abgeschlossen sind. Zudem steht auch noch eine Orientierung der Staats- und Regierungschefs über das neue 2030 Klimaziel an. Hier kann darauf gehofft werden, dass die Aussicht, dass selbst unsere Industrie klimaneutral werden wird einem deutlich angehobenen Klimaziel Rückenwind verpasst.