Luftreinhaltung: EU will WHO-Grenzwerte nicht übernehmen

Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Greens/EFA und Verhandlungsführer für die Grünen im Umweltausschuss zur Luftreinhaltung kommentiert vorab:

Die Kommission betreibt Rosinenpickerei, wenn sie die Grenzwerte der WHO zur Luftverschmutzung nur teilweise übernehmen will. Damit gefährdet sie die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger Europas und ignoriert die wissenschaftliche Mindeststandards. Das wäre so, als ob wir die Erkenntnisse der Klimawissenschaftler ignorieren und mit Vollgas auf den Abgrund zurasen.  

Die Luftverschmutzung ist das größte umweltbedingte Gesundheitsrisiko in Europa und führt 2019 zu über 350.000 vorzeitigen Todesfällen. 97 Prozent der städtischen Bevölkerung in der EU leben derzeit in Gebieten mit schlechter Luftqualität. Die Alarmglocken ringen und die Kommission stellt sich taub. Das kann nicht unsere Idee eines gesunden Lebens in Europa sein. Den Fahrplan für ein gesundes Leben hat uns die WHO gegeben. Den sollten wir umsetzen.

Was ist die Ambient Air Quality Directive (AAQD)?

Der Vorschlag zur Überarbeitung der AAQD wird am 26. Oktober 2022 als Teil des Pakets "Zero Pollution Package" veröffentlicht, das auch Rechtsvorschriften zur Wasserverschmutzung und zu Chemikalien umfasst.

Die Überarbeitung wurde in der Green Deal-Mitteilung vom Dezember 2019 mit dem Ziel angekündigt, "die Luftqualitätsstandards stärker an die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation anzugleichen".

Im März 2021 nahm das EU-Parlament einen Initiativbericht (Berichterstatter: Javi Lopez, S&D) an, in der die Kommission aufgefordert wurde, "die EU-Luftqualitätsstandards zu aktualisieren, sobald die neuen WHO-Leitlinien verfügbar sind" und die EU-Standards an die WHO-Empfehlungen anzugleichen.

Die neuen WHO-Luftqualitätsleitlinien wurden im September 2021 veröffentlicht. Die vorherige Version stammt aus dem Jahr 2005. Die neuen Leitlinien stützen sich auf eine Vielzahl wissenschaftlicher Erkenntnisse über die gesundheitlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung. Für einige Schadstoffe sind die empfohlenen Höchstwerte deutlich niedriger als die von 2005 (z. B. Stickstoffdioxid (NO2): von 40 auf maximal 10 Mikrogramm/m3/Jahr; Feinstaub (PM2,5): von 10 auf maximal 5 Mikrogramm/m3/Jahr).

Was wissen wir über den EU-Kommissionsvorschlag?

In der Richtlinie werden neue, ehrgeizigere Luftverschmutzungsgrenzwerte für das Jahr 2030 festgelegt, aber es ist unklar, wie die Mitgliedstaaten die schrittweise Anpassung an diese Grenzwerte bis 2030 planen und nachweisen müssen.

In der Richtlinie werden einige Grenzwerte für das Jahr 2030 festgelegt, die nicht mit den WHO-Empfehlungen für 2021 übereinstimmen. Im Intiativ-Bericht fordert das EU-Parlament, die Grenzwerte der Richtlinie an die WHO-Werte für 2021 anzugleichen und dann einen regelmäßigen Überprüfungsmechanismus einzubauen, um die EU-Werte an weitere/neue Ausgaben der WHO-Leitlinien anzugleichen.

  • Einige Fakten zur Luftverschmutzung
  • Die Überschreitung der EU-Luftqualitätsgrenzwerte für Stickstoffdioxid in ganz Europa ist in erster Linie auf den Straßenverkehr zurückzuführen, während die meisten Überschreitungen bei Feinstaub auf das Heizen von Haushalten zurückzuführen sind, so die EUA in ihrer im Februar veröffentlichten Bewertung der Luftqualitätspläne.
  • Luftverschmutzung ist das größte umweltbedingte Gesundheitsrisiko in Europa und verursacht nach Angaben der EUA fast 400 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr.
  • Luftverschmutzung wird mit Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfällen und Krebs in Verbindung gebracht.
  • Im Jahr 2019 überschritten 16 EU-Länder den EU-Tagesgrenzwert für Feinstaub (PM10), vier den Jahresgrenzwert für Feinstaub (PM2,5), 19 den für Ozon und 18 den für Stickstoffdioxid (NO2).
  • Luftverschmutzung verursacht erhebliche menschliche und wirtschaftliche Kosten, wie z. B. eine geringere Lebenserwartung, höhere medizinische Kosten, eine geringere Arbeitsproduktivität, eine Verschlechterung der Ökosysteme, einen Verlust an biologischer Vielfalt und einen Klimawandel. Die Kosten der Luftverschmutzung für die Gesellschaft, die Gesundheit und die Wirtschaftstätigkeit in Europa belaufen sich insgesamt auf 330 bis 940 Milliarden Euro pro Jahr, aber die Kosten aller Maßnahmen, die zu einer Verbesserung der Luftqualität führen, betragen 70 bis 80 Milliarden Euro pro Jahr (Quelle: Bericht des Forschungsdienstes des EP "EU-Politik zur Luftqualität: Umsetzung ausgewählter EU-Rechtsvorschriften", 2021).
  • Nach Schätzungen der Kommission könnte die vollständige Umsetzung der bestehenden EU-Rechtsvorschriften zur Luftreinhaltung bis 2030 zu einem Nettonutzen von bis zu 42 Mrd. EUR pro Jahr führen, insbesondere aufgrund niedrigerer Mortalitäts- und Morbiditätsraten (Quelle: Forschung zur Unterstützung des zweiten Clean Air Outlook).
  • Der Bericht des Air Quality Life Index (AQLI) für das Jahr 2021 zeigt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in Europa um vier Monate steigen würde, wenn die Grenzwerte für die Luftverschmutzung den (alten?) Standards der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprächen, und dass die Gewinne in den am stärksten verschmutzten Gebieten des Kontinents noch höher wären.

Zeitplan

  • Am 26. Oktober stellt die EU-Kommissoin den Gesetzesentwurf vor.
  • Danach geht es an den EU-Rat und das Parlament, die dann in die eigenen Verhandlungen gehen. Für die Grünen im EU-Parlament wird Michael Bloss verhandeln.
  • Anschließend geht es in den Trilog. Ein Ergebnis wird im Frühjahr/Sommer 2023 erwartet.

Parlaments-Brief an die EU-Kommission von Michael Bloss